Douze Janvier, der 12. Januar 2010. Jean Juste, genannt Johnny, hat ein Lied über diesen schrecklichen Tag geschrieben – er dankt Gott, dass er noch lebt, er singt über die vielen, lieben Menschen, die er verloren hat und dass er nie wird aufhören können, deswegen zu weinen.
Mit geschlossenen Augen gibt sich Johnny seiner Musik hin, er legt Kamm und Schere beiseite, macht eine kurze Pause. Auf einem alten Bürostuhl mit abgewetztem Polster sitzt ein Kunde und bekommt einen neuen Haarschnitt verpasst. Johnny ist Friseur in einer kleinen Hütte auf dem Land, etwa eine Autostunde nördlich von Haitis Hauptstadt Port-au-Prince. Er hat seine Hütte blau angestrichen, vier Wände, ein Dach aus Wellblech und ein rotes Schild: Johnnys Barber Shop. Vor dem Erdbeben lebte er mit seiner Frau und den zwei Kindern in einem Haus in Port-au-Prince und verdiente Geld als Musiker. Jetzt hausen die vier auf ein paar Quadratmetern, mit einem Vorhang abgetrennt vom kleinen Friseursalon.
"Mein Leben hat sich durch das Erdbeben völlig verändert. Früher hatte ich ein gutes Leben, ein eigenes Auto und so. Jetzt laufe ich, das Auto gibt es nicht mehr. Aber es ist wichtig, beide Seiten des Lebens kennenzulernen, denn so wird einem klar, wie verletzlich wir Menschen sind. Das Wichtigste ist, Veränderungen zu akzeptieren. Und das tue ich. Ich mache das Beste aus dieser Situation und danke Gott jeden Tag dafür, das ich am Leben bin."
Camp Corail heißt Johnnys neues Zuhause. Ein Zuhause für 15.000 Menschen. Eine Hütte neben der anderen säumt das flache, trockene Land. Im April 2010, vier Monate nach der Katastrophe, hatte die Regierung dieses Gebiet ausgewiesen, um die obdachlosen Erdbebenopfer aus der völlig überfüllten Hauptstadt umzusiedeln. Das sei anfangs bei den Hilfsorganisationen umstritten gewesen, sagt Harry Donsbach vom Kinderhilfswerk World Vision.
"Wir und auch alle anderen Akteure waren damals dagegen, gerade, weil dieses Land weit außerhalb ist von jeglicher städtischer Infrastruktur, sehr heiß, weit ab von irgendwelchen Jobmöglichkeiten. Es gab ne Riesendiskussion, wollen wir das unterstützen und im Endeffekt war die Situation in Port-au-Prince so schlimm das man gesagt hat, lass uns das mal versuchen da bauen wir da Übergangshäuser sogenannte Transitional Shelters und da siedeln wir sie an. Damals hat die Regierung versprochen Arbeitsplätze zu schaffen in der Region und bis vor kurzem war noch im Gespräch eine Fabrikhalle zu bauen, das hat sich aber in den letzten Monaten zerschlagen."
Doch seit das Erdbeben die lokale Wirtschaft weitgehend lahmgelegt hat, gibt es ohnehin nirgendwo in Haiti Arbeit für so viele Menschen - schon gar nicht in der Hauptstadt. Dort stehen noch nicht einmal einfachste Unterkünfte zur Verfügung.
Die versprochenen Arbeitsplätze und die Nähe zu den Hilfsorganisationen haben mittlerweile Hunderttausende hierher aufs Land gelockt. Kleine Hütten, Zelte, manchmal nur bunte Planen oder einzelne Bretter, die das gesamte Hab und Gut bedecken, säumen das riesige Gebiet rund um das Camp Corail. Der Bürgermeister der Region, Darus Saint Ange, ist besorgt.
"Viele Illegale sind hierher gekommen, um von der Nähe der Hilfsorganisationen zu profitieren, aber gar nicht auf den Listen der Personen stehen, die hierher umgesiedelt wurden. Deswegen gibt es viel Neid, viel Gewalt zwischen denen, die offiziell hier wohnen und denen, die hier drum herum leben. Aber die Möglichkeiten dieses Ortes sind begrenzt, die Gemeinde ist noch neu und muss sich erst entwickelt. Für diese Probleme muss man Lösungen finden. Es gibt zum Beispiel noch nicht genug Wasser für alle Bewohner hier und auch bei der Gesundheitsversorgung ist noch Verbesserungsbedarf."
