Warum veröffentlichen Wissenschaftler in Raubjournalen und besuchen Scheinkonferenzen? Die Gründe: vielfältig. Die Vorwürfe: massiv.
Vorwurf 1: Das Erschleichen wissenschaftlicher Reputation
Je mehr Fachartikel jemand zustande bringt, umso besser für die Karriere. Da klingen die Angebote der Raubjournale verlockend: Sie veröffentlichen – gegen Geld und ohne ernsthafte Prüfung – jeden Artikel, egal in welcher Qualität. Die Folgen für die Wissenschaft: fatal, meint Joachim Funke, Uni Heidelberg.
"Wenn ich wahr und falsch nicht voneinander unterscheiden kann, wird das Vertrauen in Wissenschaft hochgradig gefährdet."
Vorwurf 2: Aufwertung von Scharlatanen
Auch Schwindler, Betrüger und Scharlatane veröffentlichen in Raubjournalen. Ihre Machwerke werden dort anstandslos akzeptiert – Hauptsache, die Kohle stimmt. Indem Wissenschaftler in denselben Magazinen publizieren, verhelfen sie den Gauklern zu unverdienter Seriosität, so Gerd Antes, Cochrane-Institut, Freiburg.
"Ich finde es hochgradig unverantwortlich von seriösen Wissenschaftlern, dort zu publizieren, wo erkennbar und vorsätzlich unseriösen Autoren der Raum gegeben wird und die damit aufzuwerten."
Vorwurf 3: Fahrlässigkeit und Schlamperei
In Deutschland dürfte sich die Zahl der Wissenschaftler, die bewusst betrügen, in Grenzen halten. Stattdessen stolpern viele in die Fallen der Raubverleger, aus Naivität und mangelnder Sorgfalt. Später dann ist die Reue groß – wie bei Peter Nyhuis, Uni Hannover.
"Ich bin tatsächlich auch von einem Kollegen auf einen WASET-Beitrag aufmerksam gemacht geworden. Der sagt: ‚Bist Du denn des Wahnsinns. Bei WASET was zu publizieren, ist nicht in Ordnung.‘ Wobei ich sagen muss, dass wir dort nicht-wissentlich einem solchen System aufgesessen sind."
Vorwurf 4: Verharmlosen und Verschweigen
Gerd Antes: "Das größte Problem ist, dass keiner dieses Problem sieht."
Manche, die auf Raubjournale hereingefallen sind, geben das nicht zu, präsentieren Ausreden, finden Ausflüchte. Anderen ist es peinlich, sie schweigen, statt ihre Kollegen zu warnen. Und die tappen dann womöglich in dieselbe Falle.
Inken Feldsien-Sudhaus, Direktorin der Bibliothek der TU Hamburg: "Das ist schon alles sehr geschickt aufgezogen. Das ist zum Teil täuschend ähnlich aufgemacht, dass da eigentlich jeder reinfallen kann."
Auch erfahrene Forscher fallen auf dubiose Anbieter herein
Als Raubverleger gelten unter anderem WASET aus der Türkei und auch OMICS aus Indien, dessen Repräsentant Srinababu Gedela stolz auf die Zahl der veröffentlichten Artikel ist.
"Insgesamt haben wir bislang eine Million Artikel publiziert. Und allein in diesem Jahr veranstalten wir 3000 Konferenzen, Symposien und Workshops."
Raubverleger ködern Wissenschaftler, damit diese ihre Fachartikel gegen Geld bei ihnen veröffentlichen. Zum Teil arbeiten die Scheinverlage dabei mit üblen Tricks: seriös anmutende Internetseiten, Fachjournale mit Namen ganz ähnlich wie die von etablierten Zeitschriften – und verlockende Email-Angebot an Forscher. Nicht nur junge Wissenschaftler fallen darauf rein, auch erfahrene, sagt Inken Feldsien-Sudhaus.
"Es gibt bestimmte Betrügereien, da sagt jeder: Das würde mir nie passieren! Und da ist es dann doch so."
Checkliste gegen schwarze Schafe
Dennoch: Ausgeliefert ist man den Scheinverlagen nicht, man kann sich schützen. Eine gute Orientierung gerade für Nachwuchswissenschaftler bietet die Internetseite thinkchecksubmit.org – eine Art Checkliste, die hilft, die schwarzen Schafe zu erkennen. Und: An den meisten Institutionen gibt es ausgewiesene Fachleute, die sich mit der Materie auskennen. Es sind die Bibliothekare wie Martin Köhler vom Forschungszentrum DESY in Hamburg.
"Wir müssen stärker dazu kommen, dass die Wissenschaftler die Experten dazu befragen und sich die Meinung holen. Dafür sind wir als Bibliothek da."
Raubverlage und Scheinkonferenzen. Lange galten sie als Phänomen, das vor allem Entwicklungsländer betrifft. Doch laut Recherchen von NDR, WDR und "Süddeutscher Zeitung", sind seit 2014 immer mehr deutsche Wissenschaftler verwickelt. Mittlerweile sind es über 5.000.