"Ein Schiffstagebuch (Logbuch) ist ein Buch der Unruhe. Alles zieht vorüber, der Blick findet nie ein festes Ziel. Betrachten, im Unterschied zum bloßen Beobachten, ist ein Begriff aus der Mönchssprache und meint Versenkung, Anschauung, Deuten, Erkennen. Aber wie soll man erkennen, was fortwährend flieht?"
(Franz Hammerbacher, "Passagen", S. 25)
Fast am Ende seiner Reise hat Franz Hammerbacher ein Zitat von Walter Benjamin im Kopf, das durchaus als Titel über dem ganzen Weltumrundungsprojekt von Hammerbacher stehen könnte: "Ich habe nichts zu sagen, nur zu zeigen." Ausgerechnet in achtzig Tagen fährt der österreichische Schriftsteller also um die Welt. Auf einem Containerschiff namens Zim Ontario, auf dem er keine Funktion hat. Auf jeder Passagierliste, stellt er süffisant fest, ist er im Grunde genommen nichts als ein besseres Gepäckstück: Er darf nicht arbeiten, er darf sich nicht einmischen, er darf nichts tun. Noch nicht mal krank werden, denn selbst für einen schwer erkrankten Passagier, diesen Passus musste Hammerbacher vor seiner Reise unterschreiben, wird das Schiff seine Route nicht ändern – die fristgerechte Lieferung der Container hat Vorrang gegenüber dem Wohl des Mitreisenden, der sich die unkomfortable Situation schließlich selbst ausgesucht hat. Eine Abenteuerreise ohne Abenteuer. Genau das ist es, was Franz Hammerbacher sucht.
"Nur vorübergehend bin ich Teilhaber am Leben einer Mannschaft, indem ich teilnehme an einer Reise, die auch ohne mich und ohne jeden anderen Passagier stattfände. Ich habe hier nichts zu sagen, nichts zu tun, außer zu schauen, zu fühlen, zu denken. Augen- und Gemütszeuge zu sein."
(Franz Hammerbacher, "Passagen", S. 7)
Es braucht eine Weile, bis man sich an den Rhythmus von Hammerbachers "Passagen" gewöhnt hat: Das Ereignislose und Meditative seiner Reise hat der österreichische Schriftsteller zu seinem Stilprinzip gemacht. Und so fragt man sich auf den ersten Seiten durchaus, warum man überhaupt dabei sein muss: Der Schiffsreisende sitzt in seiner Kabine, schaut auf das Wasser, beschwert sich über das schlechte Essen des phillipinischen Kochs und gibt sich ansonsten der gediegenen Langeweile hin. Doch ist es mit Hammerbachers Aufzeichnungen etwa so wie mit einem Ausflug in die Natur: Am Anfang steht man zwischen Wiesen und Wäldern und hat keine Auge für Details. Erst nach einer gewissen Zeit, wenn die Sinne sich geschärft haben, fängt man an, wirklich zu beobachten. Und so entwickelt das Protokoll einer ereignislosen Reise in achtzig Tagen um die Welt erst nach und nach einen unglaublichen Sog, entpuppt sich der vermeintlich karge Stil als bescheidener, geschliffener Ton, versehen mit viel subtiler Komik. Es sind nicht die großen Dinge, die bei diesem Buch Freude bereiten – ein Blick aufs endlose Meer durch die Augen des Autors genügt dafür schon.
"Wellen zu beobachten, ist kein bloßer Zeitvertreib, sondern eine Schule des Sehens, die immense Freude macht. Wie der Schaum vom Wellenkamm in Kaskaden hinabstürzt oder zurückschwappt in ein Tal aus schäumendem Weiß, ist auf Foto und Film kaum zu bannen; ein Schauspiel, das flüchtig bleiben muss. Seine Schönheit offenbart sich nur unvermittelt, im Augenblick."
