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Proteste in Spanien
Mit Gewalt für Meinungsfreiheit

Als Wiederholungstäter muss der Rapper Pablo Hasél eine mehrmonatige Haftstrafe wegen Verherrlichung von Terrorismus und Diffamierung des Königs absitzen. Die Inhaftierung hat eine Protestwelle ausgelöst, die in Madrid und Barcelona auch in Gewalt umgeschlagen ist. Bekommt Spanien nach den "Empörten" eine weitere politische Bewegung?

Von Hans-Günter Kellner |
Gewaltsame Proteste in Barcelona
Die Inhaftierung des Rappers Pablo Hasél hat eine Protestwelle ausgelöst (Tassilo Lopes Coelho)
"Freiheit für Pablo Hasél", rufen rund 300 Demonstrantinnen und Demonstranten in der Madrider Innenstadt. Das Sicherheitsaufgebot ist enorm. Immerhin ist der Rapper Pablo Hasél wegen gewaltverherrlichender Äußerungen in Liedern und sozialen Netzwerken verurteilt worden. Dem ehemaligen Verteidigungsminister José Bono von der sozialistischen Partei müsse jemand einen Eispickel in den Schädel schlagen, heißt es in einem Songtext von 2011. Dieser Demonstrant meint dazu:
"Der Tod dieses Lumpen wird mir nicht leidtun. Er hat ja auch kein Mitleid mit den Arbeitslosen. Dass José Bono der Schädel mit dem Eispickel gespalten wird, ist mir ehrlich gesagt egal. Ganz ehrlich. Wir bekämpfen diese Menschen. Das sind Kriminelle. Es sieht so aus, als wären sie liebe Leute. Aber in Wahrheit haben sie alle Fäden in der Hand. Natürlich verdienen sie ihre Strafe."
Proteste gegen die Verhaftung des Rappers Pablo Hasél
Demonstrierende fordern die Freilassung des inhaftierten Rappers Pablo Hasél (Tassilo Lopes Coelho)
Solche Liedtexte des Rappers müssten Teil der Meinungsfreiheit sein, meint diese Demonstrantin daneben: "Meinungsfreiheit gilt für alles, was den Rechten der Menschen dient: Dem Feminismus, dem Kampf gegen Gewalt gegen Frauen, den Antifaschisten. Wer die Gewalt missbilligt, erlebt das Leid in diesem Land nicht. Der wird nicht aus seiner Wohnung geworfen, er leidet nicht unter der Armut. Es ist leicht, die Gewalt zu verurteilen, so lange es einem gut geht."

Jugend klagt über Perspektivlosigkeit

Trotzdem blieb es am Samstagabend in Madrid im Gegensatz zu Barcelona friedlich. Manche Beobachter meinen, Spanien stehe mit den tagelangen Demonstranten, gepaart mit der hohen Jugendarbeitslosigkeit am Anfang einer neuen Protestwelle, ähnlich der Bewegung der Empörten, die während der Wirtschaftskrise vor zehn Jahren Hunderttausende von Spaniern gegründet hatten. Doch daran glaubt der Politologe Pablo Simón gerade wegen der Gewaltbereitschaft vieler Protestierender nicht:
"Die Bewegung der Empörten lehnte nicht nur die Gewalt ab, sondern war auch überparteilich. Sie zog Menschen unterschiedlicher politischer Couleur an, machte die Politik attraktiv für viele, die ihr den Rücken gekehrt hatten. Bei den Protesten dieser Tage sehen wir das nicht, es gibt keine konkreten politischen Forderungen. Ganz im Gegenteil, es ist eine Episode von Gewalt." - Die Spaniens Regierung dennoch nervös macht. Denn schließlich ging Podemos aus der Bewegung der Empörten hervor.
Vor allem junge Menschen gehen in Barcelona auf die Straße
Vor allem junge Menschen gehen in Barcelona auf die Straße (Tassilo Lopes Coelho)
Heute ist die linke Protestpartei Koalitionspartner der spanischen Sozialisten, die Demonstranten bezeichnen Podemos-Chef Pablo Iglesias als Verräter:
"Viele Linke sind enttäuscht, dass die einzige Partei im Parlament links der Sozialisten jetzt mitregiert. Wenn Podemos in dieser tiefen Wirtschaftskrise in der Opposition wäre, könnte sie ihre Kritik glaubwürdig formulieren. Jetzt kann sie die Protestierenden nur noch mit Worten verteidigen. Aus der Sicht der Straße ist das wenig glaubwürdig. Podemos ist ja Teil der Regierung, die gegen die Unruhen die Polizei auf die Straße schickt."

Debatte über Gesetzes-Reform

Rapper Pablo Hasél muss seine Haftstrafe jetzt nicht nur wegen seiner Beschimpfungen des Königs verbüßen, sondern vor allem, weil er in seinen Liedern auch von den Terrorgruppen ETA und Grapo schwärmte. Doch die Verherrlichung des Terrorismus wird in Spanien - ähnlich wie etwa in Deutschland die Verherrlichung des NS-Regimes - mit Gefängnis von bis zu drei Jahren geahndet. Nicht erst seit der Inhaftierung von Pablo Hasél gibt es eine Diskussion über eine Reform dieses Paragraphen. Politologe Simón:
"Kein Recht ist absolut, auch die Meinungsfreiheit nicht, wenn es um Aufrufe zur Gewalt und zum Hass geht. Aber wir müssen unser Strafrecht der Wirklichkeit anpassen. Die ETA verübt seit zehn Jahren keine Anschläge mehr und hat sich vor drei Jahren aufgelöst. Trotzdem hatten wir seither mehr Verurteilungen wegen Verherrlichung des Terrorismus als vorher. Das sollte Anlass zum Nachdenken geben. Der Gesetzgeber war hier bislang zu langsam."
Spaniens Ministerpräsident Pedro Sánchez hat eine solche Reform inzwischen angekündigt. Grenzenlos wird die Meinungsfreiheit in Spanien aber wohl auch danach nicht sein.