Der Prozess findet in einem der größten Säle des Berliner Landgerichts statt. Aber wegen des Abstandsgebots in der Coronakrise sind nur 17 Zuschauer zugelassen: zehn Journalisten und die Öffentlichkeit in Gestalt von sieben weiteren Personen. Die Sicherheitsvorkehrungen sind scharf. Das Publikum darf nicht mal Stift und Papier mitbringen. Das Gericht leiht dem Beobachter einen Bleistift. Tatsächlich muss Richter Thorsten Braunschweig den Prozess zehn Minuten nach Beginn wegen einer Bombendrohung für anderthalb Stunden unterbrechen. Gerichtssprecherin Lisa Jani erklärt:
"Per Fax ist eine Drohung eingegangen, dass, wenn mit der Hauptverhandlung begonnen werden würde, hier eine Bombe hochgehen würde. Es hat Bezüge zum rechten Spektrum von der Sprache her. So endet das Schreiben zum Beispiel mit ‚Heil Hitler‘".
Drohungen zeigen mörderischen und sexistischen Hass
Eben wegen solcher Drohungen steht der Beschuldigte, der 32-jährige André M., vor Gericht. Der blasse, hagere Mann folgt der Verhandlung mit gesenktem Kopf, als sei er unbeteiligt. 107 Taten legt ihm Oberstaatsanwältin Eva-Maria Tombrink zur Last: Bombendrohungen per E-mail gegen Gerichte, Einkaufszentren, Polizei, Journalisten, Bundestagsabgeordnete. Sein mörderischer und sexistischer Hass soll sich auch gegen die Sängerin Helene Fischer gerichtet haben, der er vorgeworfen haben soll, sie sei Slawin und habe deshalb im deutschen Volkstum nichts zu suchen. In zynischem Ton hieß es in den E-mails zum Beispiel, man habe "ein bisschen Sprengstoff" oder ein "nettes Geschenk" hinterlegt.
Mittäter und rechte Strukturen
Die Bombendrohung, die den Prozess unterbricht, erinnert an die lange Liste der Mails, die André M. zwischen Oktober 2018 und April 2019 in ganz Deutschland verschickt haben soll – im Namen einer "Nationalsozialistischen Offensive".
Lisa Jani "Vom Inhalt und vom Sprachduktus deutet es darauf hin, dass es aus dem Umfeld des Angeklagten kommen könnte, zumindest von Gleichgesinnten, die eben ähnliche Ideen haben wie das, das dem Angeklagten hier konkret vorgeworfen wird."
Vor einem Jahr, im April 2019, hatte die Polizei André M. in seinem Elternhaus in Halstenbek in Schleswig-Holstein festgenommen. Seither sitzt er in Untersuchungshaft, erst in Neumünster, dann in Berlin-Moabit. Im Januar 2019 übernahm die Berliner Staatsanwaltschaft federführend die Ermittlungen. Eine der Drohmails, abgeschickt von der "Nationalsozialistischen Offensive", ging bei der Bundestagsabgeordneten Martina Renner von der Linken ein. Darin wurde angedroht, man werde künftig Briefbomben verschicken und Bürger auf offener Straße exekutieren. Martina Renner sitzt als Nebenklägerin im Gerichtssaal.
"Auch nachdem der Angeklagte, André M., festgenommen wurde, haben diese Bedrohungen nie aufgehört. Das heißt, es gibt weitere Mittäter, Mitwisser, es gibt auch Strukturen, über die man in diesem rechten Milieu kommuniziert. Da spielt das Darknet eine wichtige Rolle. Und da gibt es Blaupausen, man bezieht sich aufeinander."
Drohungen können schnell Taten folgen
Die im Prozess verhandelten E-mails schürten Angst, wo sie eingingen. Am 10. Januar 2019 evakuierten die Behörden wegen der Drohungen Justizgebäude in Potsdam, Köln und Erfurt, das Flensburger Rathaus und den Hauptbahnhof von Lübeck. Bei der E-mail-Serie handle es sich nicht um eine Bagatelle, sagt die Bundestagsabgeordnete Martina Renner.
"Die Drohungen gegen Institutionen der Demokratie, gegen Abgeordnete, gegen Gerichte, gegen Rathäuser – das ist ja ein Merkmal von rechten Aktionen in den letzten Jahren, und ich finde, genau solchen Vorfällen muss man entschieden nachgehen, weil dahinter steht ja eine komplette Ablehnung der Demokratie, auch des Rechtsstaates, und ein Angriff auf alle, die auch diesen tragen."
Der Beschuldigte, André M., ist wegen Brandstiftung und Sprengstoffdelikten vorbestraft. Daraus lasse sich folgern, meint Renner, dass es einen Übergang von verbalen Drohungen "hin zur Tat" gebe. Auch der Mord an dem hessischen Regierungspräsidenten Walter Lübcke vom Juni 2019 sei für diesen Zusammenhang von Worten und Taten ein Beispiel.
Das Berliner Landgericht hat für den Prozess gegen André M. viele Zeugen geladen. Bis Anfang September hat es 24 Verhandlungstage vorgesehen.