"Wir haben jetzt wieder eine ganz ähnliche Situation wie wir sie vor 40 Jahren hatten, als die Psychiatrie-Enquete kam, weil: Wann bekommt man schon mal die Chance, dass jemand sagt: Versucht doch mal, ein Finanzierungssystem zu machen, was auf die Bedürfnisse von Menschen mit psychischen Erkrankungen ausgerichtet ist. Diese Chance haben wir jetzt, aber die kriegen wir nicht in einigen Jahren wieder. Wir dürfen sie jetzt nicht vertun. Das ist das, was uns sehr bewegt."
Es mutet ein wenig wie Pfeifen im Wald an, wenn Arno Deister eine historische Chance beschwört, wie sie die deutsche Psychiatrie zuletzt seit den 70er-Jahren gemeistert hat. Der Chefarzt des Zentrums für Psychosoziale Medizin am Klinikum Itzehoe ist Sprecher eines breiten Bündnisses von Fachgesellschaften und Verbänden, die versuchen, ein neues Bezahlsystem in der Psychiatrie zu verhindern. Dieses sogenannte Pauschalierende Entgeltsystem für psychiatrische und psychosomatische Kliniken, kurz PEPP genannt, könnte in den Augen seiner Gegner viele Erfolge der Psychiatriereform zunichtemachen. Zeit für Zuwendung und Gespräche gäbe es dann wohl nicht mehr, fürchten sie.
Aber die Mahner stehen mit dem Rücken zur Wand. Denn PEPP ist bereits auf dem Weg. Es wird seit 2013 eingeführt und soll 2017 verbindlich werden. Im Sommer hat Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe den PEPP-Gegnern immerhin die Chance gegeben, einen eigenen Vorschlag zur Finanzierung der stationären Psychiatrie vorzulegen. Dabei stützen sich Arno Deister und seine Mitstreiter auf sozialpsychiatrische Errungenschaften wie Orientierung am Menschen und seinem Lebensfeld - statt den Hilfsbedürftigen wie lange üblich einfach mit dem in der Institution Üblichen abzuspeisen.
Regionalbudget lässt dem Klinikleiter freie Hand
Der Versuch, auf jeden Patienten in seiner individuellen Situation einzugehen, kann im Klinikbereich bisher nur da so richtig gedeihen, wo Krankenkassen und Krankenhäuser gemeinsam neue Finanzierungs- und Behandlungskonzepte für ihre Region entwickeln. Im schleswig-holsteinischen Geesthacht etwa hat Matthias Heißler 2007 mit den Krankenkassen ein Regionalbudget vereinbart. Wie geradezu revolutionär sich das ausgewirkt hat, macht der Chefarzt der psychiatrischen Abteilung im Johanniter Krankenhaus bei einer Führung über die Station deutlich:
"Also, hier wurde - mitten auf der Station eine Wand eingebaut mit Tür, die dann von der Station abgetrennt wurde. Jetzt kommt man da gar nicht mehr raus oder rein, so jetzt, und alle anderen Räume hier stehen dann leer. Die Küche, die hatten wir noch renoviert und hatten noch gedacht: Diese beiden Stationen, die brauchen wir dringend, und da hatte sich halt rausgestellt: Diese Betten sind alle zuviel, und die Küche, die so wunderbar renoviert wurde, die brauchen wir auch nicht mehr."
Was anderen Klinikchefs die Stirn furchen würde - leere Betten! - lässt Matthias Heißlers Gesicht stolz aufleuchten. Denn während Krankenhäuser normalerweise über die stationären Behandlungen bezahlt werden, lässt ihm das Regionalbudget weitgehend freie Hand, wie und wo er seine Patienten behandelt - Hauptsache, er übernimmt die Verantwortung für die psychiatrische Versorgung der Region. Und so hat der Psychiater einen Gutteil seiner therapeutischen Interventionen ganz bewusst in das Umfeld der Patientinnen und Patienten verlegt.
"Wir haben den Ansatz, dass eine psychische Krankheit nicht vom Himmel fällt, sondern dass die halt im Zusammenhang mit der Familie, mit der Nachbarschaft, im sozialen Feld entsteht. Und wenn eine Krise oder Erkrankung im familiären häuslichen Umfeld entsteht, dann bietet es sich geradezu an, dass man dorthin fährt, wo die Krankheit entsteht, weil dort auch die Chancen, dass man aus einer Krise heraus kommt, höher sind wie auf der Station. Der Nachteil auf der Station ist, dass der Einzelne dort so behandelt wird, wie wenn er keinen Kontext hätte. Ohne Kontext gibt es aber keinen Sinn. Und jede psychische Erkrankung macht auch Sinn, wenn man den Kontext kennt."
