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Prozess in Istanbul
Pro-kurdische Publizisten vor Gericht

In Istanbul beginnt der Prozess gegen Mitglieder des Redaktionsbeirats der pro-kurdischen Zeitung "Özgür Gündem". Ihnen wird unter anderem versuchter Umsturz der staatlichen Ordnung vorgeworfen. Zu den Angeklagten zählt auch die Vorsitzende des türkischen Menschenrechtsvereins, Eren Keskin. Unsere Autorin hat sie getroffen.

Von Susanne Güsten |
    Eren Keskin, die frühere Chefredakteurin der türkischen Zeitung "Özgür Gündem" spricht in Istanbul mit Pressevertretern, während kurdische Frauen Fotos inhaftierter Journalisten zeigen.
    Eren Keskin, die frühere Chefredakteurin der türkischen Zeitung "Özgür Gündem" (afp / Bulent Kilic)
    Jeden Sonntag geht Eren Keskin zur Polizeiwache in der Innenstadt von Istanbul und leistet eine Unterschrift. Die Vorsitzende des türkischen Menschenrechtsvereins ist nur unter Auflagen auf freiem Fuss, darf das Land nicht verlassen und muss sich wöchentlich bei der Polizei melden. Der Prozess gegen den Redaktionsbeirat von "Özgür Gündem" ist nicht das einzige Verfahren gegen sie: "Gegen mich persönlich laufen derzeit 140 Strafverfahren. Bei den allermeisten geht es um meine Tätigkeit als Chefredakteurin von ‚Özgür Gündem‘."
    Dennoch findet Eren Keskin die Zeit, sich um viele der Untersuchungshäftlinge zu kümmern, mit denen die türkischen Gefängnisse überfüllt sind. Als Anwältin hat sie einige von ihnen in der Haft besuchen können, darunter die 70jährige Sprachwissenschaftlerin Necmiye Alpay und die 49jährige Romanautorin Asli Erdogan, die mit ihr angeklagt sind. Insbesondere der jüngeren Frau gehe es im Gefängnis sehr schlecht, berichtet Eren Keskin:
    Schwere Vorwürfe in der Anklageschrift
    "Asli Erdogan hat eine chronische Darmkrankheit und bekommt von den meisten Lebensmitteln sofort Durchfall. Psychisch ist sie auch in schlechter Verfassung, denn sie kann einfach nicht verstehen, warum sie im Gefängnis ist. Sie ist ein sehr in sich gekehrter Mensch mit wenig sozialen Kontakten. Wenn solch ein Mensch plötzlich als Mitglied einer Terrororganisation eingesperrt wird, dann verursacht das ein Trauma."
    Alleine indem sie ihr Renommée als Romanautorin bei "Özgür Gündem" einbrachte, habe Asli Erdogan sich der Terrorpropaganda schuldig gemacht, heißt es in der Anklageschrift. In ihren Kolumnen habe sie zudem PKK-Mitglieder als normale Bürger dargestellt und das Vorgehen der Sicherheitskräfte im Kampf gegen die kurdische Terrorgruppe kritisiert. Gegen Eren Keskin werden in der Anklageschrift noch schwerere Vorwürfe erhoben: Als Chefredakteurin von "Özgür Gündem" sei sie, so wörtlich, "eine PKK-Kämpferin mit der Feder" gewesen. Gewalttaten oder Aufrufe zur Gewalt werden freilich keinem der Angeklagten vorgeworfen – der Terrorismusvorwurf stützt sich vielmehr darauf, dass die Zeitung die politischen Ziele der PKK teile.
    "Es gibt einfach keinen Rechtsweg mehr"
    Für Eren Keskin sind solche Anklagen nicht neu. Die kurdische Rechtsanwältin engagiert sich seit drei Jahrzehnten in der Menschenrechtsbewegung, ist zweimal Ziel bewaffneter Anschläge gewesen und hat auch schon im Gefängnis gesessen. Besonders schwer seien die 90er Jahre gewesen, als die Sicherheitskräfte im PKK-Krieg brutal gegen alle kurdischen Aktivisten im Südosten des Landes vorgingen – aber noch schwerer sei es jetzt, sagt sie:
    "Selbst in den 90er Jahren konnten wir die Gerichte anrufen, dieses Recht hatten wir damals immerhin noch. Aber jetzt gibt es das nicht mehr: Unter dem Ausnahmezustand kann man keine Rechtsmittel mehr einlegen gegen Verfügungen der Behörden. Es gibt einfach keinen Rechtsweg mehr. Ich weiß wirklich nicht mehr, wie das weitergehen wird. Früher haben wir einigermaßen absehen können, was passiert, aber dieses Regime geht so widerrechtlich vor, dass die unvorstellbarsten Dinge geschehen können."
    "Der Druck im Kessel der türkischen Gesellschaft steigt"
    Vieles seien Veteranen der türkischen Menschenrechtsbewegung gewohnt, sagt Eren Keskin: Verhaftungen, Folter und Gefängnis. In diesen Tagen kämen aber neue Formen der Repression hinzu: "Das gab es früher nicht: dass die Leute wegen ihrer Gesinnung ihre Arbeit verlieren und ihre Gehälter beschlagnahmt werden. Die Leute fürchten sich heutzutage, einen Mucks zu machen, denn jeder hat Kinder und Familie zu ernähren. In Diyarbakir sind die meisten meiner Bekannten aus dem öffentlichen Dienst entlassen worden. Was sollen diese Leute machen, wie sollen sie überleben? Viele stützen sich noch auf Verwandte, oder Freunde sammeln Geld für sie, aber auf Dauer kann man so nicht leben. Die treiben die Leute in den Selbstmord."
    Der Druck im Kessel der türkischen Gesellschaft steige, glaubt Eren Keskin. Die Frage sei nur, wie lange es noch dauert bis zur Explosion - und wie viele Menschen bis dahin noch eingesperrt würden: "Ich rechne damit, dass etwas passiert, denn so kann es einfach nicht weitergehen. Es ist alles wie ein Alptraum. Ich arbeite schon so lange in der Menschenrechtsbewegung, aber ich kann mich nicht erinnern, jemals so hoffnungslos und hilflos gewesen zu sein. Wenn nichts geschieht, bin ich in spätestens sechs oder sieben Monaten im Gefängnis - und dann komme ich nie wieder raus."