Die kleine Szene ist unter anderem auch ein sarkastischer Kommentar zur Wirkungsgeschichte Hermann Brochs, insofern hier ironisch offengehalten wird, ob von dieser Prosa womöglich eine therapeutische Wirkung ausgeht oder ob sie schlicht so sterbenslangweilig ist, daß sie sogar noch einen Tobsüchtigen zum Einschlafen bringt.
Fest steht jedenfalls, daß Hermann Brochs gewaltige Prosawerke wie etwa die "Schlafwandler"-Trilogie oder "Der Tod des Vergil" zum kanonischen Bestand der deutschsprachigen Moderne zählen und als solche das Schicksal vieler Klassiker teilen, nämlich hoch geschätzt und, mit Ausnahme von Spezialisten und Germanisten, kaum noch gelesen zu sein. Das ist in Brochs Fall besonders paradox, weil er sich erklärtermaßen deshalb der Literatur zuwandte, um mit seinen philosophischen und massenpsychologischen Einsichten zum Wertezerfall als Grundübel des 20. Jahrhunderts ein breites Publikum zu erreichen. Doch schon bei Erscheinen blieben diese dezidiert aufklärerisch und durchaus als ethische Programme gedachten Romane ein Minderheitenprogramm - und Broch blieb, auch darin dem in vielerlei Hinsicht vergleichbaren Robert Musil ähnlich, von Anfang an ein Autor für Autoren.
Eine Autobiographie im eigentlichen Sinn hat Broch nicht verfaßt. Allerdings publizierte er 1941 im amerikanischen Exil eine Arbeit mit dem Titel "Autobiographie als Arbeitsprogramm", in dem er die Genese, die Absichten und die inneren Verspannungen und Zusammenhänge seines Werks darstellte. Unveröffentlicht blieb jedoch bislang die ein Jahr später entstandene "Psychische Selbstbiographie", die in gewisser Weise als das private, wenn nicht gar geheime Innenfutter der "Autobiographie als Arbeitsprogramm" zu lesen ist.
Der Text stellt einerseits Brochs Versuch dar, mit den Mitteln und der Terminologie Freuds und Adlers seine neurotischen und traumatischen Urerlebnisse zu entschlüsseln, um damit seiner Psychoanalyse zum therapeutischen Erfolg zu verhelfen. Dabei entsteht die Skizze eines hypochondrisch Impotenten, der sich und anderen zwanghaft beweisen muß, daß seine Impotenz, hervorgerufen durch katastrophale Minderwertigkeitsgefühle gegenüber seinem Vater und Bruder in der Kindheit, eben nur eine vorgestellte, gewissermaßen symbolische ist. Daraus resultieren ununterbrochene Kompensationsversuche im Erotischen und Sexuellen und eine phantasierte "mystische Einheit und Vereinigung, diese absolute seelisch-geistig-körperliche Vereinigung" - mithin die nie zu materialisierende Traumfrau. Mit dieser im Grunde romantischen Konstruktion, die Broch natürlich selbst als Chimäre durchschaut, kann er nun aber wiederum die Ansprüche jener Frauen abwehren, mit denen er tatsächlich Beziehungen pflegt. Es ist überaus aufschlußreich, daß Broch, wie Paul Michael Lützeler in seinem instruktiven Nachwort erwähnt, die "Psychische Selbstbiographie" zwar nicht publizierte, das Manuskript aber seinen beiden Freundinnen schickte - womöglich in der Hoffnung, sie auf diese Weise gleich beide loszuwerden.
So gesehen entpuppt sich die "Psychische Selbstbiographie" also als eine Art doppelter Anti-Liebesbrief, und als solcher hätte der Text lediglich den Stellenwert einer sehr privaten Fußnote zu Leben und Werk Brochs. Andererseits verknüpft Broch hier jedoch gewisse Einsichten in seine psychische Grundstruktur mit der Genese seiner Werke, und auf dieser Ebene weitet sich der Text vom mehr oder minder interessanten Einzelfall einer komplizierten Neurose plötzlich zu einem produktionsästhetisch verallgemeinerbarem Dokument ersten Ranges.
"Mir ist", notierte Broch nämlich, "die Vielfalt menschlichen Seins aus eigener schmerzlicher Erfahrung so sehr und so unausgesetzt bewußt, daß ich mich manchmal davon geradezu überwältigt fühle, so sehr überwältigt, daß es eigentlich keine andere Gegenmaßregel gibt, als all das Sein, das ich mit all seinen Eigenschaften sowohl in mir wie im Nebenmenschen spüre, zu formen und zum Ausdruck zu bringen und damit mich hievon freizumachen. Wahrscheinlich ist dies ein Vorgang, der aller künstlerischen Produktion zu eigen ist, und deshalb halte ich es nicht für eine Überschätzung des Wertes der Neurose (...), wenn ich behaupte, daß mir von der Neurose oder zumindest mit ihrer Hilfe das beste Material dichterischen, ja, zur geistigen Produktion geliefert wird."
Broch versteht Literatur und Kunst also als Kompensationshandlung und zugleich als Medium, sich dem Ausgeliefertsein an die Welt zu widersetzen, indem man die Welt gestaltet. Der Neurose kommt in solcher Konstruktion die Funktion einer Muse zu. Das fast zwanghafte Bedürfnis, alles Sein "mit all seinen Eigenschaften" im Autor "wie im Nebenmenschen zu formen und zum Ausdruck zu bringen" hat dann in Brochs Werk jene Wirkungen gezeitigt, die selbst einen tobenden Psychopathen wie den Künstler Schepperman zur Ruhe bringen. Aus welchen Gründen auch immer.