(Franz Hammerbacher, "Passagen", S. 44)
Zugegebenermaßen verläuft Hammerbachers Reise nicht ganz ereignislos: Die Überwindung des Panamakanals, bei der das Schiff einen immensen Höhenunterschied zu bewältigen hat, die atemberaubenden Einfahrten in die Häfen der Welt, die erhöhten Sicherheitsvorkehrungen am Horn von Afrika aus Angst vor Piraten: Gelassen und präzise erzählen die "Passagen" vom alltäglichen Leben der Seeleute. Dabei merkt man Franz Hammerbacher an, dass er selbst schon viel erlebt und viel gelesen hat, nicht nur wegen der reichhaltigen Zitate, die von Hans Blumenberg bis Samuel Beckett reichen und nie wahllos platziert sind: Wenn der Österreicher von Erlebnissen berichtet, dann sind es stets solche, an die man nicht gedacht hätte: Die Anekdote über einen sechsfingrigen Matrosen, der allein deshalb stets seine Unschuld hinsichtlich schmuddeliger Handabdrücke auf den Schiffstüren beweisen konnte, der Besuch eines chinesischen Friseurs, über dessen Hinterzimmer der Erzähler viel andeutet, sich aber letztlich doch dezent ausschweigt – literarisch subtile Miniaturen sind es, die Franz Hammerbacher aus seinen Beobachtungen geformt hat. Immer, und das ist die größte Leistung des manischen Beobachters in den "Passagen", geht sein Blick ein Stück am Offensichtlichen vorbei.
"Am Straßenrand stoßen wir überraschend auf einen abgestellten Zim-Container von genau der Art, wie wir sie zu Tausenden auf dem Schiff transportieren. Es ist der Höhepunkt des Tages. (Dazu eine Parallele aus meiner Zeit als UN-Soldat am Golan: Während der Besichtigung eines Kibbuz am See Genezareth hatte keiner der Kameraden ein Auge für die Synagoge. Fotografiert wurde nur der Luftschutzraum."
Am Schluss dieser überwiegend ereignislosen, aber doch täglich überraschenden Reise in achtzig Tagen um die Welt teilt man die Melancholie des Erzählers: Aus der Abgeschiedenheit der Meere kehrt er zurück ins alte Europa, gerät der meditative Alltag in Unruhe, haben die Mobiltelefone wieder Empfang. So bleibt von den in ihrer Bescheidenheit zutiefst beeindruckenden "Passagen" vor allem eins zurück: eine unstillbare Sehnsucht. Nach einer Reise, die vielleicht zweckfrei ist, aber keinesfalls sinnlos.
"Ich habe auf meinen Passagen kein Wissen erlangt, das ich nicht auch anders hätte erlangen können. Aber ich habe Form von Zerfall erfahren, für die reisen die beste Voraussetzung ist. Vielleicht, denke ich, ist schreiben die natürliche Reaktion auf den Ich-Verlust."
Franz Hammerbacher: "Passagen".
Edition Korrespondenzen, 2012, 158 Seiten, 18 Euro
(Franz Hammerbacher, "Passagen", S. 25)
Fast am Ende seiner Reise hat Franz Hammerbacher ein Zitat von Walter Benjamin im Kopf, das durchaus als Titel über dem ganzen Weltumrundungsprojekt von Hammerbacher stehen könnte: "Ich habe nichts zu sagen, nur zu zeigen." Ausgerechnet in achtzig Tagen fährt der österreichische Schriftsteller also um die Welt. Auf einem Containerschiff namens Zim Ontario, auf dem er keine Funktion hat. Auf jeder Passagierliste, stellt er süffisant fest, ist er im Grunde genommen nichts als ein besseres Gepäckstück: Er darf nicht arbeiten, er darf sich nicht einmischen, er darf nichts tun. Noch nicht mal krank werden, denn selbst für einen schwer erkrankten Passagier, diesen Passus musste Hammerbacher vor seiner Reise unterschreiben, wird das Schiff seine Route nicht ändern – die fristgerechte Lieferung der Container hat Vorrang gegenüber dem Wohl des Mitreisenden, der sich die unkomfortable Situation schließlich selbst ausgesucht hat. Eine Abenteuerreise ohne Abenteuer. Genau das ist es, was Franz Hammerbacher sucht.
"Nur vorübergehend bin ich Teilhaber am Leben einer Mannschaft, indem ich teilnehme an einer Reise, die auch ohne mich und ohne jeden anderen Passagier stattfände. Ich habe hier nichts zu sagen, nichts zu tun, außer zu schauen, zu fühlen, zu denken. Augen- und Gemütszeuge zu sein."