Selbstbestimmung für die Patienten
Wo vorher drei Stationen mit 51 Betten für die Versorgung der 188.000 Menschen im Herzogtum Lauenburg notwendig waren, genügt jetzt eine Station mit durchschnittlich 20 belegten Betten. Die Mitarbeiter, die vorher auf der Station gearbeitet haben, bilden nun sogenannte Kriseninterventionsteams aus Pflegekräften, Ärzten, Ergotherapeuten und Sozialarbeitenden, wie sie Großbritannien und Skandinavien schon seit Jahren gang und gäbe sind. Die fahren zu den Erkrankten nach Hause oder auch an den Arbeitsplatz und versuchen dort, mit ihnen und ihren Angehörigen, Kollegen, Freunden herauszufinden, welche Widrigkeiten der Betreffende wohl als so schwerwiegend erlebt hat, dass er darüber depressiv, verwirrt, manisch oder schizophren geworden ist - und wie man das ändern kann.
"Was mir besonders gut gefällt, ist eigentlich, dass die Ärzte nach Hause kommen im Zweifelsfall, weil man eben zu Hause, wenn man krank ist, mit den Familienangehörigen leicht aneckt und Schwierigkeiten hat. Und wenn jemand wie Dr. Heißler da wirklich hinkommt und mit den Familienangehörigen auch spricht, auch alle Seiten anhört, das ist sehr, sehr positiv", sagt Patientin Christine Jordan. Sie ist vor einigen Monaten an einer Psychose erkrankt, als sie versucht hatte, ihr langjährig eingenommenes Medikament abzusetzen. In dieser Situation wurden der 52-Jährigen ihre Betriebsratsarbeit und die Reibereien mit ihrer pubertierenden Tochter zu viel und sie geriet mit allen "in Clinch", wie sie das ausdrückt. Wenn sie Matthias Heißler nicht schon über eine Psychosegruppe gekannt hätte, wäre sie wohl nicht so schnell bereit gewesen, psychiatrische Hilfe anzunehmen, sagt Christine Jordan. Denn die Erfahrungen mit einer früheren Klinikbehandlung waren schlecht.
Dank der Behandlung zu Hause konnte die Krise dieses Mal schneller aufgefangen werden. Sie sei bereits an ihren Arbeitsplatz zurückgekehrt, erzählt die kaufmännische Angestellte. Die Betriebsratsarbeit wird sie künftig einschränken. Und mit der Tochter ist ein Urlaub geplant. Für eine Weile wird die Genesene noch zu Gesprächen mit dem Psychiater in die Klinik kommen. Und danach?
"Hier weiß ich, hier habe ich eine Anlaufstelle, wo ich sagen kann, wenn ich mich nicht wohl fühle und wo ich über die Tagesklinik oder eben halt auch - ich kann mich auch stationär einweisen lassen, wenn ich das gern möchte, und ich kann es eben selber bestimmen, das ist eigentlich die Hauptsache daran. Ich kann im Konsens mit den Ärzten und mit meiner Familie und eben halt auch meinem Arbeitgeber viel mehr erreichen, als ich das vorher konnte. Vorher wurde ich gar nicht gefragt."
Home-Treatment ist in anderen Ländern längst Standard
Um für jeden erkrankten Menschen maßgeschneiderte Lösungen entwickeln zu können, ist unter dem Dach des Regionalbudgets nicht nur die Behandlung zu Hause möglich, sondern ebenso die Aufnahme auf der Station oder in einer der fünf Tageskliniken der Region. Schon seit 1996 vermittelt der Verein "Arbeit nach Maß" längerfristig beeinträchtigten Menschen eine sinnvolle Beschäftigung und unterstützt Genesende bei der Wiedereingliederung. Die Helfer organisieren auch Wohnungen oder betreute Wohnmöglichkeiten und geben sich alle Mühe, die Stärken und Möglichkeiten der Patienten und ihres Umfeldes zu nutzen.
