Es gibt viele Wege, Mäuse kontaktscheu zu machen. Behandlung mit Chemikalien, Eingriffe ins Hormonsystem, Veränderungen an den Botenstoffe des Gehirns, Infektionen. Robert Naviaux von der Universität in Kalifornien in San Diego löst bei trächtigen Mausweibchen ein kurzes Fieber aus. Nach einem Tag sind die Symptome verschwunden, aber der Nachwuchs verhält sich nach der Geburt anders.
"Mäuse sind sehr soziale Tiere, wenn sie eine andere Maus sehen, gehen sie hin und beschäftigen sich mit ihr. Aber wenn die Tiere aus unserem Versuch die Wahl zwischen Legoklötzchen und einer anderen Maus haben, dann interessieren sie sich für das unbelebte Objekt."
Der Stoffwechsel der Zellen als Hauptverantwortlicher
Der Medizingenetiker hofft an diesem Mausmodell, Aspekte der Entstehung autistischer Störungen verstehen zu können. Wie die meisten Forscher geht er davon aus, dass es eine Vielzahl von Faktoren gibt, die die Gehirnentwicklung aus der Bahn werfen können. Robert Naviaux vermutet, dass die entscheidende Reaktion auf einer ganz grundlegenden Ebene stattfindet: im Stoffwechsel der Zellen:
"Es gibt ein Notprogramm der Zellen, sie stellen ihren Stoffwechsel um, und schützen sich so vor Bedrohungen. Dann steht aber weniger Energie für die normale Entwicklung der Nervenzellen und Synapsen zur Verfügung. Meist wird das alles rückgängig gemacht, wenn die Gefahr vorbei ist. Aber manchmal bleiben die Stoffwechselveränderungen bestehen und das kann die Entwicklung auf einen ganz anderen Kurs bringen."
So etwas passiert bei seinen Mäusen und, so vermutet Robert Naviaux, auch bei autistischen Kindern. Tatsächlich lassen sich bei ihnen vergleichbare Veränderungen im Stoffwechsel beobachten. Entscheidend für dieses Modell ist, dass bestimmte Moleküle im Stoffwechsel eine Doppelfunktion haben.
"ATP zum Beispiel dient im Inneren der Zellen als Energieträger. Außerhalb der Zellen führt es aber zu Entzündungen und beeinflusst die Funktion der Synapsen. Unsere Hypothese lautet, dass autistische Kinder zu viel ATP außerhalb der Zellen haben und das die Gehirnentwicklung verändert und letztlich zu den Symptomen führt."
Der ATP-Überschuss sorgt in diesem Modell dafür, dass das Notprogramm des Stoffwechsels fälschlich aufrechterhalten wird. Suramin, ein Medikament gegen Tropenkrankheiten, kann diese Signalwirkung des ATPs unterbrechen. Deshalb gab Robert Naviaux seinen Mäusen eine einzelne Dosis Suramin:
"Die Tiere verhielten sich wieder genauso sozial, wie gewöhnliche Mäuse. Der Effekt hielt ungefähr fünf Wochen an, lange nachdem das Medikament abgebaut war. Suramin löst die Blockade im Stoffwechsel. Das Verteidigungsprogramm wird beendet und die Zellen können die Energie wieder in die normale Entwicklung investieren."
Ergebnisse aus Tierversuch nicht unbedingt übertragbar
Tatsächlich veränderte sich nicht nur der ATP-Spiegel der Tiere, eine Vielzahl von Stoffwechselwegen, ja selbst die Mikroben im Darm reagierten positiv. In diesem Mausmodel ist es also tatsächlich möglich, selbst noch im Erwachsenenalter wichtige Aspekte des autistischen Verhaltens zu beeinflussen. Allerdings ist Suramin kein Wundermittel. So sind die Mause von Robert Naviaux sehr ungeschickt, weil bestimmte Zellen in ihrem Kleinhirn abgestorben sind. Auch ein normalisierter Stoffwechsel kann diese Nerven nicht wieder wachsen lassen, deshalb konnte Suramin dieses Symptom nicht beeinflussen.
Der neue Blick auf die autistischen Störungen ist interessant, aber man sollte nicht vergessen, dass es hier nur um Mäuse geht. Ob bei autistischen Kindern wirklich das Notprogramm des Stoffwechsels im Mittelpunkt steht, oder doch eher dauerhafte Veränderungen der Nerven weiß derzeit niemand. Deshalb will Robert Naviaux das Potenzial von Suramin demnächst in einer kleinen Pilotstudie am Menschen ausloten. Letztendlich wird Suramin selbst aber sicher nicht zu einem Element der Autismustherapie werden, dazu verursacht die Substanz auf Dauer zu viele Nebenwirkungen. Naviaux:
"Wir müssen verträgliche Varianten von Suramin entwickeln. Die könnte man dann immer wieder geben, um den Stoffwechsel zu normalisieren und es den autistischen Kindern zu erleichtern, zu spielen und von den anderen Therapien zu profitieren."