(Franz Hammerbacher, "Passagen", S. 7)
Es braucht eine Weile, bis man sich an den Rhythmus von Hammerbachers "Passagen" gewöhnt hat: Das Ereignislose und Meditative seiner Reise hat der österreichische Schriftsteller zu seinem Stilprinzip gemacht. Und so fragt man sich auf den ersten Seiten durchaus, warum man überhaupt dabei sein muss: Der Schiffsreisende sitzt in seiner Kabine, schaut auf das Wasser, beschwert sich über das schlechte Essen des phillipinischen Kochs und gibt sich ansonsten der gediegenen Langeweile hin. Doch ist es mit Hammerbachers Aufzeichnungen etwa so wie mit einem Ausflug in die Natur: Am Anfang steht man zwischen Wiesen und Wäldern und hat keine Auge für Details. Erst nach einer gewissen Zeit, wenn die Sinne sich geschärft haben, fängt man an, wirklich zu beobachten. Und so entwickelt das Protokoll einer ereignislosen Reise in achtzig Tagen um die Welt erst nach und nach einen unglaublichen Sog, entpuppt sich der vermeintlich karge Stil als bescheidener, geschliffener Ton, versehen mit viel subtiler Komik. Es sind nicht die großen Dinge, die bei diesem Buch Freude bereiten – ein Blick aufs endlose Meer durch die Augen des Autors genügt dafür schon.
"Wellen zu beobachten, ist kein bloßer Zeitvertreib, sondern eine Schule des Sehens, die immense Freude macht. Wie der Schaum vom Wellenkamm in Kaskaden hinabstürzt oder zurückschwappt in ein Tal aus schäumendem Weiß, ist auf Foto und Film kaum zu bannen; ein Schauspiel, das flüchtig bleiben muss. Seine Schönheit offenbart sich nur unvermittelt, im Augenblick."
(Franz Hammerbacher, "Passagen", S. 44)
Zugegebenermaßen verläuft Hammerbachers Reise nicht ganz ereignislos: Die Überwindung des Panamakanals, bei der das Schiff einen immensen Höhenunterschied zu bewältigen hat, die atemberaubenden Einfahrten in die Häfen der Welt, die erhöhten Sicherheitsvorkehrungen am Horn von Afrika aus Angst vor Piraten: Gelassen und präzise erzählen die "Passagen" vom alltäglichen Leben der Seeleute. Dabei merkt man Franz Hammerbacher an, dass er selbst schon viel erlebt und viel gelesen hat, nicht nur wegen der reichhaltigen Zitate, die von Hans Blumenberg bis Samuel Beckett reichen und nie wahllos platziert sind: Wenn der Österreicher von Erlebnissen berichtet, dann sind es stets solche, an die man nicht gedacht hätte: Die Anekdote über einen sechsfingrigen Matrosen, der allein deshalb stets seine Unschuld hinsichtlich schmuddeliger Handabdrücke auf den Schiffstüren beweisen konnte, der Besuch eines chinesischen Friseurs, über dessen Hinterzimmer der Erzähler viel andeutet, sich aber letztlich doch dezent ausschweigt – literarisch subtile Miniaturen sind es, die Franz Hammerbacher aus seinen Beobachtungen geformt hat. Immer, und das ist die größte Leistung des manischen Beobachters in den "Passagen", geht sein Blick ein Stück am Offensichtlichen vorbei.
"Am Straßenrand stoßen wir überraschend auf einen abgestellten Zim-Container von genau der Art, wie wir sie zu Tausenden auf dem Schiff transportieren. Es ist der Höhepunkt des Tages. (Dazu eine Parallele aus meiner Zeit als UN-Soldat am Golan: Während der Besichtigung eines Kibbuz am See Genezareth hatte keiner der Kameraden ein Auge für die Synagoge. Fotografiert wurde nur der Luftschutzraum."
Am Schluss dieser überwiegend ereignislosen, aber doch täglich überraschenden Reise in achtzig Tagen um die Welt teilt man die Melancholie des Erzählers: Aus der Abgeschiedenheit der Meere kehrt er zurück ins alte Europa, gerät der meditative Alltag in Unruhe, haben die Mobiltelefone wieder Empfang. So bleibt von den in ihrer Bescheidenheit zutiefst beeindruckenden "Passagen" vor allem eins zurück: eine unstillbare Sehnsucht. Nach einer Reise, die vielleicht zweckfrei ist, aber keinesfalls sinnlos.
"Ich habe auf meinen Passagen kein Wissen erlangt, das ich nicht auch anders hätte erlangen können. Aber ich habe Form von Zerfall erfahren, für die reisen die beste Voraussetzung ist. Vielleicht, denke ich, ist schreiben die natürliche Reaktion auf den Ich-Verlust."
Franz Hammerbacher: "Passagen".
Edition Korrespondenzen, 2012, 158 Seiten, 18 Euro