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Prozess gegen Osman Kavala
"Vorwürfe sind schwer zu verstehen"

In der Türkei beginnt der Prozess gegen Kulturmäzen Osman Kavala. Er habe die Regierung stürzen wollen, so die Anklage. Für den Leiter des Goethe-Instituts Istanbul schwer nachvollziehbar - er kenne Kavala als "Brückenbauer in alle Richtungen", sagte Reimar Volker im Dlf.

Reimar Volker im Gespräch mit Doris Schäfer-Noske |
Der türkische Geschäftsmann Osman Kavala
Dem türkischen Kulturmäzen Osman Kavala wird in Istanbul der Prozess gemacht (imago stock&people)
Doris Schäfer-Noske: Morgen beginnt in Istanbul der Prozess gegen den Kulturmäzen Osman Kavala. Er soll die Gezi-Park-Proteste auf dem Taksim-Platz 2013 mit initiiert und finanziert haben. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm vor, er habe die Regierung stürzen wollen und fordert eine lebenslange Haftstrafe. Das empört die Grünen-Politikerin Claudia Roth, die zum Prozessauftakt nach Istanbul fährt:
"Gezi war doch kein Umsturz! Die Gezi-Park-Bewegung ist entstanden, weil es viele Menschen gab, die wollten Bäume in der Mitte von Istanbul retten. Also das nennt man bei uns 'aktive Zivilgesellschaft'. Das war so ein bisschen Woodstock mitten in Istanbul - das ist doch nicht Putsch!"
Amnesty International, die Akademie der Künste, der Börsenverein des Deutschen Buchhandels und andere fordern die sofortige Freilassung von Osman Kavala. Und auch Bundespräsident Steinmeier hatte sich dafür eingesetzt. Kavala wurde im Oktober 2017 auf dem Flughafen von Istanbul festgenommen, als er gerade von einem Treffen mit dem Goethe-Institut in Gaziantep zurückkam. Ich habe mit dem Leiter des Goethe-Instituts Istanbul, Reimar Volker, gesprochen. Und als Erstes hab ich ihn gefragt, worum es damals bei dem Treffen ging.
Reimar Volker: Das Treffen in Gaziantep stand in Zusammenhang mit einem großen europäischen Projekt, das wir durchführen und initiiert haben zusammen mit "Anadolu Kültür", der Stiftung von Osman Kavala. Das Projekt heißt "Orte der Kultur" und dient der Stärkung der Zivilgesellschaft und der kulturellen Infrastrukturen an drei Standorten in der Türkei, in Izmir, Diyarbakir und eben Gaziantep. Und der Besuch dort war, um Partner zu diesem Projekt zu treffen.
Schäfer-Noske: Geht es denn in der Anklageschrift jetzt auch um das Goethe-Institut?
Volker: Nein, nicht direkt. Das Goethe-Institut ist erwähnt, an vier Stellen. Die Anklageschrift umfasst 627 Seiten, also sehr lang. Sie sind genannt als Partner von "Anadolu Kültür" und ein Telefonat mit meiner Vor-Vorgängerin ist in Transkription aufgeschrieben, da ging es um die Verabredung zum Essen zwischen ihr und Osman Kavala und seiner Frau. Also gemessen an den Gesamtanschuldigungen eher Marginalien.
"Wir wissen, dass wir unter Beobachtung stehen"
Schäfer-Noske: Dieses Gespräch, das taucht da auf - da hat irgendjemand mitgeschnitten, oder wie ist das zu erklären?
Volker: Ja, wir wissen natürlich seitdem definitiv, dass unsere Telefonate abgehört werden, dass wir unter Beobachtung stehen, so wie eben große Teile der Zivilgesellschaft hier in der Türkei im Moment unter Beobachtung stehen.
Schäfer-Noske: Was macht denn diese Stiftung "Anadolu Kültür" sonst?
Volker: "Anadolu Kültür" unterstützt und initiiert Projekte im diskursiven Bereich, hat auch einen sehr interessanten und sehr wichtigen Ausstellungsort hier in Istanbul, eine ehemalige Tabakfabrik, das "Depo". Und dort gibt es Ausstellungen, Veranstaltungen, Symposien zu den Themen, die relevant sind für "Anadolu Kültür" und für Osman Kavala. Dazu gehört zum Beispiel die Aussöhnung, der Dialog zwischen den unterschiedlichen Volksgruppen, Ethnien, Religionen, die in der Türkei leben. Es ist ja noch immer ein multiethnischer, ein multireligiöser Staat, also die Alewiten, die Kurden, die Griechen und natürlich auch die Armenier.
"Kavala bringt Menschen zusammen"
Schäfer-Noske: Kavala hat ja in den vergangenen 30 Jahren zahlreiche Menschenrechtsorganisationen unterstützt und eine Reihe von zivilgesellschaftlichen Organisationen und auch Verlagen mitbegründet. Eine Stiftung haben wir gerade schon genannt: "Anadolu Kültür". Wofür steht er in der Türkei?
Volker: Er ist eigentlich ein Brückenbauer in alle Richtungen, muss man sagen. Er hat sich immer bemüht um den Dialog mit Europa, mit dem Westen, aber auch mit dem Iran. Er bringt Menschen zusammen und entdeckt eigentlich das Gemeinsame und versucht, das Gemeinsame, das uns alle verbindet in seinen Arbeiten und Projekten aufleben zu lassen. Also im "Depo", in diesem Ausstellungsort, gibt es zum Beispiel gerade eine Ausstellung, die heißt "Shared sacred spaces", da geht es um gemeinsam genutzte, oder von unterschiedlichen Religionen genutzte Orte im östlichen Mittelmeerraum. Und dieses Projekt mit seinem multireligiösen, multiethnischen Ansatz steht eigentlich exemplarisch für all das, was für Osman Kavala und seine Stiftung wichtig ist.
Schäfer-Noske: Haben Sie denn eine Vermutung, warum Kavala in der Türkei "aneckt", wenn man so sagen will?
Volker: Na ja, es sind einfach Themen, die in der Türkei einfach sehr kontrovers diskutiert werden und mitunter sehr aufgeladen sind. Und dann werden eben Personen oder Organisationen auch zur Projektionsfläche für Dinge, die sie vielleicht gar nicht zu verantworten haben.
Schäfer-Noske: Wie bewerten Sie denn in diesem Zusammenhang dann die Vorwürfe gegen Kavala?
Volker: Ja, die Vorwürfe sind sehr schwer zu verstehen. Da geht es ja um Verschwörung, um Finanzierung von Dingen aus dem Ausland, die vermutlich jetzt in dem Prozess erst nachgewiesen werden müssen. Das ist irritierend für uns zu sehen.
Schäfer-Noske: Reimar Volker war das, der Leiter des Goethe-Instituts in Istanbul, über den Kulturmäzen Osman Kavala, gegen den morgen in Istanbul der Prozess beginnt.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.