"Das wird der Zugang für die Nebenkläger sein, die Nebenkläger haben, das ist ja für sie ein sehr belastendes Verfahren, hier einen Eingang wo sie ganz in Ruhe die Hallen betreten können."
Melanie Bitter, Sprecherin des Landgerichtes Oldenburg, führt durch die Weser-Ems-Hallen. Die Räume des Landgerichtes sind zu klein für 126 Nebenkläger und rund 200 Plätze für die Öffentlichkeit – deshalb zieht das Landgericht für den Prozess gegen Högel in die Kongresshalle um Schon die 126, noch leeren Stühle für die Angehörigen der Opfer zeigen die schier unvorstellbare Dimension der Vorwürfe, für die Niels Högel sich hier verantworten muss. Mutmaßlich 100 Morde – erst gestern ist noch ein weiterer Tatvorwurf vom Gericht zugelassen worden.
Einige Morde bereits 18 Jahre her
Högel wurde bereits 2015 in fünf Fällen wegen Mordes, versuchten Mordes und gefährlicher Körperverletzung zu lebenslanger Haft verurteilt, dabei wurde auch eine besondere Schwere der Schuld festgestellt. Weil dieses Strafmaß nicht erhöht werden kann, geht es in diesem Prozess vor allem um Aufklärung und Gerechtigkeit, erklärt Melanie Bitter:
"Es geht hier darum, dass jeder Nebenkläger, der einen Menschen verloren hat, der ihm viel wert war, das Recht hat zu erfahren, ob diese Person ein Opfer einer Tötung geworden ist, oder nicht und das Gericht wird sich bemühen, insoweit nach Möglichkeit Gewissheit zu schaffen."
Einige der mutmaßlichen Morde sind inzwischen 18 Jahre her. In den Jahren 2000 bis 2005 arbeitete Högel in den Kliniken Oldenburg und Delmenhorst als Krankenpfleger. Offenbar aus Gier nach Anerkennung spritzte er seinen Patienten heimlich Herzmedikamente, die ein Kammerflimmern verursachten, dann versuchte er sie wiederzubeleben, um sich damit zu brüsten, sie gerettet zu haben. Vermutlich über 200 Patienten überlebten das nicht. Aber es lassen sich nicht mehr alle Taten nachweisen.
Viele Angehörige der Opfer sehen Niels Högel heute zum ersten Mal:
"Emotional ist das für alle eine Achterbahn der Gefühle", sagt der Vertreter der Opfer-Angehörigen, Christian Marbach. Für den versuchten Mord an seinem Großvater ist Högel 2015 verurteilt worden. Er weiß, wie es ist, ihm im Gerichtssaal zu begegnen:
"Ich persönlich war danach sehr desillusioniert, weil Niels Högel, der sieht nicht aus, wie ein böser, oder Massenmörder, sondern das ist son Typ arme Wurst. Der könnte von jedem der Kollege, der Nachbar, der Sportskumpel oder so sein, der verliert unheimlich viel von seinem Schrecken, wenn man ihn mal live und in Farbe sieht."
"Da steckt ganz viel drin, auch für die persönliche Verarbeitung"
Für die Angehörigen sind Mitarbeiter des Weißen Rings und das Deutsche Rote Kreuz vor Ort. Sie haben einen geschützten Aufenthaltsraum und werden, wenn sie die Weser-Ems-Hallen betreten, elektronisch erfasst. So wird ihnen erspart, dass ihre Anwesenheit im Gerichtssaal festgestellt wird.
Christian Marbach erzählt, dass alle Angehörigen unterschiedlich mit dem Prozess umgehen, manche wollen anwesend sein, andere sehen sich dazu nicht in der Lage:
"Da steckt ganz viel drin, auch für die persönliche Verarbeitung, bis hin vielleicht auch: vergeben. Also auch das ist ein Umgang. Auch mit der Frage wird sich jeder beschäftigen müssen, auch in all der Wut auch in all der Ablehnung, dass man sich irgendwann die Frage stellt, wie weit bin ich denn bereit dem Mörder auch zu vergeben, um einfach auch loszulassen."
Noch ist offen, ob Högel heute aussagt. Der Prozess wird voraussichtlich bis Mitte Mai 2019 gehen. Danach müssen sich vier Klinikmitarbeiter aus Delmenhorst wegen Totschlags durch Unterlassen verantworten. Aus Sicht der Staatsanwaltschaft hätten sie 2005 drei Morde und zwei Mordversuche verhindern können.