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Proteste in Weißrussland

In Weißrussland müssen Demonstrationen genehmigt werde, Volksversammlungen hingegen nicht. In Minsk und 25 weiteren Städten wollen schon morgen Mittag Kritiker der Regierung so protestieren.

Von Gesine Dornblüth |
    Viktor Ivaschkevitsch zeigt ein Flugblatt: "Schluss mit den Erniedrigungen", steht in fetten roten Lettern darauf. Darunter der Hinweis auf den 8. Oktober, ein Foto mit Menschen, die ihre Hände wie zu einer Abstimmung in die Höhe strecken, und eine Liste mit Forderungen.

    "Wir fordern, den Anstieg der Preise zu stoppen sowie Löhne, Renten und Stipendien den Preisen anzugleichen. Auch unsere Spareinlagen müssen der Inflation angepasst werden. Die Regierung soll dafür sorgen, dass die Unternehmen neue Arbeitsplätze schaffen. Außerdem wollen wir die Freilassung aller politischen Gefangenen und Neuwahlen."

    Weißrussland steckt in der Wirtschaftskrise. Seit Anfang des Jahres haben sich die Preise verdreifacht. Die Unzufriedenheit wächst. Ivaschkewitsch bereitet die sogenannte "Volksversammlung" seit Mai vor. Seinen Beruf als Journalist hat er dafür aufgegeben. Mit Mitstreitern hat er etwa 6.000 Unterschriften zusammen bekommen. Kein schlechtes Ergebnis, findet Ivaschkevitsch.

    "Als wir die Unterschriften gesammelt haben, haben eigentlich alle gesagt: Das ist eine gute Initiative, wir unterstützen sie. Aber unterschrieben hat nur jeder Zehnte. Viele Leute haben Angst, ihre Arbeit zu verlieren, wenn sie unterschreiben."

    Und sie haben erst recht Angst, an der Versammlung teilzunehmen.

    "In den staatlichen Betrieben rufen Ideologen die Arbeiter zusammen und warnen sie. Sie sagen ihnen: Die Miliz wird bei der Versammlung Videoaufnahmen machen, und wenn wir euch auf den Bildern erkennen, werfen wir euch raus. Einen Kündigungsgrund finden wir schon."

    In den Kleinstädten war der Druck in den letzten Wochen besonders groß, erzählt Ivaschkevitsch. Zwölf Aktivisten wurden verhaftet und zu jeweils fünf bis zehn Tagen Gefängnis verurteilt, wegen angeblich illegaler Organisation von Massenveranstaltungen. Ivaschkevitsch rechnet trotz allem mit etwa 10.000 Teilnehmern allein in Minsk.

    Vladimir Matzkiewitsch sieht das nüchterner. Der Philosoph ist einer der führenden Köpfe von Eurobelarus, einem internationalen Konsortium von Nichtregierungsorganisationen.

    "Die Menschen in Weißrussland sind zwar mit dem Regime sehr unzufrieden und ihre Zustimmung zu Lukaschenko sinkt ständig; aber trotzdem sind sie nicht zum aktiven Protest bereit. Die Leute haben sich daran gewöhnt, dass sich die Krise langsam immer weiter verschärft und die Lage Schritt für Schritt immer schlimmer wird."

    Organisatoren und Beobachter fragen sich vor allem, wie die Sicherheitskräfte reagieren werden. Als sich überwiegend junge Leute im September über das Internet zu einem schweigenden Protest in der Minsker Innenstadt verabredeten, schauten die Sicherheitskräfte zu. Es waren allerdings deutlich mehr Polizisten als Demonstranten da. In Slutsk dagegen, etwa hundert Kilometer südlich von Minsk, lösten Polizisten vor wenigen Tagen eine Aktion einer Handvoll Jugendlicher mit Gewalt auf und verletzten eine Journalistin schwer. Viktor Ivaschkevitsch, der Organisator der Volksversammlungen, hofft:

    "Vielleicht lässt die Regierung eine friedliche Versammlung zu. Sie können uns aber auch auf jede erdenkliche Art stören, zum Beispiel, indem sie unsere Lautsprecheranlage konfiszieren oder die Organisatoren daran hindern, zur Veranstaltung zu kommen. Sie können den Platz auch wegen eines angeblichen Bombenfundes sperren. Wir spielen die Möglichkeiten durch und überlegen, wie wir uns verhalten - natürlich im Rahmen des Gesetzes. Wir haben das Recht, an einen anderen Ort auszuweichen. Eigentlich können sie die Versammlung nur verhindern, wenn sie allen verbieten, auf die Straße zu gehen. Dazu müssten sie den Kriegszustand verhängen."

    Unabhängig davon, was am Sonnabend passiert - für Mitte November haben die Organisatoren bereits die nächste Volksversammlung geplant.