Trotz des wechselhaften Brüsseler Aprilwetters haben sich einige hundert Menschen auf dem Platz vor der Kirche Saint-Jean-Baptiste zusammengefunden. Hier im Stadtteil Molenbeek, der als Problemviertel und Zentrum radikaler Islamisten in Verruf geraten ist, wollen die Menschen ein Zeichen setzen gegen Terror und Hass. Kinder malen mit Kreide Herzen und das Wort Solidarität auf den Boden. Viele Menschen halten Blumen in den Händen und haben Transparente gebastelt, mit denen sie zum friedlichen Miteinander aufrufen.
Pascal Verheye hält ein Schild mit der Aufschrift "Molenbeek" in der Hand. Dahinter ein Herz. Das O in Molenbeek ist als Friedenszeichen gestaltet. Verheye lebt seit fünf Jahren in Molenbeek:
"Ja, es gibt natürlich Familien, die nicht mehr gern in mein Haus kommen. Die haben natürlich etwas Angst, nach dem, was passiert ist. Man braucht Zeit, um wieder das normale Leben zu haben. Das wird ein oder zwei Jahre brauchen, bis die Leute wieder nach Molenbeek kommen werden."
Bessere Bildung statt Durchgreifen
Vom harten Durchgreifen in Molenbeek, wie es Innenminister Jan Jambon angekündigt hat, hält Verheye nichts. Jambon sei ein Hardliner, der nur seinen Wählern nach dem Mund rede. Vielmehr brauche es bessere Bildung und eine bessere Beziehung zwischen Bürgern und Polizei, findet Verheye.
Die belgische Politik hat zumindest erste Konsequenzen aus den Anschlägen gezogen: Ein Untersuchungsausschuss soll klären, ob und wenn ja welche staatlichen Stellen bei der Terrorabwehr versagt haben. Außerdem trat vergangene Woche die für die Flughafensicherheit zuständige Verkehrsministerin zurück.
Langsam setzt sich der Demonstrationszug in Bewegung. Vorneweg läuft eine Gruppe Kinder. Voller Inbrunst rufen sie dem sogenannten Islamischen Staat zu: "Daesh. Verpiss dich! Brüssel gehört dir nicht."
Brüssel applaudiert sich
Weiter geht es in Richtung Innenstadt. Ein zweiter Demonstrationszug aus Richtung Nordbahnhof kommt hinzu, am Ende sollen es nach Schätzungen der Polizei 7.000 Menschen gewesen sein. Sie ziehen vorbei an der Börse – dem Platz, der zum offiziellen Gedenkort der Anschläge vom 22. März geworden ist. Immer wieder brandet spontaner Beifall auf.
Die Brüsseler applaudieren sich – dass sie sich trotz des Terrors nicht unterkriegen lassen. Und sie applaudieren dem Leben, das sie gemeinsam führen wollen, unabhängig von Religion oder Hautfarbe. So wie Mohamed El Boutaibi:
"Ich bin Vater, ich habe ein Kind. Es soll sehen, dass wir Bürger in Belgien sind. Alle Menschen hier sind meine Brüder. Wir können es nicht akzeptieren, dass drei oder vier Leute unser gemeinsames, friedliches Leben zerstören. Deshalb sind wir hier, um zu zeigen, dass wir uns gegenseitig respektieren und hier ein gemeinsames Leben führen."
Es sei unmenschlich, was die Attentäter getan haben, sagt El Boutaibi. Der 52-Jährige spürt jeden Tag, dass sich seit den Anschlägen etwas verändert hat. Vor allem das Verhältnis zu Nicht-Muslimen sei ein anderes geworden:
"Sie stellen Fragen wie: 'Warum tun junge Muslime so etwas? Liegt es an eurer Religion?' Wir sagen: Nein, der Prophet hat selbst gesagt: Ich bin für den Frieden. Wir bringen unseren Kindern bei, dass sie Frieden verbreiten sollen. Wir müssen zusammen in Frieden leben."
Am 22. März wurde Belgien ins Mark getoffen
Das ist auch die Botschaft der Angehörigen und Freunde der Opfer und derer, die die Anschläge selbst miterlebt haben oder die als Helfer im Einsatz waren. Auf der Abschlusskundgebung liest eine junge Frau einen Text einer der Hinterbliebenen vor:
"An diesem 22 März wurde Belgien ins Mark getroffen, in seinen Werten, seinem Glauben und seiner Freiheit. Lasst uns die Unterschiede zur Seite schieben, gemeinsam gehen wir den Lebensweg! Ob wir nun Christen, Atheisten, Juden oder Muslime sind: Reichen wir uns die Hand und vereinigen wir die Kräfte, diesmal für immer!"
Als die Namen der 32 Opfer vorgelesen werden, wird es ganz still. Einige haben Tränen in den Augen, ringen um Fassung.
Auch wenn weniger als die erwarteten 15.000 Menschen auf die Straße gegangen sind: Für viele war das ein wichtiger Tag, um zu zeigen: Wir lassen den Terror nicht unser Leben bestimmen. Tous ensemble – alle zusammen.