"Also zum Beispiel eine ältere Frau, die ihren Mann verloren hatte, die wollte dann selber nicht mehr leben und wollte sich umbringen. Die war dann hier auf der Intensivstation, dann bei uns auf der Station. Und gleichzeitig war auf der Station ein Mann, der seit Jahren immer wieder psychotisch wurde, der aber im selben Stadtviertel lebte. Und dieser Frau sagten wir, dieser Mann braucht eigentlich jemand, der auch mal für ihn kocht. Und dem Mann sagten wir, dass da eine Frau ist, die so durch den Tod von ihrem Mann den Glauben ans Leben verloren hat, dass sie jemanden braucht, der ihr hilft, das Haus zu bestellen. Dieser junge Mann suchte dann diese Frau zu Hause auf, hat ihr geholfen und umgekehrt hat diese Frau diesen jüngeren Mann bekocht und ihm auch im Alltag geholfen, sodass sie wieder eine Aufgabe fand, und er hatte auch wieder einen Sinn in seinem Leben gefunden."
Home-Treatment, das in Großbritannien und Skandinavien schon zur regulären psychiatrischen Versorgung gehört, gilt als mindestens so effektiv wie die Behandlung in der Klinik. Die Patienten sind zufriedener, brechen die Behandlung deshalb auch seltener ab und sind besser in der Lage, ihren Alltag zu Hause zu bewältigen. Auch die Angehörigen fühlen sich weniger belastet. Langfristig gesehen ist das Home-Treatment außerdem kostengünstiger als die stationäre Behandlung. Im Herzogtum Lauenburg haben die Krankenkassen jedenfalls keinen Grund zur Klage: Matthias Heißler kommt seit sieben Jahren mit der gleichen Summe von sieben Millionen Euro aus - und das, obwohl sich die Zahl der Menschen, die Hilfe bei der Psychiatrie suchen, von 1.700 auf 2.200 im Jahr erhöht hat. Warum also setzen Politik und Krankenkassen nicht alles daran, solche Regionalbudgets flächendeckend einzuführen?
"Ein Regionalbudget funktioniert natürlich besonders gut, wenn ich abgegrenzte Regionen habe. Aber stellen Sie sich bitte ein Gebiet wie das Ruhrgebiet vor, wo die Grenzen fließend sind. Dort ist überhaupt nicht kontrollierbar, ob auch wirklich eine Versorgung der entsprechenden Region stattfindet oder ob Versorgungslast auf die Nachbarregion verschoben wird, und die Problemfälle nur in die andere Region umgeleitet werden", gibt Wulf-Dietrich Leber zu bedenken, der im Spitzenverband der gesetzlichen Kranken- und Pflegekassen die Abteilung Krankenhäuser leitet. Der GKV-Spitzenverband möchte an dem Pauschalierenden Entgeltsystem für Psychiatrie und Psychosomatik festhalten. Das wurde 2012 von dem damaligen Gesundheitsminister Daniel Bahr in Kraft gesetzt:
"Wir haben grundsätzlich das Bestreben, die Finanzierung nicht nach den Kosten zu orientieren, sondern nach den Leistungen. Das hat dazu geführt, dass man die alten Budgets in der normalen Krankenversorgung abgeschafft und Fallpauschalen eingeführt hat. Das hat die Spezialisierung verbessert, das hat die Kliniken sehr viel effizienter gemacht, und genau dieser Prozess soll jetzt in der Psychiatrie nachvollzogen werden: Nicht mehr das Budget von gestern soll entscheiden, sondern das Leistungsspektrum."
Lebensumstände müssen mit einbezogen werden
"Aber Psychiatrie und Psychotherapie lässt sich so nicht abbilden," weist Arno Deister das Ansinnen zurück, dass Krankenhäuser sich künftig nur noch über das Ableisten bestimmter Kennziffern finanzieren sollen. Deister ist der bereits für die nächste Amtszeit gewählte Präsident der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde. Aber er spricht ebenso für Verbände der Pflegekräfte wie für Chefärztinnen und Chefärzte, Angehörige von psychisch Kranken und andere mehr, wenn er sich dagegen wendet, die Bezahlung in der Psychiatrie künftig vor allem an der Art der Erkrankung auszurichten, wie in der Körpermedizin.
