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Prozess gegen World-Vision-Mitarbeiter in Gaza
"Verfahren ist auch politisch motiviert"

In Israel steht ein Mitarbeiter der Kinderhilfsorganisation World Vision vor Gericht. Ihm wird vorgeworfen, Spendengelder in Millionenhöhe an die radikal-islamische Hamas umgeleitet zu haben. Doch die Hilfsorganisation hat deutliche Zweifel am Wahrheitsgehalt der Vorwürfe, wie Pressesprecherin Silvia Holten dem Deutschlandfunk sagte.

Von Ursula Kissel |
    Palästinensische Kinder mit Plakaten, auf denen steht: "Freiheit für Mohammed al-Halabi".
    Palästinensische Kinder fordern mit Plakaten die Freilassung von Mohammed al-Halabi, der für das Kinderhilfswerk World Vision arbeitet. (AFP / Said Khatib)
    Der Vorwurf wiegt schwer: Ein Mitarbeiter von World Vision soll seit 2010 Spendengelder für Gaza-Projekte in Höhe von bis zu 45 Millionen US-Dollar in die Kassen der radikal-islamischen Hamas umgeleitet haben. Dies hätten Untersuchungen des israelischen Inlandsgeheimdienstes Shin Bet ergeben, teilte Anfang August die israelische Botschaft in Berlin mit. Die Gelder sollen zum Tunnelbau und zum Waffenkauf verwendet worden sein. Der Prozess gegen Mohammed al-Halabi begann nun am Dienstag im israelischen Beer Sheva - unter Ausschluss der Öffentlichkeit.
    Doch vor allem an der genannten Summe von 45 Millionen US-Dollar meldet World Vision Zweifel an. Diese stimme nicht mit dem Budget überein, das während der vergangenen zehn Jahre für Projekte nach Gaza geflossen sei, sagte die Sprecherin von World Vision Deutschland, Silvia Holten, dem Deutschlandfunk. Die Gesamtsumme für die Projekte in Gaza habe in diesem Zeitraum lediglich 22,5 Millionen US-Dollar betragen. "Hier ergibt sich doch eine beträchtlich Lücke."
    Außerdem sei Halabi erst seit 2014 als Programm-Manager für alle Gaza-Projekte zuständig, vorher sei er nur für Teilbereiche verantwortlich gewesen. Daher könne er auch erst seit 2014 über ein Budget entscheiden, das allerdings insgesamt nur ein Volumen von maximal 15.000 US-Dollar gehabt habe.
    Projekte im Gaza-Streifen auf Eis gelegt
    World Vision lässt zurzeit alle Aktivitäten im Gazastreifen ruhen - so lange, bis alle Vorwürfe geklärt sind. "Die Kinder stehen vor verschlossenen Türen", so Holten. Sollte es tatsächlich zu einer Verurteilung von Halabi kommen, müsse man überlegen, wie es weitergehe.
    Doch bei der Prüfung der Angelegenheit verlässt sich World Vision nicht auf die Angaben der israelischen Seite, sondern führt eine eigene Untersuchung durch, "da wir selbst wissen möchten, ob an den Vorwürfen etwas dran ist und ob es irgendwo eine Lücke gibt". Man habe eine externe Firma mit der sogenannten forensischen Wirtschaftsprüfung beauftragt. Diese sei auf die Aufdeckung krimineller Machenschaften spezialisiert.
    Holten sagt, sie kenne Halabi zwar nicht persönlich, doch hätten Kollegen ihn als "sehr integere Person" bezeichnet. Und: "Wir selber haben keine Beweise dafür gefunden, dass die Behauptungen wahr sind." Auch in den vergangenen Jahren habe es regelmäßig Prüfungen gegeben.
    Halabi soll die Vorwürfe nach seiner Festnahme im Juni gestanden haben.*
    Amnesty: Halabi wurde misshandelt
    Holten verwies in dem Zusammenhang auf einen Bericht von Amnesty International. Darin äußerte die Menschenrechtsorganisation die Befürchtung, dass der Beschuldigte während seiner Verhöre "schwer geschlagen" worden sei und erst infolge von Folterungen das Geständnis abgelegt habe. Medienberichte zufolge wurde Al-Halabi mehr als drei Wochen lang verhört, ohne seine Familie oder einen Anwalt kontaktieren zu dürfen.
    Holten kritisierte, nicht nur die Öffentlichkeit, auch World Vision sei von dem Verfahren gegen Halabi ausgeschlossen. Die Organisation dürfe auch nicht mit der Anwältin sprechen. "Wir werden außen vor gehalten."
    Deshalb steht für Holten fest: "Dies ist nicht nur eine Geschichte um Kriminelles. Es geht auch um Politik." Und sie beklagte, in den vergangenen Wochen habe in der israelischen Öffentlichkeit eine "massive Vorverurteilung" Halabis stattgefunden.
    Israel geht gegen NGOs vor
    Für World Vision ist der Prozess gegen ihren Mitarbeiter nicht das einzige Indiz für ein "restriktives Vorgehen" Israels gegen Nichtregierungsorganisationen (NGO). Holten verwies auf das umstrittene "Transparenz-Gesetz", das im Juli von der Knesset verabschiedet wurde. Die Neuregelung verpflichtet die NGOs, die sich vor allem mit öffentlichen Mitteln aus dem Ausland finanzieren, dies bei bei allen Aktivitäten offenzulegen. Der Vorsitzende der Deutsch-Israelischen Parlamentariergruppe, Volker Beck (Grüne), hatte moniert, es gehe nicht um Transparenz, sondern darum, "bestimmte NGOs zu treffen und zu isolieren, die tendenziell regierungskritischer orientiert sind". Ebenso wie andere Hilfsorganisationen hatte auch World Vision Israel für sein Vorgehen kritisiert.
    Holten berichtet von früheren Vorwürfen gegen World Vision. Bereits im Jahr 2012 habe eine rechtsgerichtete israelische Organisation World Vision der Kooperation mit der Hamas beschuldigt. Den Vorwurf habe man damals aber in Gänze entkräften können. Holten betonte, World Vision distanziere sich ausdrücklich von allen terroristischen Aktivitäten.
    Mehr als 40 Jahre im Nahen Osten aktiv
    Die Kinderhilfsorganisation arbeitet seit 1975 in Israel und in den Palästinensergebieten. Allein im Gazastreifen half die Organisation vergangenes Jahr nach eigenen Angaben rund 40.000 Kindern. 40 Kinderschutzzentren werden dort von World Vision unterhalten und außerdem mehrere Bildungs-, Gesundheits- und Landwirtschaftsprojekte unterstützt.
    Der nun von Israel beschuldigte Halabi ist seit rund zehn Jahren für die Organisation aktiv. Seit 2014 ist er als Projektmanager für die Gaza-Aktivitäten zuständig.
    * Wir haben zwei Sätze an dieser Stelle aus dem Text herausgenommen. Silvia Holten fühlte sich dort falsch wiedergegeben.