Wie angekündigt marschieren sie wieder in Massen auf den Straßen, schwenken Fahnen, Plakate und schreien dem Regime entgegen, dass es sich verziehen soll. Nach dem Freitagsgebet füllen sich die Straßen wieder massenhaft mit Menschen - vor allem auch in der Hauptstadt Algier. Daran hat auch die Wahl am Donnerstag nichts geändert, sagt der 24-jährige Oussama aus Algier.
Oussama ist Tagelöhner: "Diese Gang hat uns fünf Wölfe und ihren eigenen Präsidenten aufgedrängt. Und das ganze Volk lehnt ihn ab. Wir bleiben in den Straßen, werden weiter friedlich demonstrieren und kämpfen bis zum Sturz dieses korrupten Regimes! Wir hoffen auf einen sofortigen Sieg für dieses Land!"
Auch der 61-jährige Händler Farid stimmt ihm zu: "Ich bin mit diesen Wahlen nicht einverstanden. Es ist jedem klar, dass sie zu 100 Prozent Betrug sind. Ich lehne sie entschieden ab."
Szenen vom Wahltag: Vor allem in der Kabylei, im Osten des Landes; kam es zu Auseinandersetzungen mit der Polizei. Wahllokale wurden mit Backsteinen und Zement verschlossen, Wahlunterlagen in Brand gesetzt. Laut Medienberichten griffen die Sicherheitskräfte hart durch. Die Polizei setzte Tränengas ein. Vertreter der sogenannten Hirak-Protestbewegung beklagten Hunderte verhaftete und verletzte Menschen.
Neuer Präsident - und im Hintergrund der Armeechef
Die Wahlbehörde verkündete am Freitagmittag: Algeriens neuer Präsident heißt Abdelmadjid Tebboune. Rund 58 Prozent der Stimmen soll er erhalten haben. Tebboune war in der Vergangenheit mehrfach Minister und im Jahr 2017 schließlich drei Monate lang Ministerpräsident unter dem ehemaligen Präsidenten Abdelaziz Bouteflika. Er ist bei den vielen Demonstranten genauso verhasst wie seine vier Kontrahenten bei der Präsidentschaftswahl. Sie alle gelten als Vertraute des ehemaligen Machthabers Bouteflika, den die Protestbewegung im Frühjahr nach 20 Jahren zum Rücktritt gezwungen hatte.
Die Demonstranten halten die Wahlen für unrechtmäßig und manipuliert, sagt Politologe Kader Abderrahim. "Wir brauchen uns keine Illusionen machen, dass wir jetzt eine Demokratie haben oder ein Rechtsstaat werden. Ohne Zweifel wird das viel Zeit brauchen. Aber ich denke, das Regime wird jetzt erst einmal weitere Großbrände verhindern wollen. Ich glaube nicht daran, dass es in Gewalt umschlagen wird, zumindest nicht im militärischen Sinne."
Damit spielt der Politologe auf den mächtigen Armeechef Ahmed Gaïd Salah an, der zurzeit als inoffizieller Machthaber des Landes gilt. Das Militär klammert sich an seine Machtposition, aber auch an diverse geschäftliche Interessen. Viele Bürger befürchten ein Eingreifen des Militärs.
"Der neue Präsident wird intern und extern abgelehnt"
Der Druck auf das Regime wächst – auch wirtschaftlich. Algerien konnte bislang seine Staatskassen fast ausschließlich dank seiner Öl- und Gasvorkommen füllen. Das Problem: Der Ölpreis ist seit 2014 deutlich gesunken. Viele Menschen sind ohne Arbeit. Die algerische Regierung hat in den vergangenen fünf Jahren versucht, gegenzusteuern: So förderte sie beispielsweise die Autoindustrie – und ließ hier sogar internationale Kooperationen zu. Der VW-Konzern konnte so 2017 ein Montagewerk eröffnen. Volkswagen verkündete nun aber: die Produktion werde vorerst ausgesetzt - aufgrund der politischen Krise. Die Luft für das Regime wird dünner - das beobachtet auch Politologe Kader Abderrahim.
"Es gibt überhaupt keine Legitimität - und wenn wir das bedenken: Der neue Präsident wird intern und extern abgelehnt. Das wird die Position Algeriens international schwächen, weil sie sich auf internationalen Konferenzen ja auch präsentieren müssen."
Seit einigen Monaten schon werden Geschäftsleute und Spitzenpolitiker mit Verbindungen zum Bouteflika-Clan angeklagt. Erst in dieser Woche wurden einige unter anderem wegen Korruption zu Haftstrafen verurteilt - vor einem Jahr noch undenkbar. Algeriens Protestbewegung sieht die Verurteilten aber lediglich als Bauernopfer an. Sie wollen weitermachen - bis das ganze Regime fällt.