"Also, eine Blinddarmentzündung ist etwas, das kann ich gut kalkulieren, weil, das ist relativ ähnlich. Wenn ich jetzt zum Beispiel darüber spreche, dass ein Mensch eine Depression hat, ist das ein so breites Krankheitsbild, das ist ein riesiger Unterschied im Aufwand und in den Methoden, ob er eine leichte Depression hat oder eine schwere Depression hat, vielleicht eine suizidale, akut suizidal im Rahmen der Depression. Das heißt, die Kosten entstehen nicht aus der Diagnose, sondern entstehen mehr aus der Schwere des Krankheitsbildes. Eine schwere Depression hat einen ähnlichen Aufwand wie eine schwere psychotische Erkrankung. Oder eine demenzielle Erkrankung."
Wie eine psychische Erkrankung verläuft, ist eben auch in hohem Maße davon abhängig, wie schwierig oder günstig die Lebensumstände sind. Diese müssen die Therapeuten also ähnlich wie in Geesthacht mit einbeziehen, wenn sie wirklich zur Genesung beitragen beziehungsweise einem Rückfall vorbeugen wollen. Diese Einsicht setzt sich in den psychiatrischen Kliniken nur langsam durch, was auch daran liegt, dass stationäre und ambulante psychiatrische Behandlung traditionell weitgehend unverbunden nebeneinander her arbeiten. Und mancher Psychiater beschränkte sich vielleicht auch ganz gern auf eine vorwiegend biologische Sichtweise, die mehr Prestige verspricht und Distanz zu dem mitunter verstörenden Erleben der verrückt Gewordenen erlaubt.
Zu wenig Personal
Gegen die aus der Körpermedizin entlehnten Fallpauschalen sprechen vor allem sozialpsychiatrische Erwägungen. Und so ist es ein Glücksfall für die vereinigte Gegnerschaft, dass mit Arno Deister ein Fachmann für sie spricht, der nicht nur der erste Sozialpsychiater an der Spitze der DGPPN ist, sondern ebenso ein Pionier des Regionalen Budgets.
"Es soll festgelegt werden anhand von Merkmalen, die eine Region hat, wie viel Geld brauche ich, um dort eine ausreichende und wirtschaftliche sinnvolle, aber auch für den Patienten richtige Versorgung zu machen," umreißt Deister den Finanzierungsmodus, den die PEPP-Gegner dem Pauschalierenden Entgeltsystem entgegensetzen.
"Das heißt: Wie groß ist die Region, wie ist die Struktur der Erkrankungen? Welche Menschen sind dort, welche Krankheitsbilder haben die? Auch: Wie entwickelt sich das über die Zeit, auch die Demografie, wie viel alte Menschen habe ich? Und daraus errechnet sich dann über die Notwendigkeit der Versorgung ein Budget. Damit man diesen Schritt hinbekommt, von der Region auf das Budget, muss man zunächst einmal definieren, was Menschen mit einem bestimmten Krankheitsbild, mit einem bestimmten Schweregrad der Erkrankung, eigentlich brauchen."
Und das soll nicht einfach eine Abbildung der bisherigen unzulänglichen Praxis sein, wie sie in dem Pauschalierenden Entgeltsystem versucht wurde. Die Möglichkeit von Home-Treatment fehlt bislang ebenso wie eine bestimmte notwendige Personalausstattung, die Zeit für Zuwendung erlaubt.
"Es gibt ja viele Dinge, die auch therapeutisch wirksam sind. Milieutherapie, wie wir das nennen, die Atmosphäre auf der Station, einfach einem Patienten zuzuhören, für einen Patienten da zu sein. Nur, diese Dinge lassen sich nicht vernünftig abbilden mit solchen Einheiten von 20 Minuten, 25 Minuten Psychotherapie. Es gibt Patienten, mit denen können Sie nicht 25 Minuten Psychotherapie machen, weil sie einfach zu krank sind. Und solche Patienten, und gerade die schwerst psychisch kranken Menschen fallen dann durch dieses Raster."
Denn bezahlt wird nach dem neuen Entgeltsystem nur das, was auch dokumentiert, sprich: überhaupt dokumentierbar ist.
"Dadurch, dass es so in Einzelleistungen beschrieben ist, sehr, sehr konkret beschrieben ist, gibt es natürlich auch sehr viele Möglichkeiten, dass man im Einzelfall unterschiedlicher Meinung sein kann. Das heißt, es wird geprüft, und dann sagt der Medizinische Dienst der Krankenkassen: Diese Leistung habt ihr nicht exakt so erbracht, wie das verlangt wird. Und es gibt ja auch oft Situationen, wo das nicht geht! Und oft liegen die auch beim Patienten. Die Folge in dem jetzt angedachten System ist, dass die Leistung dann gekürzt wird."