Mehr als 600.000 Haitianer leben noch immer in den engen, schmutzigen Zeltcamps, das Provisorium ist zum Dauerzustand geworden. Zwar ist in Port-au-Prince schon viel Schutt weggeräumt wurden, aber es fehlt an Gebäuden und Geld, um neue Häuser zu bauen. Weder Regierung, und Vereinte Nationen, noch die zahlreichen Entwicklungshilfeorganisationen vor Ort haben dafür ein Konzept.
In den Zeltstädten ist Hygiene noch immer ein Problem, in vielen hat sich die Cholera ausgebreitet hat. Das Leben dort ist vor allem für Frauen gefährlich. Menschenrechtsorganisationen sprechen von mehreren tausend Frauen, die seit dem Erdbeben in den überfüllten und schlecht beleuchteten Notunterkünften vergewaltigt worden sind. Lama el Batal arbeitet für die Entwicklungshilfe in den Camps. Es sei für die Hilfsorganisationen völlig unmöglich, jedes einzelne der unzähligen Camps zu betreuen, meint sie:
"Wenn es Camps so lange gibt, entstehen auch Gangaktivitäten, nachts, wenn die Camps nicht bewacht sind. Das kann man nicht kontrollieren. Wir haben immer solche Vorfälle, Vergewaltigungen und häusliche Gewalt, davon hören wir regelmäßig."
Janita wohnt seit Monaten mit ihrem Mann und fünf Kindern in einem der Zeltstädte im Zentrum der Hauptstadt unter einer Plane, auf drei Matratzen, in der Ecke ein Karton für die Kleidungsstücke. Janita will mit ihrer Familie möglichst schnell weg aus dem Camp.
"Die Situation ist hart für uns alle. Erst mussten wir unser Haus verlassen wegen der Sache mit dem Erdbeben, jetzt gibt es keine Arbeit, aber die Kinder wollen gefüttert werden. Jeden Morgen stehe ich auf und habe nichts zu tun. Es ist wirklich hart. Wir müssen dringend einen Weg aus dieser Situation finden."
Doch wie der aussehen könnte, weiß derzeit niemand. Die riesigen Zeltstädte werden noch lange das Bild von Port-au-Prince prägen. Es bleibt die Hoffnung von Johnny, dem singenden Friseur, dass es besser wird, irgendwann.
Mit geschlossenen Augen gibt sich Johnny seiner Musik hin, er legt Kamm und Schere beiseite, macht eine kurze Pause. Auf einem alten Bürostuhl mit abgewetztem Polster sitzt ein Kunde und bekommt einen neuen Haarschnitt verpasst. Johnny ist Friseur in einer kleinen Hütte auf dem Land, etwa eine Autostunde nördlich von Haitis Hauptstadt Port-au-Prince. Er hat seine Hütte blau angestrichen, vier Wände, ein Dach aus Wellblech und ein rotes Schild: Johnnys Barber Shop. Vor dem Erdbeben lebte er mit seiner Frau und den zwei Kindern in einem Haus in Port-au-Prince und verdiente Geld als Musiker. Jetzt hausen die vier auf ein paar Quadratmetern, mit einem Vorhang abgetrennt vom kleinen Friseursalon.
"Mein Leben hat sich durch das Erdbeben völlig verändert. Früher hatte ich ein gutes Leben, ein eigenes Auto und so. Jetzt laufe ich, das Auto gibt es nicht mehr. Aber es ist wichtig, beide Seiten des Lebens kennenzulernen, denn so wird einem klar, wie verletzlich wir Menschen sind. Das Wichtigste ist, Veränderungen zu akzeptieren. Und das tue ich. Ich mache das Beste aus dieser Situation und danke Gott jeden Tag dafür, das ich am Leben bin."
Camp Corail heißt Johnnys neues Zuhause. Ein Zuhause für 15.000 Menschen. Eine Hütte neben der anderen säumt das flache, trockene Land. Im April 2010, vier Monate nach der Katastrophe, hatte die Regierung dieses Gebiet ausgewiesen, um die obdachlosen Erdbebenopfer aus der völlig überfüllten Hauptstadt umzusiedeln. Das sei anfangs bei den Hilfsorganisationen umstritten gewesen, sagt Harry Donsbach vom Kinderhilfswerk World Vision.