Fest steht jedenfalls, daß Hermann Brochs gewaltige Prosawerke wie etwa die "Schlafwandler"-Trilogie oder "Der Tod des Vergil" zum kanonischen Bestand der deutschsprachigen Moderne zählen und als solche das Schicksal vieler Klassiker teilen, nämlich hoch geschätzt und, mit Ausnahme von Spezialisten und Germanisten, kaum noch gelesen zu sein. Das ist in Brochs Fall besonders paradox, weil er sich erklärtermaßen deshalb der Literatur zuwandte, um mit seinen philosophischen und massenpsychologischen Einsichten zum Wertezerfall als Grundübel des 20. Jahrhunderts ein breites Publikum zu erreichen. Doch schon bei Erscheinen blieben diese dezidiert aufklärerisch und durchaus als ethische Programme gedachten Romane ein Minderheitenprogramm - und Broch blieb, auch darin dem in vielerlei Hinsicht vergleichbaren Robert Musil ähnlich, von Anfang an ein Autor für Autoren.
Eine Autobiographie im eigentlichen Sinn hat Broch nicht verfaßt. Allerdings publizierte er 1941 im amerikanischen Exil eine Arbeit mit dem Titel "Autobiographie als Arbeitsprogramm", in dem er die Genese, die Absichten und die inneren Verspannungen und Zusammenhänge seines Werks darstellte. Unveröffentlicht blieb jedoch bislang die ein Jahr später entstandene "Psychische Selbstbiographie", die in gewisser Weise als das private, wenn nicht gar geheime Innenfutter der "Autobiographie als Arbeitsprogramm" zu lesen ist.
Der Text stellt einerseits Brochs Versuch dar, mit den Mitteln und der Terminologie Freuds und Adlers seine neurotischen und traumatischen Urerlebnisse zu entschlüsseln, um damit seiner Psychoanalyse zum therapeutischen Erfolg zu verhelfen. Dabei entsteht die Skizze eines hypochondrisch Impotenten, der sich und anderen zwanghaft beweisen muß, daß seine Impotenz, hervorgerufen durch katastrophale Minderwertigkeitsgefühle gegenüber seinem Vater und Bruder in der Kindheit, eben nur eine vorgestellte, gewissermaßen symbolische ist. Daraus resultieren ununterbrochene Kompensationsversuche im Erotischen und Sexuellen und eine phantasierte "mystische Einheit und Vereinigung, diese absolute seelisch-geistig-körperliche Vereinigung" - mithin die nie zu materialisierende Traumfrau. Mit dieser im Grunde romantischen Konstruktion, die Broch natürlich selbst als Chimäre durchschaut, kann er nun aber wiederum die Ansprüche jener Frauen abwehren, mit denen er tatsächlich Beziehungen pflegt. Es ist überaus aufschlußreich, daß Broch, wie Paul Michael Lützeler in seinem instruktiven Nachwort erwähnt, die "Psychische Selbstbiographie" zwar nicht publizierte, das Manuskript aber seinen beiden Freundinnen schickte - womöglich in der Hoffnung, sie auf diese Weise gleich beide loszuwerden.
So gesehen entpuppt sich die "Psychische Selbstbiographie" also als eine Art doppelter Anti-Liebesbrief, und als solcher hätte der Text lediglich den Stellenwert einer sehr privaten Fußnote zu Leben und Werk Brochs. Andererseits verknüpft Broch hier jedoch gewisse Einsichten in seine psychische Grundstruktur mit der Genese seiner Werke, und auf dieser Ebene weitet sich der Text vom mehr oder minder interessanten Einzelfall einer komplizierten Neurose plötzlich zu einem produktionsästhetisch verallgemeinerbarem Dokument ersten Ranges.
"Mir ist", notierte Broch nämlich, "die Vielfalt menschlichen Seins aus eigener schmerzlicher Erfahrung so sehr und so unausgesetzt bewußt, daß ich mich manchmal davon geradezu überwältigt fühle, so sehr überwältigt, daß es eigentlich keine andere Gegenmaßregel gibt, als all das Sein, das ich mit all seinen Eigenschaften sowohl in mir wie im Nebenmenschen spüre, zu formen und zum Ausdruck zu bringen und damit mich hievon freizumachen. Wahrscheinlich ist dies ein Vorgang, der aller künstlerischen Produktion zu eigen ist, und deshalb halte ich es nicht für eine Überschätzung des Wertes der Neurose (...), wenn ich behaupte, daß mir von der Neurose oder zumindest mit ihrer Hilfe das beste Material dichterischen, ja, zur geistigen Produktion geliefert wird."
Broch versteht Literatur und Kunst also als Kompensationshandlung und zugleich als Medium, sich dem Ausgeliefertsein an die Welt zu widersetzen, indem man die Welt gestaltet. Der Neurose kommt in solcher Konstruktion die Funktion einer Muse zu. Das fast zwanghafte Bedürfnis, alles Sein "mit all seinen Eigenschaften" im Autor "wie im Nebenmenschen zu formen und zum Ausdruck zu bringen" hat dann in Brochs Werk jene Wirkungen gezeitigt, die selbst einen tobenden Psychopathen wie den Künstler Schepperman zur Ruhe bringen. Aus welchen Gründen auch immer.