Höherer Aufwand für die Dokumentation der Leistungen
Bereits jetzt beklagt die Fachgruppe Psychiatrie im Verband der Krankenhausdirektoren eine "Prüfwut" des Medizinischen Dienstes. Auch Stefan Thewes, im Klinikverbund des Landschaftsverbandes Rheinland für wirtschaftliche Steuerung zuständig, spricht von durchweg negativen Erfahrungen der Kliniken, die das Pauschalierende Entgeltsystem lieber heute als morgen wieder los wären:
"Besonders auffällig ist einfach der deutlich höhere Aufwand für die Dokumentation der Leistung. Das ist ein riesiges Problem für die Kliniken, weil für die Abrechnung einer PEPP ist es erforderlich, dass man dezidiert alle Therapieeinheiten dokumentiert, und dieser Dokumentationsaufwand muss natürlich von den Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen auf den Stationen, von den Ärzten und Pflegern übernommen werden, und alle Tätigkeiten, die für administrative Tätigkeiten vorgenommen werden, die gehen natürlich verloren für die Behandlung von Patienten."
Dabei sollte das neue Abrechnungssystem doch den Patienten entgegen kommen, indem es neue Transparenz schafft, wie Wulf-Dietrich Leber vom GKV-Spitzenverband betont:
"In der Psychiatrie gibt es kein einziges Qualitätssicherungsverfahren, weil wir dort immer nur das gesamte Haus in einem einzigen Budget finanziert haben. Jetzt kommen wir dazu, überhaupt das Leistungsspektrum einer psychiatrischen Abteilung genauer abzubilden, man kann jetzt in den Qualitätsberichten nachgucken, wo eigentlich welche Behandlung gemacht wird, und das schafft eine ganze neue Kultur der Transparenz und Qualitätssicherung in den Kliniken."
Gespräch mit Bundesgesundheitsminister Gröhe
Eine mit der Anzahl der Behandlungstage abnehmende Vergütung soll überdies verhindern, dass Patienten dem Profitinteresse der Klinik zuliebe länger als nötig auf der Station gehalten werden. Das aber wird zum Nachteil derer ausschlagen, die zum Gesundwerden länger brauchen, befürchtet Brigitte Richter von der Psychiatrie-Erfahrenen-Selbsthilfe Pandora:
"Kliniken ohne Aufnahmepflicht werden diese Patienten gar nicht erst aufnehmen. Und die mit Aufnahmepflicht - also, das ist jetzt meine persönliche Meinung und auch die von vielen, vielen Psychiatrie-Erfahrenen - werden die medikamentös so schnell wie möglich wieder irgendwie alltagstauglich machen. Das ist nicht unbedingt heilungsförderlich auf die ganze Sicht."
Brigitte Richter fürchtet auch, dass Klinikärzte schwerere Diagnosen stellen, um auf ihr Geld zu kommen, und dass Personal abgebaut wird, wenn die Psychiatrie-Personalverordnung 2019 wie geplant wegfällt. Stress und Zwangsmaßnahmen auf der Station würden dann zunehmen, glaubt sie. Mit einer Petition für eine Verschiebung des neuen Entgeltsystems, um Alternativvorschlägen eine Chance zu geben, hatte ihr Nürnberger Selbsthilfeverein 2013 mehr als 43.000 Unterstützer gewonnen.
Das Konzept für ein budgetbasiertes Entgeltsystem, das nun seit September vorliegt, sieht vor, dass neben den Eigenheiten der Region auch Merkmale des einzelnen Krankenhauses in das zu findende Budget einfließen. Sorgfältig wurden Module für sinnvolle Behandlungseinheiten entwickelt, die regelmäßig dem Stand der Wissenschaft angepasst werden sollen. Damit die Kassen sehen, was sie bezahlen, weisen die Kliniken jeweils aus, welches Modul für welchen Patienten wann angewendet wurde. Nun warten die PEPP-Gegner auf einen Termin für ein Gespräch mit Bundesgesundheitsminister Gröhe. Das könnte ein wichtiger Schritt sein auf dem Weg zu einer neuen Gesetzgebung, die den PEPP-Zug noch aufhält.