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Prozess nach Schüssen auf Schwarzen
Polizist aus Chicago hält sich für unschuldig

In Chicago wird zum ersten Mal seit 30 Jahren ein Polizist wegen Mordes im Amt angeklagt. Er hatte einen 17-jährigen Schwarzen getötet - mit 16 Schüssen in 15 Sekunden. Es geht aber auch darum, ob die Justizbehörden in den USA immer dann wegschauen, wenn es um einen zu schnellen Einsatz von Polizeiwaffen geht.

Von Thilo Kößler |
    Police Officer Jason Van Dyke erreicht am 18.12. das Gericht in Chicago für eine Anhörung.
    Der Polizist Jason Van Dyke muss sich in einem Prozess für Schüsse auf einen 17-Jährigen verantworten. (picture alliance / dpa - Zbigniew Bzdak / Pool)
    Die Stimmung in Chicago ist gereizt - wie aufgeheizt sie wirklich ist, ließ sich für einen Moment erahnen, als der Polizeioffizier Jason Van Dyke sich einen Weg durch eine wütende Menge ins Gericht bahnen musste.
    Als Mörder eines unschuldigen Jungen wurde er beschimpft - und wegen Mordes muss sich Jason Van Dyke tatsächlich vor dem Gericht in Chicago verantworten: wegen Mordes an dem 17-jährigen Afro-Amerikaner Laquan McDonald, den Van Dyke in einer Oktobernacht 2014 binnen 15 Sekunden mit 16 Schüssen niederstreckte und tötete. Über ein Jahr dauerte es, bis die Behörden auf richterlichen Beschluss das Video aus der Autokamera des Polizeiwagens freigaben: Zu sehen ist, wie Laquan McDonald mit einem Messer in der Hand vor dem Polizeiwagen davonläuft. Van Dyke steigt aus und eröffnet sofort das Feuer. Er schießt noch, als der 17-Jährige bereits wehrlos am Boden liegt.
    Fälle von Polizeigewalt an Afroamerikanern
    Innerhalb weniger Tage wird die amerikanische Öffentlichkeit mit immer neuen Fällen von Polizeigewalt an Afroamerikanern konfrontiert: Am Samstag wurde ein junger Mann und eine Nachbarin in Chicago Opfer eines bewaffneten Einsatzes der Polizei - die Mutter von fünf Kindern sei aus Versehen getötet worden, hieß es bedauernd. Anfang der Woche wurde in Cleveland/Ohio ein Polizist freigesprochen, der einen 12-jährigen Jungen niedergestreckt hatte, weil er mit einer Spielzeugpistole hantiert hatte: Die Beamten hätten nicht erkennen können, dass es sich um eine Waffenattrappe gehandelt habe, hieß es zur Begründung. Jetzt richten sich aller Augen wieder auf Chicago, wo es nun tatsächlich eine Mordanklage gegen einen Polizeibeamten gibt - zum ersten Mal seit 30 Jahren. Es geht um lebenslänglich, nicht mehr und nicht weniger, sagt die Anwältin Aviva Martin: Sie hält die sechsfache Anklage wegen Mordes für äußerst schwerwiegend.
    Doch der Polizeioffizier Jason Van Dyke bleibt dabei: Er sei unschuldig, sagte er dem Gericht. Dabei wird sein Anwalt Mühe haben, das belastende Polizeivideo zu entkräften. Am 29. Januar soll das Verfahren fortgesetzt werden. Eineinhalb Millionen Dollar wurden aufgebracht, um den angeklagten Polizisten gegen eine Kaution freizusetzen.
    Belastendes Video erst unter massivem Druck freigegeben
    Das alles ist nicht dazu angetan, die Lage zu entspannen. Nach der Veröffentlichung des Videos kochte die Stimmung hoch in Chicago - der Polizeichef der Stadt musste seinen Hut nehmen. Nun aber wird der Fall auch politisch zunehmend brisant: Die Frage steht im Raum, weshalb der Mitschnitt erst unter massivem Druck der Richter von den Polizeibehörden freigegeben wurde: Weil er derart belastend ist? Oder weil sonst die Wiederwahl von Bürgermeister Rahm Emanuel gefährdet gewesen wäre? Der hartleibige Politiker, ein ehemaliger Vertrauter Präsident Obamas, steht jetzt im Mittelpunkt der Kritik - die Forderungen nach seinem Rücktritt werden immer lauter, wie die Anwältin Aviva Martin sagt - auch wegen seiner Art des Umgangs mit dieser Krise.
    Immerhin brach Emanuel mittlerweile seinen Urlaub auf Kuba ab und ließ wissen, dass er sich mit Blick auf die Krisenintervention intensiver um die Ausbildung seiner Polizisten kümmern möchte. Doch damit scheint es nicht getan zu sein: Der Seelsorger der am Wochenende getöteten Mutter von fünf Kindern, Marshal Hatch, beschwor das Stadtoberhaupt Chicagos im Fernsehsender CNN, seine undurchsichtige Politik zu überdenken und stattdessen auf absolute Offenheit zu setzen.
    "Der Bürgermeister ist gewaltig unter Druck. Und ich sage es ihm privat und öffentlich: Es gibt nur den Ausweg der völligen Transparenz. Es kann ja sein, dass er an seinem Job hängt, aber kein Bürgermeister kann vernünftig arbeiten, wenn er nicht mehr das Vertrauen seiner Bürger hat."
    Am Ende geht es wohl um ganz Grundsätzliches: Um eine politische Kultur, die immer noch auf Ausgrenzung von Minderheiten setzt. Die mit zweierlei Maß misst. Und die glaubt, soziale Konflikte mit Waffengewalt lösen zu können. Anwälte wie Jonathan Abady, die die Interessen von Opfern vertreten, sagen: Die USA sind schließlich kein Polizeistaat. Eine Uniform zu tragen, darf kein Freifahrtschein für Gewalt sein.