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Protestmarsch von Berlin nach Aleppo
"Los, lasst uns was machen!"

Für die polnische Journalistin Anna Alboth ist die Situation in Syrien "die größte Tragödie unserer Zeit". "Wir können das nicht einfach mit ansehen", sagte sie im DLF. Deshalb hat sie einen Mahnmarsch nach Aleppo initiiert. Am zweiten Weihnachtstag soll es von Berlin aus losgehen.

Anna Alboth im Gespräch mit Johanna Herzing |
    Kinder spielen in Aleppo vor zerstörten Gebäuden
    Für die Menschen in Aleppo: "Wir wollen einfach mit unserer Gruppe einen Druck aufbauen", sagt Alboth (picture alliance / Str/EPA/dpa)
    Johanna Herzing: Wie sind Sie denn eigentlich auf diese Idee gekommen?
    Anna Alboth: Das ist eigentlich so im vergangenen Jahr gereift, seit bei uns ein syrischer Flüchtling wohnt. Wir haben in Sachen Flüchtlinge hier in Berlin unheimlich viel gemacht: verschiedene Kampagnen, Picknicks, Sammelaktionen. Das Thema Syrien war dann einfach täglich Thema, weil unser Mitbewohner natürlich Anrufe aus seiner Heimat bekam, auch in den Berliner Flüchtlingsunterkünften haben uns die Menschen sehr viel erzählt. Für uns ist dieser Krieg also kein Fernsehereignis, sondern Teil unseres täglichen Lebens. Und als ich vor zwei Wochen in einer Unterkunft war und noch mehr Geschichten hörte – das war der Tag, als die Krankenhäuser bombardiert wurden – da bin ich nach Hause gegangen und hatte das Gefühl, dass jetzt so ein Wendepunkt da ist. Ich saß da, habe geweint, die Videos angesehen, zu denen wir alle ja Zugang haben. Und ich glaube, das war einfach zu viel. Mir war klar, dass es allen in meinem Bekanntenkreis ähnlich ging. Und das kann doch einfach nicht sein, dass wir so viele sind und nichts unternehmen können. Also hab ich gesagt: Los, lasst uns was machen! Was, wenn wir da alle hingehen würden?! Ich hab das so aus einer Hilflosigkeit heraus gesagt und da meldeten sich dann plötzlich Leute aus aller Welt, die sagten: Ok, wenn du gehst, dann gehe ich auch. Das ist so eine verrückte Idee, vielleicht kann die ja was bewirken.
    Johanna Herzing: Welches konkrete politische Ziel verfolgen Sie mit Ihrer Aktion?
    Alboth: Dieser Konflikt ist so komplex, dass ein durchschnittlicher Mensch wie ich nicht mal weiß, wer da welche Strippen zieht. Wenn ich eine politische Lösung für diesen Konflikt hätte, dann hätte ich einen anderen Job. Und trotzdem bedeutet das nicht, dass ich nicht klarmachen könnte: Damit bin ich nicht einverstanden und ich halte das für die größte Tragödie unserer Zeit! Wir wollen einfach mit unserer Gruppe einen Druck aufbauen, dass irgendjemand eine Lösung findet. Wir können das nicht einfach mit ansehen und sagen: Wir können ja nichts ausrichten!
    Herzing: Heißt das, dass es Ihnen nur um einen symbolischen Akt geht?
    "Bei mir melden sich Leute aus aller Welt"
    Alboth: Klar kann man das als rein symbolischen Akt sehen, aber ich bemerke jetzt schon, dass er etwas bewirkt, dass mehr Leute darüber sprechen. Bei mir melden sich Leute aus aller Welt, die sagen: Ich kann zwar nicht mit euch gehen, aber ich lade eine syrische Familie zu Weihnachten ein. Und allein dafür hat es sich doch schon gelohnt, auf die Pauke zu hauen und zu sagen: Wir machen uns auf nach Aleppo und wir gehen so weit, bis wir unser Ziel erreicht haben. Ich weiß nicht, wie lange das dauern wird, ob das schon kurz nach unserem Aufbruch der Fall sein wird oder ob wir wirklich bis nach Aleppo gehen müssen, um dort diesen Druck aufzubauen. Keine Ahnung!
    Herzing: Es gab ja auch kritische Kommentare auf Ihrer Internetseite nach dem Motto: Was hilft das den Syrern? Wie reagieren Sie auf solche Fragen?
    Alboth: In den vergangenen zwei Wochen habe ich ganz unterschiedliche Reaktionen aus aller Welt bekommen. Aber für mich ist entscheidend, was mir Syrer sagen. Die hier in Berlin und die in Aleppo, mit denen wir Kontakt haben und die uns Videos schicken oder mich anrufen, die sagen, dass sie eigentlich schon jede Hoffnung aufgegeben hatten, aber jetzt sei das anders. Manche verabschieden sich auch und sagen, dass sie nicht wissen, ob sie noch einen weiteren Tag erleben, aber dass das leichter ist in dem Wissen, dass es jemanden gibt, dem das nicht total egal ist. Das ist ein Konflikt der in den sozialen Medien unglaublich präsent ist und wenn ich an den Warschauer Aufstand denke, an Bosnien oder Ruanda – da sind die Menschen davon ausgegangen, dass niemand von ihrem Leid weiß. Die Menschen in Aleppo, die jeden Tag auf ihren Handys sehen, wie viele Millionen Menschen das Foto von ihrem toten Kind auf der Straße angesehen haben – die wissen doch sehr gut, dass wir das alles mitbekommen. Damit kann ich mich doch nicht einfach abfinden!
    Herzing: So eine Reise erscheint ziemlich riskant – Wie verhindern Sie, dass die Hilfsorganisationen in Syrien am Ende Sie und Ihre Gruppe retten müssen?
    Alboth: Wir wollen uns wirklich nicht in eine bedrohliche Situation bringen, wo wir dann auf Hilfslieferungen angewiesen wären, die eigentlich für Syrer bestimmt sind. Wir wollen einfach ein Werkzeug sein, um humanitäre Korridore zu eröffnen. Wir sind dauernd im Kontakt mit Experten in der Türkei und in Syrien. Ich werde ganz sicher nicht so tun, als wäre ich ein Profi und versuchen Menschenleben zu retten. Ich bin einfach Ania, die eine Idee hatte. Die Leute, die dort mit den LKWs und den Hilfslieferungen warten, die müssen dann rein.
    "Das für mich gar keine Niederlage werden"
    Herzing: Sie wohnen in Berlin, kommen aber gebürtig aus Polen. Wie sehen Sie die deutsche Gesellschaft, sind wir was den Krieg in Syrien angeht gleichgültig oder zu bequem?
    Alboth: Der ganze Umgang mit den Flüchtlingen im letzten Jahr hat mich total positiv überrascht. Und ich war glücklich hier in Berlin zu leben, dieses Engagement zu sehen und Teil davon zu sein. Im Moment ist die Situation interessant: Meine Idee, die eine winzigkleine Chance hat wirklich zu funktionieren, also diese Idee hat so viele Leute aus aller Welt angesprochen und da fällt mir auf, dass die Deutschen wirklich ganz besonders skeptisch sind, also selbst unter denen, die sich uns angeschlossen haben. Ich glaube, die Deutschen wollen einfach sehen, dass eine Sache wirklich Sinn ergibt und sie wollen keine Niederlage riskieren. Aber wenn wir diese Energie aufbringen, überhaupt etwas zu unternehmen, dann kann das für mich gar keine Niederlage werden.