"Guten Abend, Clarice..."
Als Psychiater ist Doktor Hannibal Lecter ein eher unrühmliches Beispiel seiner Zunft – schließlich ist er, wie wir in den ersten Minuten des Spielfilms "Das Schweigen der Lämmer" erfahren, zuletzt als Serienmörder und Kannibale in Erscheinung getreten. Schlimmer noch: Er nutzt seine überaus reichen Fähigkeiten zur Analyse, um sein Gegenüber einzuschüchtern, zu manipulieren und auszunutzen. Leidtragende ist im Film Clarice Starling, F.B.I.-Agentin und wegen eines Entführungsfalls erheblich unter Druck.
"Wissen Sie, wie Sie mir vorkommen mit Ihrem hübschen Täschchen und Ihren billigen Schuhen? Wie ein richtiger Bauerntrampel. Ein von oben bis unten gut abgeschrubbter, emsig bemühter Bauerntrampel mit ein bisschen Geschmack. Ich weiß, wie rasch die Jungs zu Ihnen gefunden haben, immer wieder all diese öden, schmuddeligen Fummeleien auf den Rücksitzen irgendwelcher Autos, während Sie nur davon geträumt haben, all dem zu entkommen, irgendwohin abzuhauen, den ganzen Weg bis zum F.B.I."
Von Doktor Dippy und Doktor Horny
Martin Poltrum, Psychotherapeut und Philosoph am Anton-Proksch-Institut in Wien, würde im Fall Lecter von einem typischen Doctor Evil sprechen, dem Inbegriff des bösen Wissenschaftlers. Aber zum Glück gibt es noch andere Kategorien, die für Umwelt und Patienten mit wesentlich weniger Risiken verbunden sind. Da wäre zum Beispiel Doktor Dippy:
"Das ist so der liebenswerte, schrullige Shrink, der teilweise verrückter ist wie die Patienten, die er behandelt, der aber letztendlich doch ganz liebenswert und harmlos und unschädlich ist, ein schräger Vogel eben."
Oder – nicht ganz so einfach zu nehmen - Doctor Horny, eher an sexuellen Abenteuern mit seinen Patienten interessiert, aber auch in einer romantischen Spielart präsent:
"Natürlich ist es verboten, Patienten und Therapeuten dürfen nicht miteinander, aber da wird diese romantische Idee repliziert, dass tiefe Heilung eigentlich nur über die ganzheitliche Liebe vonstatten geht."
Hitchcock bringt alles zusammen
Womit wir bei Alfred Hitchcock wären, der in "Spellbound" einfach alles zusammenbringt: Liebe – und zwar durchaus zwischen Ärztin und Patient, eine verlorene Identität, Mord und Psychoanalyse.
Petersen: "Du wirst an etwas erinnert."
Edwardes: "Nein."
Petersen: "Dieser Raum erinnert dich an etwas."
Edwardes: "Nein."
Petersen: "Dein Gedächtnis sträubt sich gegen etwas."
Edwardes: "Nein, nein."
Petersen: "Es sträubt sich, ich fühle es!"
Edwardes: "Hör' endlich auf!"
Edwardes: "Nein."
Petersen: "Dieser Raum erinnert dich an etwas."
Edwardes: "Nein."
Petersen: "Dein Gedächtnis sträubt sich gegen etwas."
Edwardes: "Nein, nein."
Petersen: "Es sträubt sich, ich fühle es!"
Edwardes: "Hör' endlich auf!"
"In einem guten Film ist nichts zufällig"
Dass alles einem guten Ende zustrebt, ahnt der Kenner schon beim Namen der Heldin, sagt Axel Karenberg, Medizinhistoriker und Professor an der Universität zu Köln. Die Dame heißt Konstanze:
"In einem guten Film ist nichts zufällig. Das lateinische Grundwort ist constancia, die Beharrlichkeit. Sie steht zu ihrer Liebe, sie steht zur Unschuld ihres Geliebten, auch gegen ihren psychiatrischen Ziehvater, gegen die Polizei – und obsiegt am Ende."
Damit kann Doktor Constance Petersen ohne Weiteres als Beispiel der unter Psychiatern wohl beliebtesten Kategorie Doctor Wonderful gelten. Obwohl...
"Diese Kategorien - also ganz unter uns - ich bin persönlich kein Fan davon. Es gibt mindestens genauso viele Mischfälle", sagt Karenberg.
"In den 70er, 80er, frühen 90er-Jahren wurden Filme eher genutzt, um Psychiatriekritik zu transportieren. Die hatten eine sehr breite Wirkung, und da darf man ruhig sagen: Je plakativer und undifferenzierter diese Filme waren, um so schwieriger war das für Psychiater zu schlucken."
"Manchmal sind Wahrheiten in der Literatur höherwertiger"
Zum Beispiel das Drama "Einer flog über das Kuckucksnest" - nach seinem Erscheinen 1975 als Anti-Psychiatrie-Film schlechthin interpretiert. Hier wird jede Abweichung von der Norm auf das Brutalste bestraft. So wie Rebell Randle McMurphy, auf den es die kühle und sadistische Oberschwester Ratched abgesehen hat.
"Möchten Sie vielleicht der Gruppe irgendetwas sagen, Mister McMurphy?"
Für manche Psychiater - auch auf dem Berliner Psychatriekongress - erfüllt der Charakter McMurphy sämtliche Kriterien einer antisozialen Persönlichkeitsstörung. Ist McMurphy ein Soziopath und Schwester Ratched nur jemand, der schwächere Patienten beschützen will?
"Tut mir leid."
Psychiater im Film sind eben nicht nur ein Abbild der beruflichen Realität. Philosoph Martin Poltrum:
"Manchmal sind die Wahrheiten, die in einem Gedicht oder in Literatur oder im Film zu finden sind, höherwertiger oder wahrer als das, was wir aus der Wirklichkeit herausnehmen können."