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Proteste in Untertürkeim
Streit über die Zukunft von Daimler

Die Stimmung in der Belegschaft beim Autobauer Daimler ist angespannt: In Postkarten, die an den Vorstand gerichtet sind, wird dessen harter Sparkurs kritisiert. Die Sorge vor Kündigung ist groß, vor allem bei denen, die in der Motorenproduktion arbeiten.

Von Katharina Thoms |
Eine rote Ampel vor einem Mercedes-Werk in Baden-Württemberg im April 2020.
Die Daimler-Belegschaft sorgt sich neben Kündigung auch um die Auslagerung der Verbrenner-Produktion nach Polen (imago images / Arnulf Hettrich)
Noch ist es dunkel, früh am Morgen. Ein kleines Grüppchen Gewerkschafter und Daimler-Betriebsräte steht vor dem Weihnachtsbaum am Stuttgarter Mercedes-Benz Museum. Vor ihnen rote Pappkisten – mehr als 50.000 kleine Geschenke an den Vorstand, wenn man so will - Protestpostkarten von Beschäftigten aus ganz Deutschland:
"Die trag ich nicht alle selber rein."
Gesamtbetriebsratschef Michael Brecht und Kollegen überreichen sie am Vormittag in der Aufsichtsratssitzung Vorstandschef Ola Källenius. Um den Betriebsräten bei den laufenden Gesprächen über die Zukunft der Standorte den Rücken zu stärken.
Autohalde Daimler-Benz -Werk Insel Gruen in Germersheim Mercedes-Benz Global Logistics Center Luftbild vom 06.05.2020 Peter Sandbiller *** Car dump Daimler Benz plant Insel Gruen in Germersheim Mercedes Benz Global Logistics Center Aerial view from 06 05 2020 Peter Sandbiller
Daimler will noch mehr Personal abbauen
Der Automobilkonzern Daimler muss in der Coronakrise noch stärker sparen als geplant. Personalvorstand Wilfried Porth räumte ein, dass damit auch der Verlust von weiteren Arbeitsplätzen verbunden sei.
Angst vor Kündigung geht um
"Wir geben die Emotionen von all unseren Kolleginnen und Kollegen mit. Wir streiten für gute und sichere Arbeitsplätze in der Zukunft. Viele Menschen haben Angst vor der Transformation. Die Lösungen, die bis heute sichtbar sind, die genügen uns nicht."
10.000 Postkarten kommen allein hier aus dem Motorenwerk Untertürkheim. Denn hier geht besonders die Angst um, seit im Sommer bekannt wurde, es könnten in den nächsten fünf Jahren Tausende Stellen wegfallen. Nur ein kleines Grüppchen Beschäftigte protestiert Corona-bedingt am Morgen vor Ort.
Die Gesamtbetriebsvereinbarung schließt betriebsbedingte Kündigungen bisher aus. Die sei "aus damaliger Sicht sinnvoll und richtig gewesen, doch die Lage habe sich grundlegend verändert", schreibt der Vorstand in einem internen Brief an die Beschäftigten. Bis 2030 sollen fast drei Viertel weniger Verbrenner gebaut werden bei Daimler.
Am Standort Untertürkheim sollen deshalb Elektroautos gebaut werden. Ein E-Campus auf dem Gelände, wo bisher Verbrenner entstehen. Dafür braucht es nicht mehr so viele Menschen. Langfristig ist das ok für den Betriebsrat. Für eine Übergangszeit hätten sie aber gern beides weiter am Standort. Dafür setzt sich auch IG Metallbezirkschef Roman Zitzelsberger ein:
"Und was wir wollen, das ist, dass eben diese Produkte auch hier produziert werden. Und das Alte wird nicht einfach irgendwie verschoben, verhökert oder sonst was. Sondern es gibt 'n Auslauf der alten Produktion, es gibt 'n Anlauf der neuen Produktion. Und zwar so, dass das auch Beschäftigung sichert und nicht Beschäftigung abbaut."
Verbrenner-Produktion nach Polen auslagern?
Denkbar allerdings: Die Verbrenner aus Untertürkheim werden bald in Polen gebaut. Damit man sparen und in neues investieren kann. Dagegen wehrt sich der Betriebsratschef vor Ort seit Wochen – und Michael Häberle fühlt sich durch die Soliaktion nochmal extra bestätigt:
"Das ist ein klares Signal, wenn wir als Gewerkschaft und Betriebsrat zu mehr an Eskalation aufrufen würden, dass wir dann erfolgreich das Thema bestreiten könnten."
Vor kurzem drohte der Vorstand im internen Brief sinngemäß: Wenn weiter so verhandelt werde, dann komme der E-Campus nicht nach Untertürkheim. Man würde "nun auch alternative Optionen für die Flächengestaltung in Betracht ziehen", so eine Sprecherin.
Coronavirus
Übersicht zum Thema Coronavirus (imago / Rob Engelaar / Hollandse Hoogte)
Die Gespräche laufen mindestens bis Weihnachten erstmal weiter. Einiges haben die Beschäftigten schon mitgetragen – auch wegen Corona: weniger Arbeitszeit und weniger Lohn, Zuschläge wurden gekürzt. Gesamtbetriebsratschef Brecht gibt sich deshalb versöhnlicher:
"Wir haben Know-how, wir haben die Fähigkeiten. Wir haben die Technologie. Wir haben auch den Veränderungswillen der Kolleginnen und Kollegen. Aber man muss den natürlich auch wollen. Und das bringen wir ein."