Archiv

Prozess gegen ehemaligen Handballtrainer
Erleichterung über Geständnis

Vor dem Landgericht Stuttgart hat ein Verfahren gegen einen ehemaligen Handballtrainer begonnen. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm unter anderem schweren sexuellen Missbrauch, sexuellen Missbrauch von Schutzbefohlenen und Erstellen von Videomaterial mit Missbrauchsdarstellungen vor. Der Angeklagte hat ein Geständnis abgelegt.

Von Andrea Schültke | 27.04.2022
Prozesssaal Landgericht Stuttgart
Der Prozess gegen den Handballtrainer fand vor dem Landgericht Stuttgart statt (Deutschlandradio/Andrea Schültke)
Triggerwarnung:
Text und Audio enthalten Beschreibungen sexualisierter Gewalt, die verstörend und retraumatisierend wirken können. Hilfe und Beratung für Betroffene gibt es am Hilfetelefon 0800-22 555 30 und online: hilfe-telefon-missbrauch.online
567 Taten an mindestens acht Betroffenen Jungen listet die Anklageschrift auf. Über 15 Jahre lang soll der Beschuldigte die zum Teil schweren sexuellen Übergriffe begangen haben. Manche der Betroffenen waren zum Zeitpunkt der Taten unter 14 Jahre alt. 
Der Angeklagte legte ein vollumfängliches Geständnis ab, das er von seinem Verteidiger verlesen ließ.
"Das wird sicher für große Erleichterung sorgen bei den Betroffenen, weil sie jetzt wissen: Ja, es ist öffentlich, er hat es getan und er leugnet selber auch nicht mehr ab", ordnet Jens Rabe das Geständnis ein. Der Rechtsanwalt aus Waiblingen vertritt sechs der acht Betroffenen als Nebenkläger.

Handball zentraler Lebensinhalt

Für sie sei der Sport zentraler Lebensinhalt gewesen, so Jens Rabe.
"Und wenn dann natürlich ein Trainer kommt, der einen fördert oder umgekehrt damit droht, einem die Förderung zu entziehen, dann ist das eine Situation, wie man so junge Leute durchaus manipulieren kann und auch verhindern kann, dass ein Missbrauch, den es gab, öffentlich wird, dass die drüber reden."
Außerdem soll der Beschuldigte die jungen Handballer beschenkt haben, mit Trikots, Gutscheinen fürs Onlineshopping oder Videospielen. Zum Teil hat er laut Anklageschrift schwierige Lebenssituationen der Spieler wie etwa den Tod eines Elternteils für seine Zwecke ausgenutzt.
Der Angeklagte versteckt sich hinter einem Aktenordner
Ein 53-jähriger Handballtrainer hat vor Gericht zugegeben, Kinder und Jugendliche jahrelang missbraucht zu haben (Deutschlandradio/Andrea Schültke)
Für die fast 600 Verbrechen, die ihm zur Last gelegt werden, hat sich der ehemalige Trainer in der von seinen Anwälten vorgelesenen Erklärung entschuldigt. Sowohl beim Verein als auch bei den Betroffenen. Seine Mandanten wollten nicht, dass der Angeklagte Entschuldigungen an sie richtet, so Anwalt Jens Rabe.

Angeklagter drohte mit Suizid

Die schweren Übergriffe belasteten die heute jungen Männer nach wie vor. Vor allem auch die Drohung des Beschuldigten, sich umzubringen, sollten die Taten öffentlich werden:
"Wenn Sie so wollen, ist es die Atombombe unter den manipulativen Möglichkeiten. Wenn Sie das einem 14, 15, 16-jährigen sagen, ihn als quasi Beziehungspartner darstellen und dann damit kommen: Ich bring mich um, wenn du nicht mehr mittust. Sie können sich vorstellen, wie das nachhallt."
Bis heute führe das bei den Betroffenen zu Gewissenskonflikten, so Rabe.
Anwalt Jens Rabe im Anzug
Anwalt Jens Rabe (Deutschlandradio/Andrea Schültke)
Fünf weitere Verhandlungstage sind angesetzt. Drei der Betroffenen haben bereits am ersten Tag ihre Aussage gemacht. Möglicherweise bleibt weiteren der heute meist jungen Männer durch das Geständnis des Angeklagten die Aussage erspart.
Im Sommer vergangenen Jahres hatte sich einer der ehemaligen Handballer an die Polizei gewandt. Diese stellte nach eigenen Angaben bei einer Hausdurchsuchung beim Angeklagten umfangreiches Beweismaterial sicher. Der Beschuldigte sitzt seit knapp fünf Monaten in Untersuchungshaft.
Wenn Sie selbst Opfer von sexualisierter Gewalt geworden sind und mit ihrer Geschichte auf das Thema aufmerksam machen wollen, schreiben Sie unserer Autorin Andrea Schültke direkt: Andrea.Schueltke.fm@deutschlandradio.de