Archiv

Protestmarsch
Die Beerdigung des Krieges

Unter dem Titel "Als wir noch an was glaubten" inszeniert die Künstlerin Anna McCarthy einen Protestmarsch in München. Ihr Beitrag zum Programm "1914|2014 - Die Neuvermessung Europas" ist eine Kunstintervention im öffentlichen Raum.

Von Andi Hörmann |
    Transparente tackern, Stoffbanner schneiden, Dekorationen mit Kabelbindern befestigen - tagelang hat Anna McCarthy mit befreundeten Künstlern und Musikern die LKW-Ladefläche eines 7,5-Tonners kunstvoll, trashig verziert:
    "Der Hauptwagen sieht eigentlich wie ein Bierzelt aus. Es sollte schon sehr positiv sein und friedlich wirken. Also es ist eigentlich so eine Mischung aus Bierhalle, Trauerzug und Friedensschiff."
    Girlanden in Tannengrün kräuseln sich wellenförmig entlang roter Stoffbahnen. Staunende Eierköpfe aus Pappmaschee hängen über die Brüstung. Verstärkerboxen und Mikrofone - Schlagzeug, Gitarren, Synthesizer.
    "Es ist eine Pseudodemonstration - im Endeffekt ist es schon kritisch, aber ein bisschen fiktiver und poetischer. Es ging mir darum, dass es eine Kritik an Krieg ist, eine poetische Kritik an Krieg."
    ´Als wir noch an was glaubten` nennt Anna McCarthy ihren poetischen Protestmarsch: eine Pop-Prozession durch München als Auftaktveranstaltung zum Thema ´1914|2014. Die Neuvermessung Europas`.
    "Wie kann man 100 Jahre Erster Weltkrieg in die Jetztzeit in München in den öffentlichen Raum transportieren? Wie kann man das fühlbar machen? Wie kann man das in irgendeiner Form begreifbar machen?
    Zwischen Trauermarsch und Kriegsdemonstration
    Kerstin Möller vom Kulturreferat München stellt die Kernfragen zu dem von der Stadt ausgelobten Projekt. Fünf Künstler geben von März bis September im öffentlichen Raum mögliche Antworten. Anna McCarthy nähert sich dem Gedenken an den Ersten Weltkrieg über einen Protestmarsch zwischen Trauerzug und Kriegsdemonstration - den Krieg zu Grabe tragen, ihn ein für alle mal beerdigen.
    "Sie nimmt da Bezug auf die Bayerischen Geschützwerke Freimann, das jetzige Zenith-Gelände, was während des Ersten Weltkrieg der von Krupp geführte größte Münchner Rüstungsbetrieb war. Januar 1918 war die Krupp-Belegschaft dort die erste, die revoltierte und gegen den Krieg rebellierte. Es gab dann eine Demonstration von Freimann in die Innenstadt. Und Anna McCarthy und ihre Freunde werden das umdrehen und fahren vom Marienplatz zum Zenith-Gelände, also zu den früheren Geschützwerken. Und auf den Umzugswagen sind Bands, die singen Arbeiter- und Anti-Kriegslieder."
    Montag, 13:00 Uhr, Marienplatz - direkt vor dem Münchner Rathaus. Die mit Trauerschmuck verzierten Demonstrationswagen stehen bereit zur Abfahrt. Die Künstler sind in Festtagstrachten gekleidet - altertümlich und fantasievoll. Touristen machen Fotos, Passanten lauschen der ersten Kundgebung: ein Auszug aus dem Tagebuch des Schriftstellers Erich Mühsam, dem Freidenker und politischen Aktivisten der Münchner Räterepublik.
    Mit ihrer Performance-Pop-Band "Damenkapelle" hat Anna McCarthy für ihre lautstark rumpelnde Kunstaktion durch die Münchner Straßen ausgewählte Gedichte von Hugo Ball und Erich Mühsam vertont.
    "Die haben Gedichte geschrieben und dann darunter geschrieben: zur Melodie von ... zum Beispiel ´Immer langsam voran`. Das sind alles Marschlieder, Militärmarschlieder."
    "Das ist nicht deutlich genug ausgedrückt, um was für einen Krieg es sich handelt. Aber die Musik - ich habe es am Marienplatz mitverfolgt - ist ganz schön. Wenn die Damen da singen, das klingt ganz gut."
    "Der Krieg wird beerdigt? Das ist immer eine gute Sache."
    Auf dem Demonstrationswagen steht Nick McCarthy am Keyboard. Der Bruder der Künstlerin ist Gitarrist der weltbekannten Indie-Gitarren-Band Franz Ferdinand. Als Teil der Kunstperformance verkörpert er an diesem Nachmittag in Soldatenfrack und Militärhelm den historischen Franz Ferdinand, dessen Tod als Auslöser des Ersten Weltkrieg<ins cite="mailto:Fischer,%20Sigrid%20[X]" datetime="2014-04-01T10:18">s</ins> gilt.
    "Ich bringe uns eigentlich nicht gerne in Verbindung mit dem echten Franz Ferdinand, weil der eigentlich ein totaler Arsch war. Seitdem wir die Band gegründet haben, habe ich natürlich über ihn nachgelesen und der war so ein Typ, der ist mit dem Maschinengewehr auf die Jagd gegangen. Der hat eigenhändig tausende von Hirschen erlegt, so etwas ist einfach hirnrissig. Auch seine politischen Ansichten waren einfach verrückt. Aber für meine Schwester tue ich alles."
    Im "Zenith" befand sich früher der größte Müncher Rüstungsbetrieb
    Ironie der Geschichte: Die Band Franz Ferdinand spielt am Abend vor tausenden Zuschauern im Zenith. Genau an dem Ort also, der vor hundert Jahren der größte Rüstungsbetrieb in München war. Anna McCarthy lässt ihren Protestmarsch zur Beerdigung des Krieges ganz bewusst auf dem heutigen Konzertgelände enden. Dabei schafft sie mit ihrer Kunstaktion ein überaus gelungenes Gedenken an die Gräueltaten der Geschichte. Im Klang der verzerrten Gitarren wird klar: Das ist zeitgemäß, das hat Zeitbezug:
    "Gerade sind wir ja eher in dem Moment, dass man Angst hat, dass vielleicht ein Krieg ausbrechen könnte. Dieses Gefühl, dass jetzt die Leute aggressiver werden könnten, oder dass die Politik aggressiver wird, oder dass es gerade an der Schwelle ist - das spürt man ja."