Eine Pressekonferenz Ende April im Medizinhistorischen Museum des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf. Professor Philipp Osten, derzeitiger Leiter des Museums und des Instituts für Ethik und Geschichte der Medizin, hat in der Sammlung 73 Schädel entdeckt, die zwischen 1917 und 1933 gekauft wurden. Human reminds, Leichenteile, sagt Philipp Osten. Viele stammen aus kolonialem Kontext. Er blättert in dem alten Inventarbuch.
"Beispielsweise hier aus der Zeit der 20er-Jahre ein Objekt, das ist das 832., da steht unter der Rubrik Gegenstand Herero Schädel. Unterkiefer fehlt, Hinterhaupt defekt, gekauft von Jos. Flemming am 1.8. 1924."
Schädel aus deutschen Kolonien, so Philipp Osten, wurden seinerzeit als Forschungsobjekte benutzt. Dazu, die Minderwertigkeit bestimmter Rassen nachzuweisen und so den Kolonialismus zu legitimieren.
"Diese Rassenanthropologie entsteht aus diesem Kontext. Und das, was wir als Schädellehre dieser Zeit haben, das begründet eine rassistisch biologistische Ideologie."
Einblicke in alltägliches Grauen
Soweit es möglich ist, sollen die Schädel jetzt an ihre rechtmäßigen Besitzer zurückgegeben werden, zum Beispiel nach Namibia, sagt Professor Jürgen Zimmerer. Der Historiker leitet an der Hamburger Universität die Forschungsstelle "postkoloniales Erbe". Menschliche Überreste in deutschen Sammlungen, so Zimmerer, zeugen von Verbrechen der Kolonialzeit.
"Man weiß im Falle der Herero, dass sie in der zweiten Phase des Genozids zu Tausenden in sogenannte Konzentrationslager gesperrt wurden. Und in diesen Konzentrationslagern die Lebensbedingungen so schlecht waren, dass sie zu Dutzenden an bestimmten Tagen starben. Und man weiß, dass die eigenen Angehörigen gezwungen wurden, diese Leichen zu kochen und das Fleisch abzuschaben, weil man das sonst hätte nicht nach Deutschland transportieren können. Die mussten dann die Köpfe verpacken."
Dass die Geschichte kolonialer Objekte mehr als hundert Jahre nach dem Ende des deutschen Kolonialismus großes Interesse hervorruft, führt Jürgen Zimmerer auf die Debatte über nationalsozialistische Raubkunst zurück.
"Da setzte es sich durch, dass man nicht einfach sagen kann, ich bin der Besitzer und gut ist, sondern, dass man klären muss, wie kam das ins Haus und wie wurde das dem ursprünglichen Besitzer eigentlich abgenommen. Dass man das nachweisen muss. Und das überträgt sich jetzt auch auf die koloniale Situation, wo man sagt, haben das denn die Leute das denn freiwillig hergegeben. Wurden die den überhaupt gefragt."
Viele Objekte nicht legal erworben
Jürgen Zimmerers Ziel ist es, über die reine Provenienzforschung hinaus historische Kontexte mit einzubeziehen.
"Wurde etwas während des Genozids in Namibia von den Herero weggenommen, dann ist die Vermutung des Unrechtscharakters sehr viel höher als wenn man sagt, es passierte in den 1885ern, 86ern, 87ern, als nur eine Handvoll Deutsche überhaupt in der gerade gegründeten Kolonie unterwegs war."
So gesehen hätten die Afrikaner während bestimmter Epochen der Kolonialzeit durchaus auch Handlungsfreiheiten gehabt.
"Das ist das Extrem in der Kolonialgeschichte immer gewesen, zu sagen, der koloniale Staat ist allmächtig. Das heißt, die Afrikanerinnen und Afrikaner hatten gar nichts zu melden. Und da wehrten die sich dagegen und auch zu Recht. "
Aber auch wenn die Afrikaner nicht immer Opfer waren, so Jürgen Zimmerer, müsse man davon ausgehen, dass viele Objekte in Sammlungen und Museen nicht legal erworben seien. Und das nervt auf Dauer, sagt die Ethnologin Professor Wiebke Ahrndt, Direktorin des Bremer Überseemuseums.
"Tatsächlich ist es so, dass ich mich seit Jahren daran störe, dass wir immer mit so einem Pauschalvorwurf konfrontiert werden, ach bei Ihnen ist ja sowieso alles geklaut. Und immer nur sagen kann, nichts Genaues weiß man nicht."
Das soll sich jetzt ändern. Eine Doktorandin und zwei Doktoranden von Jürgen Zimmerer werden in den nächsten vier Jahren etwa 5000 Gegenständen aus afrikanischen Kolonien auf ihre Geschichte hin untersuchen. Dabei soll es nicht nur um die Geschichte der Sammler gehen. Sondern auch um Objektforschung.
"Also was sagen uns denn die Gegenstände selber, die da in den Sammlungen liegen, wenn ich mir die Mühe mache, die genau ins Visier zu nehmen. Sind die gebraucht worden, sind die vielleicht extra für die Museumssammlung angefertigt. Sind es Stücke, die, wenn ich sie nur ankucke, anfangen, Fragen aufzuwerfen. Können die eigentlich legal in ne Sammlung gekommen sein. Herrschaftszeichen zum Beispiel oder religiöse Objekte."
Reise in die Herkunftsländer
Außerdem werden die jungen Wissenschaftler in die Herkunftsländer reisen, nach Togo, Namibia und Kamerun, um Familienangehörige oder Nachfahren von Freunden der damaligen Geber zu finden. Vielleicht, so die Hoffnung, kann man über mündliche Überlieferung mehr über die Geschichte einzelner Objekte erfahren.
"Wie wurde in einer Kolonie strukturell gesammelt. Wie wurden die Kolonien verwaltet. Hat es einen Unterschied gemacht, ob es eine Handelskolonie war oder eine Siedlungskolonie. Haben sich die Europäer unterschiedlich verhalten?"
Allerdings, so Wiebke Ahrndt, weiß man von einigen Stücken schon jetzt, dass ihre Herkunft problematisch ist.
"Wir haben tatsächlich die Herero Sammlung aus einem Internierungslager der rheinischen Mission. Wir wissen, dass unser Gründungsdirektor sich damals dorthin gewandt hat. Das war nach dem Genozid. Da entstanden die Lager."
Eine Sisyphusarbeit
1904 nach dem Völkermord an den Herero war Gründungsdirektor Hugo Schauinsland der Meinung, dass die Hererokultur dem Untergang geweiht sei. Deshalb ließ er die gefangenen Herero Alltagsgegenstände, Küchengeräte und Sitzmöbel für das Bremer Museum herstellen.
"Und in Teilen haben wir in den Sammlungsdokumentationen tatsächlich auch Hinweise darauf welche Personen sie hergestellt haben. Und da ist natürlich die Hoffnung, dass man dann darüber auch weitere Quellen findet, um an die Nachfahren heranzukommen."
Es wird eine Sisyphusarbeit werden, die Geschichte dieser Objekte zu erforschen. Im Idealfall, so Jürgen Zimmerer, wird man aber etwas über beide Kulturen und ihr Verhältnis zueinander erfahren. Und das Bremer Projekt sollte Schule machen, wenn die Völkerkundemuseen ihre Existenzberechtigung behalten wollen.
"Und dazu gehört die eigene Geschichte, und das ist eine zutiefst koloniale, mitzureflektieren. Das heißt, wir verwandeln uns von Agenten des Kolonialismus in Agenten der Aufklärung über den Kolonialismus."