"Wir und auch alle anderen Akteure waren damals dagegen, gerade, weil dieses Land weit außerhalb ist von jeglicher städtischer Infrastruktur, sehr heiß, weit ab von irgendwelchen Jobmöglichkeiten. Es gab ne Riesendiskussion, wollen wir das unterstützen und im Endeffekt war die Situation in Port-au-Prince so schlimm das man gesagt hat, lass uns das mal versuchen da bauen wir da Übergangshäuser sogenannte Transitional Shelters und da siedeln wir sie an. Damals hat die Regierung versprochen Arbeitsplätze zu schaffen in der Region und bis vor kurzem war noch im Gespräch eine Fabrikhalle zu bauen, das hat sich aber in den letzten Monaten zerschlagen."
Doch seit das Erdbeben die lokale Wirtschaft weitgehend lahmgelegt hat, gibt es ohnehin nirgendwo in Haiti Arbeit für so viele Menschen - schon gar nicht in der Hauptstadt. Dort stehen noch nicht einmal einfachste Unterkünfte zur Verfügung.
Die versprochenen Arbeitsplätze und die Nähe zu den Hilfsorganisationen haben mittlerweile Hunderttausende hierher aufs Land gelockt. Kleine Hütten, Zelte, manchmal nur bunte Planen oder einzelne Bretter, die das gesamte Hab und Gut bedecken, säumen das riesige Gebiet rund um das Camp Corail. Der Bürgermeister der Region, Darus Saint Ange, ist besorgt.
"Viele Illegale sind hierher gekommen, um von der Nähe der Hilfsorganisationen zu profitieren, aber gar nicht auf den Listen der Personen stehen, die hierher umgesiedelt wurden. Deswegen gibt es viel Neid, viel Gewalt zwischen denen, die offiziell hier wohnen und denen, die hier drum herum leben. Aber die Möglichkeiten dieses Ortes sind begrenzt, die Gemeinde ist noch neu und muss sich erst entwickelt. Für diese Probleme muss man Lösungen finden. Es gibt zum Beispiel noch nicht genug Wasser für alle Bewohner hier und auch bei der Gesundheitsversorgung ist noch Verbesserungsbedarf."
Mehr als 600.000 Haitianer leben noch immer in den engen, schmutzigen Zeltcamps, das Provisorium ist zum Dauerzustand geworden. Zwar ist in Port-au-Prince schon viel Schutt weggeräumt wurden, aber es fehlt an Gebäuden und Geld, um neue Häuser zu bauen. Weder Regierung, und Vereinte Nationen, noch die zahlreichen Entwicklungshilfeorganisationen vor Ort haben dafür ein Konzept.
In den Zeltstädten ist Hygiene noch immer ein Problem, in vielen hat sich die Cholera ausgebreitet hat. Das Leben dort ist vor allem für Frauen gefährlich. Menschenrechtsorganisationen sprechen von mehreren tausend Frauen, die seit dem Erdbeben in den überfüllten und schlecht beleuchteten Notunterkünften vergewaltigt worden sind. Lama el Batal arbeitet für die Entwicklungshilfe in den Camps. Es sei für die Hilfsorganisationen völlig unmöglich, jedes einzelne der unzähligen Camps zu betreuen, meint sie:
"Wenn es Camps so lange gibt, entstehen auch Gangaktivitäten, nachts, wenn die Camps nicht bewacht sind. Das kann man nicht kontrollieren. Wir haben immer solche Vorfälle, Vergewaltigungen und häusliche Gewalt, davon hören wir regelmäßig."
Janita wohnt seit Monaten mit ihrem Mann und fünf Kindern in einem der Zeltstädte im Zentrum der Hauptstadt unter einer Plane, auf drei Matratzen, in der Ecke ein Karton für die Kleidungsstücke. Janita will mit ihrer Familie möglichst schnell weg aus dem Camp.
"Die Situation ist hart für uns alle. Erst mussten wir unser Haus verlassen wegen der Sache mit dem Erdbeben, jetzt gibt es keine Arbeit, aber die Kinder wollen gefüttert werden. Jeden Morgen stehe ich auf und habe nichts zu tun. Es ist wirklich hart. Wir müssen dringend einen Weg aus dieser Situation finden."
Doch wie der aussehen könnte, weiß derzeit niemand. Die riesigen Zeltstädte werden noch lange das Bild von Port-au-Prince prägen. Es bleibt die Hoffnung von Johnny, dem singenden Friseur, dass es besser wird, irgendwann.