Zuzanna Czebatul: "Es ist dunkel. Die Straße voller Gerümpel und Steine. Um einen herum Tausende von Menschen, die jeden Moment losrennen können. Und wenn das Tränengas ausströmt, dann wird es noch schwieriger."
Die Berliner Bildhauerin Zuzanna Czebatul berichtet von einer Demonstration, die sie vor zwei Wochen in der Hongkonger Innenstadt erlebt hat. Mit ihren schwarzen Haaren und ihrer zierlichen Körpergröße sei sie im Gedränge kaum aufgefallen. "In dem Moment, wo die Polizei angefangen hat, friedliche Demonstrationen gewaltsam aufzulösen – mit Tränengasgeschossen und Gummigeschossen – wurden Regenschirme eingesetzt, um halt einmal visuell eine Art von Wirkungskraft zu erzeugen, und gleichzeitig wurden sie eine Art Abwehrmechanismus oder Rüstung, die natürlich in keinem Verhältnis steht zu der Vollausstattung der Polizeibeamten, die mit ihren zwei Meter großen Plexiglasschildern in die Demonstration reingeschlagen sind."
Hongkong - "Stadt der zwei Systeme"
Während einer mehrmonatigen China-Reise besuchte die Künstlerin im August zum ersten mal Hongkong. Die Atmosphäre der "Stadt der zwei Systeme" hatte es ihr angetan. Festlandchina stand für sie in einem drastischen Kontrast zu "der Fröhlichkeit und Offenheit und kosmopoliten Freiheit. Ich bin zurückgekehrt nach Hongkong, weil ich mir überhaupt nicht vorstellen konnte, wie eben dieses demokratische, freiheitliche, liberale Hongkong jetzt plötzlich in dieses kommunistische Regime gepresst werden soll".
Der Erdrutsch-Sieg der chinakritischen Opposition bei den Hongkonger Kommunalwahlen verdeutlicht den Rückhalt, den die größtenteils jungen Demonstrierenden in der Zivilbevölkerung besitzen. Wer in Hongkong aufgewachsen ist, so Czebatul, der wisse, dass die derzeitigen Proteste vermutlich die letzte Chance sind, Widerstand gegen die Vereinnahmung durch die kommunistische Partei Chinas zu leisten.
Wasser statt Feuer
"Be Water – Sei Wasser" lautet das Motto, das diesen Zusammenhalt für Zuzanna Czebatul am besten beschreibt. Diesem Motto spürt die entschlossene Künstlerin mit ihrer Kamera nicht nur an der Frontlinie der Straßenkämpfe nach. Ihre Fotos vermitteln eine ästhetische Perspektive auf den Protest und unterscheiden sich so von jenen der täglichen Berichterstattung: statt Krawall und zielloser Brandstiftung ein organisches Ineinanderfließen von paramilitärischer Strategie und visuell ansprechender Symbolik. Viele Bilder zeigen stumme Gesten und Hinterlassenschaften. Etwa von Unterstützer*innen an einer Straßenecke deponierte Verpflegungen: Fischburger und Wasserflaschen. Eben Wasser statt Feuer.
Ein weiteres Foto zeigt eine sechsspurige Fahrbahn, auf der in regelmäßigen Abständen Pflastersteine verteilt liegen. "Das Spannende an diesem Anblick war, dass diese Pflastersteine aus einem Bürgersteig zwei Meter weiter diese große Straße so unfunktional machen."
Türmchen als Straßensperren
Die Straße kann so insbesondere nicht mehr von den Wasserwerfern der Polizei befahren werden, "die sind so schwer, dass, selbst wenn sie über so einen kleinen Stein fahren, die Reifen kaputt gehen. Und das ist eine sehr wirkungsvolle Methode. Es ist aber auch ein Ausdruck, des Willens, dass man so nicht weiter machen möchte. Die Straße hat eine andere Funktion als der Bürgersteig - und dass eben der Bürgersteig, sich der Straße in den Weg legt."
Ein anderes Bild, eine andere Straße. Hier wurden die Pflastersteine zu kleinen Stonehenge-ähnlichen Türmchen aufgebaut, aus "immer zwei nebeneinander stehenden und einem darauf liegenden Stein und diese Steinformationen repräsentieren die Architektur des Hongkonger Regierungsgebäudes, was tatsächlich genauso aussieht - ziemlich smart: diese kleinen Regierungsgebäude auf die Straße zu stellen und sie zu nutzen sowohl als tatsächliche Behinderung, aber eben auch als Symbol für, wie sich die Regierung auch selber im Weg steht und wie sie von sich selbst überfahren wird."
Objekte erzählen Geschichte
Ein bestimmtes Projekt hatte Czebatul nicht vor Augen, als sie ihre Fotos machte. Aber vielleicht war es gerade ihre sonstige Arbeit - die Bildhauerei -, die ihren Blick für die Ästhetik des Hongkonger Widerstands schärfte. "Als Bildhauerin beschäftige ich mich hauptsächlich mit Gegenständen, mit Objekten in einem Raum, was sie eben für eine Ausdruckskraft haben und was sie für Gefühle auslösen, wenn man ihnen auch physisch begegnet. Ich mache Abdrücke von historischen Monumenten und versuche herauszufinden, wie kunstgeschichtliche Erscheinungsformen von Macht sich in unserem Alltag auffinden lassen und was das eben für Auswirkungen hat."
Diese Bildhauer*innen-Brille trug sie in Hongkong stets unter jener materiellen Brille, die sie vor dem Tränengas schützte. Sie hat ihr geholfen, intuitiv "die Objekte erzählen zu lassen, warum sie da stehen und den Willen von denen, die sie so da hingestellt haben".