2009 verhängte die Internationale Eischnelllaufunion ISU eine zweijährige Dopingsperre gegen Pechstein aufgrund auffälliger Blutwerte. Eine positive Dopingprobe gab es nicht. Pechstein hat immer Doping bestritten und die auffälligen Werte mit einer geerbten Blutanomalie begründet. Der Internationale Sportgerichtshof CAS bestätigte die Sperre der ISU und mit einer Revision vor dem Schweizer Bundesgericht scheiterte die fünffache Olympiasiegerin. Sportrechtlich hatte sie damit verloren, aber aufgegeben hat sie deshalb nicht. Jetzt will sie Schadensersatz von der ISU. Mit ihrer Klage befasst sich der Bundesgerichtshof jetzt am Dienstag.
Für Claudia Pechstein geht es dabei um viel Geld. Rund 4,4 Millionen Euro Schadensersatz für entgangene Wettkämpfe, allen voran die Olympischen Winterspiele 2010 in Vancouver, für ausgefallene Sponsoreneinnahmen und Fördergelder.
Doch bei der Verhandlung vor dem Bundesgerichtshof am Dienstag geht es zunächst einmal nicht um Pechsteins Geldforderung. Die höchsten Richter in Deutschland befassen sich mit der Frage, ob ein Zivilgericht überhaupt darüber entscheiden darf.
Keine Wettbewerbteilnahme ohne Schiedsklausel
Denn für Streitigkeiten im Sport sind eigentlich die Sportschiedsgerichte zuständig. Die Athleten unterschreiben vor ihren Wettkämpfen in einer Schiedsklausel, dass sie bei Streitfällen diese Instanz statt der ordentlichen Gerichte anerkennen.
Allerdings haben die Sportler praktisch keine andere Wahl. "Sportverbände sind nun mal Monopole weltweit und auch in Deutschland herrscht in der Regel das Ein-Platz-Prinzip. Also es gibt genau einen Verband und jeder Sportler, der an einem Wettbewerb teilnehmen will, ist quasi gezwungen im Wege der Athletenvereinbarung sich diesen Schiedsklauseln zu unterwerfen," erläutert Stephan Dittl, Sportjurist bei der Frankfurter Kanzlei Salger. Einzige Ausnahme: Boxen.
Weil es aber in allen anderen Sportarten dieses Monopol der jeweiligen Verbände gibt, stellt sich die Frage, ob die Verbände ihre Marktmacht bei Streitfällen missbrauchen. Das Oberlandesgericht München, dass sich mit der Schadensersatzklage von Pechstein in zweiter Instanz befasste, kam zu der Auffassung: Dass beim Internationalen Sportgerichtshof CAS die Verbände im Vergleich zu den Athleten einen deutlich größeren Einfluss hätten. Abzulesen an der Besetzung des ICAS, das Gremium, das am Ende über die Schiedsrichterliste entscheidet und bei Uneinigkeit zwischen den Parteien den dritten Richter benennt. Der ICAS wird hauptsächlich von Verbandsvertretern besetzt. Und das bedeutet, so Sportjurist Dittl: "Mal abstrakt gesprochen die Wahrscheinlichkeit eines verbandsfreundlichen Schiedsgerichts höher ist als eines athletenfreundlichen Schiedsgerichts."
Korrektur nur schwer möglich
Sollte der BGH diese Auffassung bestätigen, wäre die Frage, ob der CAS dieses Ungleichgewicht beheben könnte. Da gäbe es allerdings ganz praktische Probleme: Wer ist am besten geeignet um Athleteninteressen zu vertreten? Die Athleten selbst haben während ihrer aktiven Karriere kaum Zeit dazu. Sportlergewerkschaften gibt es nur sehr vereinzelt. Und ehemalige Athleten? Der Düsseldorfer Jurist Martin Schimke ist Schiedsrichter beim CAS und gibt zu Bedenken: "Sagen wir mal, wenn einer Olympiasieger war, und später Präsident eines Verbandes, was ist der denn eigentlich?"
Im Übrigen gibt es ja nicht nur Athleten im Sport, die sogenannte Stakeholder sind, sondern es gibt ja auch Sponsoren, Agenten, Fans, Trainer, Schiedsrichter. Auch die sind hier und da vor dem CAS. Die könnten ja genau so sagen, ich finde mich da gar nicht wieder in der Besetzung.
Möglicher Präzedenzfall
Und es gibt auch noch ein anderes Problem, das die Karlsruher Richter bei ihrer Entscheidung wohl berücksichtigen werden: Sollte Claudia Pechstein gewährt werden, dass sie vor einem ordentlichen Gericht die ISU auf Schadensersatz verklagen darf, wäre das ein Signal auch für andere Sportler in Deutschland, diesen Weg zu gehen. Die Schiedsklauseln würden nicht mehr gewährleisten, dass Streit im Sport auch ausschließlich innerhalb des Sports geregelt wird. Allerdings gilt das dann nur für deutsche Athleten, betont Schimke: "In anderen Ländern wird das durchaus anders gesehen. Das Schweizer Bundesgericht – das ist ja auch nicht irgendwer – hat in mehreren Urteilen, den CAS als echtes Schiedsgericht anerkannt. Es hat keine Bedenken an der Neutralität. Und in Deutschland, gut, gibt es jetzt eventuell eine andere Sicht, aber das ist eine Sicht von hunderten in der Welt."
Die sicherlich dennoch für Beachtung beim CAS sorgen dürfte. Immerhin ist Deutschland ein wichtiger Markt, der auch Signale in andere Länder sendet. Mit anderen Worten: am Dienstag wird in Karlsruhe die generelle Akzeptanz der Internationalen Sportschiedsgerichtsbarkeit mitverhandelt.
Je nach Urteilsspruch mit weitreichenden Folgen, worauf der Frankfurter Sportjurist Stephan Dittl hinweist: "Wenn man als Alternative nimmt, dass immer nur ordentliche Gerichte urteilen und jetzt spreche ich beispielsweise mal die russischen Sportler an, denen ja momentan auch quasi verbandsseitig vorgegebenes Doping vorgeworfen wird und würde sich vorstellen, dass über Dopingsperren der russischen Sportler die russischen, ordentlichen Gerichte entscheiden, wo man ja auch nicht genau weiß, inwieweit diese rechtsstaatlichen Prinzipien unterworfen sind, dann möchte man sich das auch nicht vorstellen."
Den vollständigen Beitrag können Sie bis mindestens 6. September 2016 in unserer Mediathek nachhören.