Was da im August 1935 über die Bühne ging, oder richtiger: Was im Geheimen verhandelt wurde zwischen der damals notleidenden Dresdner Bank, dem Staat Preußen und seinen Berliner Museen, das war nicht einfach nur ein Geschäft über 7,5 Millionen Reichsmark.
"Ohne Frage war es nicht nur das größte Kunstgeschäft während der NS-Zeit, sondern auch die größte Erwerbung der staatlichen Museen in ihrer bis dahin 100-jährigen Bestehen. Oder wie es Robert Schmidt, der damalige Direktor des Schloss Museums formulierte: Eine Bereicherung von derart großem Ausmaß und Wert, wie sie sich nach menschlichem Ermessen nicht wieder ereignen könne."
Das Wort "Bereicherung" klingt für Lynn Rother mehr als doppeldeutig. Die Kunsthistorikerin hat auch Jura studiert – und kennt sich bestens aus in der Wirtschafts-, speziell der Bankengeschichte. Mit dieser, unter deutschen Akademikern seltenen Kombination konnte sie über zehn Jahre lang eine komplizierte Transaktion durchleuchten, bei der die Dresdner Bank auf Betreiben des Reichsbankpräsidenten und NS-Wirtschaftsministers Hjalmar Schacht mehr als 4.400 Kunstwerke verkaufte, oder besser gesagt: zu Geld machte. Denn es handelte sich bei diesen Skulpturen, Gemälden und kunstgewerblichen Objekten nicht um eine eigens aufgebaute Sammlung, sondern um Wertgegenstände, um "Sicherheiten" von Kreditnehmern, die 1935 – zwei Jahre nach Beginn der Nazi-Herrschaft – nicht mehr für ihre Schulden aufkommen konnten.
Die Kunst kam in die Berliner Museen, heute vertreten durch die Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Aber deren offizielle Vertreter blieben der öffentlichen Diskussion von Lynn Rothers Studie "Kunst durch Kredit" fern. Eher privat erklärt Dorothea Kathmann, Mitarbeiterin der Stiftung:
"Dass dieser Komplex 'Dresdner Bank-Ankauf' schon eine ganz, ganz besondere Materie ist. Und die Stiftung Preußischer Kulturbesitz hat diese unterschiedlichen Facetten schon vor vielen, vielen Jahren sozusagen erspürt, ich will nicht sagen: erkannt."
2014 folgt der mediale Donnerschlag
Was man da jahrzehntelang zu spüren meinte, entlud sich 2014 in einem medialen Donnerschlag: Oskar Kokoschkas Gemälde "Pariser Platz in Berlin", das im Büro des Stiftungspräsidenten hing, stammte aus dem Besitz der jüdischen Kunsthändlerin Anne Caspari. Journalisten fragten nach der Herkunft, der Provenienz, und vermuteten sofort Nazi-Raubkunst. Es hagelte Schlagzeilen. Ein überhastetes Vorgehen, durch das die Wissenschaftlerin ihren sachlich-analytischen Ansatz eher behindert sieht:
"Es ruft sofort Verurteilungen hervor – und Anne Caspari ist ja auch später im Konzentrationslager umgekommen. Anne Caspari ist aber auch ein Beispiel, dass die Galerie ab 1931 stark verschuldet war. Dieses jetzt aufzudröseln, das habe ich nicht für all diese 34 Bankengagements gemacht: inwiefern die dann auch einsetzende antisemitische Verfolgung dazu beigetragen hat, dass letztlich Schulden nicht zurückgezahlt worden sind."
Nicht spektakuläre Einzelfälle, sondern den umfassenden Komplex von insgesamt 34 sogenannten Bankengagements hat Lynn Rother en detail untersucht. Das bedurfte der Auswertung bislang wenig beachteter Archivbestände, darunter die Kreditverträge aus dem Jahr 1931: Allesamt ungewöhnlich, weil Kunstwerke als Sicherheitsleistung nur ungern akzeptiert wurden.
Denn Kunst muss fachgerecht, also aufwendig gelagert werden. Und: ihr Marktwert ist selten exakt zu taxieren. Das ergab langwierige und komplizierte Verkaufsverhandlungen. Deshalb greift die vorschnell skandalisierende Frage nach den "Profiteuren" des damals geheim gehaltenen und auch nach 1945 lange Zeit verschwiegenen "Jahrhundert-Deals" viel zu kurz. Es wäre naiv, etwa die Bank nur moralisch zu verurteilen, weil sie Gewinne zu erzielen trachtet.
"Das ist bankrationales Verhalten. Und wenn jemand in einer deutlich schwächeren Position ist – entweder weil er verfolgt ist oder weil er verschuldet ist oder beides im schlimmsten Fall zusammenkommt – muss man nicht davon ausgehen, dass sie ihren Kunden, ob jüdisch oder nicht, soviel Geld wie möglich gegeben hat. Sondern sie hat natürlich bankrational versucht die Werke für so wenig wie möglich zu erhalten um sie dann weiterzuverkaufen."
Das Buch ist erst der Anfang
Lynn Rothers Buch eröffnet aber die Möglichkeit für weitergehende Vergleiche: Was hat sich nach 1933, mit Machtantritt der Nazis, im Umgang der Bank mit ihren Schuldnern geändert? Machte die Dresdner Bank einen Unterschied zwischen jüdischen und nichtjüdischen Kreditnehmern? Ein erstes Ergebnis präsentierte die Autorin der Provenienz-Studie in Berlin:
"Dass sich bisher nur für 6 von den 34 Bankengagements ein Verfolgungszusammenhang gänzlich ausschließen lässt. Das heißt, dass solche Forschungen natürlich nicht an dieser Stelle stehen bleiben können und sollten, das heißt die Aufarbeitung der Institutionen während der NS-Zeit und die Identifizierung der Vorbesitzer, sondern jetzt müssen sie weitergetrieben werden."
Ein beachtenswertes Startkapital
Die Provenienzforscherin sah sich gezwungen – aus Mangel an qualifizierten Stellen in Berlin – ein Angebot des Museum of Modern Art in New York anzunehmen. Doch Lynn Rother hat mit der Veröffentlichung ihrer Recherchefunde, darunter detaillierte und von ihr regelrecht "entschlüsselte" Verkaufs-Listen, ein beachtliches, unbedingt beachtenswertes "Startkapital" hinterlassen.
Vor allem für die Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Denn etwa 1.600 der ursprünglich über 4.400 Kunstwerke aus dem "Dresdner Bank-Geschäft" lagern heute noch in Depots der Berliner Museen, werden dort ausgestellt. Genaue Herkunft: nach über 80 Jahren größtenteils ungeklärt.