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Protestforscher: Anti-Banken-Demos mangelt es an Forderungen

Ausschlag für das große Interesse für die Proteste in den USA sei der symbolträchtige Ort der Wall Street gewesen, sagt Wolfgang Kraushaar, Politikwissenschaftler am Institut für Sozialforschung in Hamburg. In Deutschland fehlten dagegen konkrete Adressaten und Forderungen.

Wolfgang Kraushaar im Gespräch mit Tobias Armbrüster |
    "Ich bin hier, weil ich nicht mehr verstehe, was passiert, und das, obwohl ich Wirtschaftswissenschaftlerin bin, und dann denke ich, dass 80 Prozent unserer Parlamentarier das auch nicht mehr verstehen, und dann ist das ein Problem."

    "Es ist ein Spielkasino! Es hat sich entwickelt zu einem Spiel!"

    "Der Kapitalismus hat versagt, er zeigt sein wahres Gesicht, das ist er nämlich."

    Tobias Armbrüster: Stimmen von Demonstranten am Wochenende in Frankfurt am Main. Es war angekündigt als große Protestbewegung, am Ende sind in Deutschland aber nur einige zehntausend Menschen auf die Straßen gegangen, in mehreren Städten. Aber sie waren möglicherweise erst der Anfang, die Demonstrationen in 50 deutschen Städten gegen die Macht der Banken und gegen den Einfluss der Finanzmärkte. Vorbild dafür waren die Proteste der Bewegung von Occupy Wallstreet, die seit vier Wochen für Schlagzeilen in den USA sorgt. Am Telefon ist jetzt Wolfgang Kraushaar, er ist Protestforscher und Politikwissenschaftler am Institut für Sozialforschung in Hamburg. Schönen guten Morgen, Herr Kraushaar.

    Wolfgang Kraushaar: Schönen guten Morgen.

    Armbrüster: Herr Kraushaar, war das am Wochenende der Funke, der übergesprungen ist?

    Kraushaar: Das behaupten zwar einige der Organisatoren von Attac, aber ich glaube nicht wirklich, dass man bereits von dem Funken wird sprechen können. Man muss ja sehen, dass insgesamt von der Presse und den Medien diese Bewegung oder diese Bewegungsansätze sehr wohlwollend kommentiert worden sind. Aber ich glaube, wenn man das vergleicht, was sich am Samstag getan hat, mit anderen Mobilisierungswellen, die es im letzten Jahrzehnt in der Bundesrepublik gegeben hat, beispielsweise kurz vor Ausbruch des Irak-Krieges oder zu Heiligendamm, die globalisierungskritische Bewegung und so weiter und so fort, dann ist man doch einigermaßen weit davon entfernt, von einer regelrechten Bewegung sprechen zu können.

    Armbrüster: Gehen Sie davon aus, Herr Kraushaar, dass diese Bewegung so klein bleibt?

    Kraushaar: Das kann man nie ganz sagen, denn alle Prognosen sind momentan sehr schwierig. Was wir vor Augen haben, ist ja nichts anderes als eine Momentaufnahme, das war ein Test, wie das laufen würde. Immerhin haben es die Organisatoren vermocht, in mehr als 50 Städten in der ganzen Republik solche Demonstrationen und Kundgebungen zu organisieren. Sie wollen das ja auch in einigen der Städte weiterbetreiben, in Frankfurt und Berlin beispielsweise. Ob das aber wirklich gelingen kann, ist von Faktoren abhängig, die sie zum Teil gar nicht in der Hand haben. Und vielleicht ist es nicht unwichtig, in diesem Zusammenhang auch noch mal auf die Wall Street, genauer gesagt auf Manhattan zu verweisen. Dort war es ja auch nicht unbedingt die große numerische Zahl der Teilnehmer, die dort den Ausschlag gegeben hat, dass das Medieninteresse derartig hochgestiegen ist, sondern es war der Ort, die Wall Street, und es war ein bestimmter Zeitpunkt, und dann hat sich dort etwas entwickelt, was weltweit für Aufsehen gesorgt hat. Davon sind wir hier in Deutschland aber wirklich noch meilenweit entfernt.

    Armbrüster: Na ja. Aber einige symbolträchtige Orte haben wir ja auch!

    Kraushaar: Natürlich! Aber da ist natürlich auch die Frage, ob diese Orte auch richtig gewählt worden sind. Ich habe große Zweifel, ob die Europäische Zentralbank als der momentane Adressat der Demonstranten in Frankfurt beispielsweise der wirklich richtige Adressat ist, ob es nicht andere Adressaten hätte geben müssen. Insgesamt besteht ja das Dilemma darin, dass wir es mit einem abstrakten Bank- und Finanzsystem zu tun haben und immer wieder sozusagen die Herausforderung für die Protestierenden darin besteht, diese Abstraktion in konkrete Handlungen zu übersetzen, das heißt einen konkreten Adressaten und konkrete Forderungen herauszufinden, und daran mangelt es momentan.

    Armbrüster: Könnte es denn sein, dass wir auch einfach eine sehr gesunde Opposition im Deutschen Bundestag haben, denn das ist ja in den USA beispielsweise mit dem Zwei-Parteien-System dort auch etwas fraglich? Hier bei uns gibt es wirklich ein breites Parteienspektrum, in dem viele Interessen abgebildet werden.

    Kraushaar: Das mag sicherlich auch eine Rolle spielen. Man hat ja beispielsweise an der Reaktion von Herrn Gabriel gesehen, dass die SPD ja bereit ist, sozusagen auf diese Demonstrationen sehr positiv zu reagieren. Aber das betrifft ja inzwischen einen erheblichen Teil des Parteienspektrums. Man könnte ja fast von einer Art von Umarmungstaktik sprechen. Die Stimmen, die sich sozusagen kritisch, skeptisch davon absetzen, sind ja eher in der Minderzahl. In den USA ist es natürlich anders. Man muss auch sehen, dass die Organisatoren von "Occupy Wall Street" zunächst einmal ja nichts anderes vor hatten, als Präsident Obama aufzufordern, dass er nämlich den Lobbyismus sozusagen besser kontrollieren sollte, dass die Geldflüsse an die einzelnen Abgeordneten genauer untersucht werden sollten. Das heißt, dort gab es auch sozusagen ein politisches Motiv hinter den Klagen gegenüber dem Finanz- und Bankensektor.

    Armbrüster: Ganz kurz, Herr Kraushaar. Was erwarten Sie für die kommenden Wochen?

    Kraushaar: Also ich glaube schon, dass sich das als eine ganz spannende Entwicklung herausstellen wird, denn wir haben ja im Unterschied zu der Bundesrepublik gesehen, dass in Spanien beispielsweise und Italien Hunderttausende auf die Straße gegangen sind, und es kann sein, dass diese Impulse auch noch mal stärker zurückschlagen werden auf das, was wir hier in Deutschland haben. Also ich würde es nicht ausschließen, dass sich doch noch mal eine kräftige Bewegung daraus wird entwickeln können.

    Armbrüster: Zunächst mal haben die Anti-Banken-Proteste in Deutschland aber ein etwas diffuses Bild geboten. Wir haben darüber gesprochen mit Wolfgang Kraushaar, Protestforscher und Politikwissenschaftler am Institut für Sozialforschung in Hamburg. Schönen Dank! Besten Dank, Herr Kraushaar, für das Gespräch und einen schönen Tag noch.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.