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Prototyp
Künstliche Gebärmutter für Frühchen

Rund 50.000 Frühchen werden jedes Jahr allein in Deutschland geboren. Auch wenn sie dank medizinischen Fortschritts oft überleben, haben sie häufig Probleme mit der motorischen und sensorischen Entwicklung. Ein Prototyp der "künstlichen Gebärmutter" ist jetzt auf Techtextil, einer Messe für intelligente Gewebe, vorgestellt worden.

Von Anneke Meyer |
    Ein Frühchen in einem Brutkasten
    Eine künstliche Gebärmutter soll den Frühchen erlauben die Welt noch eine Weile so zu erleben, wie sie in Mamas Bauch war. (dpa / picture alliance)
    Wenn nicht gerade ein Baby weint, ist es ruhig auf der Frühgeborenenstation. Ärzte und Krankenschwestern bewegen sich leise und sprechen mit gedämpfter Stimme.
    "Das ungeborene Kind wird ja auch von der Umwelt etwas abgehalten. Wir können das zwar nicht ganz genau messen, wie zum Beispiel die Lautstärke im Uterus ist, aber man kann davon ausgehen, dass das eine Dämpfung ist. Deshalb versuchen wir auch auf diesen Stationen auch eine Atmosphäre herzustellen, die eben etwas leiser ist."
    Vor zu starken Sinneseindrücken schützen
    Auch ansonsten versuchen Rolf Schlößer, Leiter der Neonatologie an der Frankfurter Uni-Klinik und seine Kollegen, ihre winzigen Patienten vor zu starken Sinneseindrücken zu schützen. Ab der zweiundzwanzigsten Schwangerschaftswoche haben die Babys Chancen durchzukommen. Der verfrühte Start ins Leben hinterlässt aber in der Regel langfristige Entwicklungsprobleme. Ein Grund dafür ist die Überforderung der Kleinen mit Aufgaben, denen ihr Körper und ihre Sinne noch nicht gewachsen sind. Nester aus Mulltüchern sollen den Frühchen deshalb etwas von der wohligen Enge im Leib der Mutter zurückgeben. Decken über den Brutkästen dämpfen grelles Licht.
    Dirk Höfer, Wissenschaftler am Hohenstein Institut, würde gerne noch einen Schritt weiter gehen. Statt die Winzlinge nur vor der Welt zu schützen, auf die sie noch nicht vorbereitet sind, möchte er sie mit Sinneseindrücken versorgen, die an Mamas Bauch erinnern. Möglich soll das mit einem "künstlichen Uterus" sein, der unter seiner Leitung entwickelt wurde.
    "Ein Uterus ist als solches natürlich nie zu ersetzen. Das ist vollkommen klar. Sondern wir haben uns hier auf zwei Eigenschaften des Uterus konzentriert. Das eine ist die Motorik, die leichten Kontraktionen die ein Uterus während der gesamten Schwangerschaft auf das Kleine ausübt. Und das andere ist der Ton, also die Umgebungsgeräusche oder auch speziell der Herzschlag der Mutter."
    Umweltgeräusche können angepasst werden
    Rein optisch hat der künstliche Uterus mit einer echten Gebärmutter nicht viel gemein: In einem Brutkasten liegt ein ovales Kissen, mit leicht erhöhten Seiten. Das Material ist faserig und der Struktur von Gebärmuttergewebe nachempfunden, nur nicht so nass. Darin eingekuschelt wiegt eine Babypuppe kaum wahrnehmbar Auf und Ab. Aus dem Kissen ertönt als leises Klopfen ein Herzschlag im Hintergrund klimpert etwas undeutlich ein Wiegenlied.
    "Die Frühgeborenen hören im Mutterleib, im Fruchtwasser diesen Ton anders, also müssen wir den Herzschlag der Mutter aufnehmen und modifizieren und diesen modifizierten Ton im Frühgeborenen-Inkubator anbieten."
    Die Umweltgeräusche die den Herzschlag begleiten, können individuell angepasst werden. Statt einem Wiegenlied könnte das Frühgeborene etwa auch der Stimme der Mutter lauschen. Durch die heimelige Akustik soll das Gehirn der Kinder so angeregt werden, wie es vor der Geburt im Mutterleib eigentlich geschehen würde. Davon erhoffen sich Dirk Höfer und seine Kollegen verbesserte Entwicklungschancen für die Frühstarter. Auch das leichte Wiegen hat einen therapeutischen Zweck. Schon lange ist bekannt, dass sanfte Berührungen den Kindern helfen besser selbstständig zu atmen. Deshalb werden Frühchen regelmäßig von Physiotherapeuten betreut. Die meiste Zeit liegen sie allerdings unbewegt im Brutkasten.
    "Wir möchten die Zeit im Inkubator aber nutzen um die Frühgeborenen auch dort zu therapieren, also auch motorisch anzuregen, indem wir eine Zwischenschicht haben, eine Textilschicht, die mit Niederdruck betrieben wird und an verschiedensten stellen des Körpers, Kopf, Brust, Bauch und Hüftbereich, leichte Impulse auf das Frühgeborene ausüben und damit quasi die Kontraktionen im Uterus nachahmen."
    Wohlbefinden und Gesundheit bei Neugeborenen
    In ersten klinischen Tests hat sich gezeigt, dass das unbewegte Uterus-Kissen gut geeignet ist um Frühchen zu lagern. Für diese Überprüfung zogen die Forscher Messwerte heran, die als Richtwert für Wohlbefinden und Gesundheit bei Neugeborenen dienen.
    Inwieweit die sensorische Stimulation das Wohlbefinden der Kinder erhöht und ihre Entwicklungschancen langfristig verbessert, muss sich noch zeigen. Eine Studie, die der Neonatologe Rolf Schlößer für absolut lohnenswert hält.
    "Es ist einfach so, dass man davon ausgehen kann, dass es den Kindern hilft, weil man sich vorstellen kann, dass es den Kindern hilft. Aber trotzdem muss man eben auch überprüfen ob es wirklich so ist. Ich glaub schon, dass wir immer mehr profitieren von solchen Ideen. Und wir müssen auf jeden Fall diese Forschung weiter führen und versuchen, dass auch diese Kleinigkeiten beachtet werden.
    In der Erfahrung des Arztes ist es gerade die Summe der kleinen Entwicklungen, die die Chancen von Frühgeborenen in den letzten Jahrzehnten drastisch verbessert haben.