Wenn die Kölner Provenienzforscherin Sarah von der Lieth von ihrem Beruf erzählt, legt ihr Gegenüber nicht selten die Stirn in Falten und fragt verwirrt: „Was ist denn bitte eine Provinz-Forscherin!?“ Sarah von der Lieth erklärt dann, dass sie nicht etwa die deutsche Provinz erforscht, sondern die Geschichte und Herkunft von Kunstwerken, ihre sogenannte „Provenienz“. Wie viele ihrer Kolleginnen und Kollegen hat Sarah von der Lieth zunächst Kunstgeschichte studiert und sich dann auf die Provenienzforschung spezialisiert – eine sehr sinnstiftende Arbeit, wie sie sagt, denn bei der Provenienzforschung gehe es auch darum, Erinnerungskultur zu schaffen.
Viele Archive wurden im Zweiten Weltkrieg zerstört
Provenienzforschende arbeiten heute hauptsächlich für Museen, Bibliotheken oder auch im Kunsthandel. Sie kommen vor allem dann zum Einsatz, wenn die Herkunft eines Kunstwerks fragwürdig ist, zum Beispiel weil der Verdacht besteht, dass es sich um NS-Raubkunst handelt. Um einen solchen Verdacht zu belegen oder auch zu widerlegen, versuchen Provenienzforschende den Lebensweg eines Kunstwerks möglichst minutiös zurückzuverfolgen. Dafür recherchieren sie zum Beispiel in Archiven, Nachlässen und Werkverzeichnissen, also Katalogen, in denen das Gesamtwerk einer Künstlerin oder eines Künstlers dokumentiert ist.
Anhand aller verfügbaren Informationen versuchen die Forschenden, die Besitzkette eines Werks zu rekonstruieren: Wann hat es wem gehört? Wann und unter welchen Umständen wurde es weiterverkauft oder verschenkt? Es kann mitunter Jahre dauern, bis Antworten auf diese Fragen gefunden werden. Denn oft fehlen die konkreten Belege für An- und Verkäufe, zum Beispiel weil Archive im Zweiten Weltkrieg durch Bombentreffer vernichtet wurden. Dann gilt es, mit Hilfe anderer Informationen zumindest einen wahrscheinlichen Lebensweg des Kunstwerks zu rekonstruieren. In vielen Fällen ist Provenienzforschung daher eine echte Sisyphus-Arbeit.
Fälle wie Gurlitt zeigen Relevanz der Provenienzforschung
Die Relevanz dieser Arbeit ist heute zumindest in Fachkreisen unumstritten. Größere Museen haben festangestellte Provenienzforscher*innen, und es gibt öffentliche Fördergelder, die unter anderem vom Deutschen Zentrum Kulturgutverluste in Magdeburg verteilt werden. Das war nicht immer so. In Deutschland wurde die Provenienzforschung erst nach 1998 ausgebaut. Damals wurden die sogenannten „Washingtoner Prinzipien“ verabschiedet, eine internationale Erklärung zum transparenten Umgang mit NS-Raubkunst in öffentlichen Sammlungen, zu der sich auch Deutschland verpflichtet hat. Nicht zuletzt wurde die Bedeutung der Provenienzforschung auch durch spektakuläre und medienwirksame Fälle wie den sogenannten „Schwabinger Kunstfund“ im Jahr 2012 („Fall Gurlitt“) nochmal unterstrichen. Nach wie vor sind viel Stellen für Provenienzforschende allerdings zeitlich befristet. Kontinuierliche Arbeit ist so in vielen Museen nicht gewährleistet.
Und es gibt über 25 Jahre nach Verabschiedung der „Washingtoner Erklärung“ weitere Herausforderungen für die Provenienzforschung. So sind weder Privatleute noch der Kunsthandel dazu verpflichtet, Unterlagen und Archive für die Forschung zur Verfügung zu stellen. Dabei könnten genau diese Unterlagen womöglich entscheidende Belege liefern, mit denen jüdische Familien NS-Raubkunstwerke zurückbekommen könnten.
Auf welche Widerstände Provenienzforschende im Jahr 2024 sonst noch stoßen, erzählen wir in unserem True-Crime-Podcast „Tatort Kunst“. In der Doppelfolge „Hannovers dunkles Erbe“ geht es um ein Blumenstillleben des Malers Lovis Corinth, das eine jüdische Familie seit über 15 Jahren zurückfordert.
Das „Tatort Kunst“-Team bei diesem Fall
Host: Rahel Klein
Host und Redaktion: Stefan Koldehoff
Recherchen und Skript: Änne Seidel
Künstlerische Gesamtleitung: Anne Preger
Regie: Jana Magdanz
Sounddesign: Timo Ackermann
Projektmanagement: Pia Behme
Host: Rahel Klein
Host und Redaktion: Stefan Koldehoff
Recherchen und Skript: Änne Seidel
Künstlerische Gesamtleitung: Anne Preger
Regie: Jana Magdanz
Sounddesign: Timo Ackermann
Projektmanagement: Pia Behme