Christiane Kaess: Man soll sich keine Sorgen machen über seine weitere Zusammenarbeit mit Angela Merkel, sagt Horst Seehofer. Und was seinen Rücktritt angeht, fügte der Bundesinnenminister gestern hinzu: Das ist schon wieder Geschichte. Aber kann man das so einfach vom Tisch wischen, diese Eskalation der letzten Tage? Affentheater, Selbstbetrug, Lächerlich – alles Worte, die über die Auseinandersetzung zwischen CDU und CSU im Asylstreit von Außenstehenden gefallen sind. So mancher traute seinen Augen und Ohren nicht, was die beiden Schwesterparteien in den vergangenen Tagen für ein Schauspiel boten.
Thomas Kliche ist Professor für Bildungsmanagement an der Hochschule Magdeburg-Stendal mit Forschungsschwerpunkt politische Psychologie, und er ist jetzt am Telefon. Guten Morgen!
Thomas Kliche: Schönen guten Morgen allerseits!
Kaess: Herr Kliche, können Sie sich vorstellen, wie die Zusammenarbeit zwischen Angela Merkel und Horst Seehofer in Zukunft aussehen wird?
Kliche: Das haben die beiden ja skizziert. Sie sagen, wir sind Profis und es ist eigentlich ganz egal, ob wir uns mögen oder nicht - sie haben nicht gesagt, dass sie sich mögen; das ist auch kein Wunder bei der Vorgeschichte -, wir machen einfach weiter. Das heißt, sie haben so was wie einen massiven kalten Konflikt. Kalte Konflikte sind ja Konflikte, die unter der Oberfläche weiterarbeiten und die man nicht mehr sieht, die nicht ausbrechen, aber wo alle wissen, das kann jederzeit wieder krachen. Das kennen wir auch aus dem Alltag, was weiß ich, irgendwelche Lehrerkollegien oder sonst Fachkollegien, und da hat man sich mal gestritten und man muss weitermachen auch mit Leuten, die man nicht mag. Aber das ist nicht gut für Zusammenarbeit, wenn man was gemeinsam machen muss.
"Sowas beschädigt ganze Gruppen"
Kaess: Dann täuschen diese Bilder von gestern, denn da sah es ja wieder so aus, als wäre nichts passiert? Sie sagen, die beiden stecken das nicht so weg?
Kliche: Das steckt niemand so weg. So was beschädigt ganze Gruppen, denn natürlich wissen auch andere, da ist was richtig schiefgelaufen. Es sieht ja im Moment so aus, dass eigentlich das Kanzleramt, das heißt Merkel diesen Masterplan von Seehofer nicht weiterverbreitet hat. Die haben den quasi unterschlagen. Das heißt, die haben den argumentativ ins Leere laufen lassen. Er durfte eigentlich nie so richtig begründen, was er eigentlich wollte. Und das heißt, man konnte von außen auch immer nie sehen, ist das jetzt ein Tüpfel-Schisser, der irgendwie hinter Kleinigkeiten herläuft, oder ist da was fürchterlich Grundlegendes, was die ganze Politik in eine andere Richtung brächte. Und natürlich denkt jeder im Kabinett: Wenn die schon mit ihrem engsten Bündnispartner so umgeht, was macht die dann erst mit uns. Vertrauen wird dadurch nicht unterstützt.
Kaess: Nun wissen wir nicht hundertprozentig, ob es nicht doch Herr Seehofer war, der diesen Plan auch zurückgehalten hat. Aber ist denn so eine Auseinandersetzung in der Politik auch normal, weil man auf Gefühle da keine Rücksicht nehmen kann, und ich könnte mir sogar vorstellen, dass Beobachter, die schon länger die Politik verfolgen, sagen, da hat es schon ganz andere Konflikte gegeben, auch mit wirklich schlimmen Schimpfwörtern, die unter die Gürtellinie gingen. Das war jetzt dort ja nicht der Fall.
Kliche: Nein, sie sind sehr, sehr sachlich geblieben. Sie haben auch die sachlichen Aspekte in den Vordergrund gestellt, haben betont unterkühlt agiert. Aber sie haben damit nicht die gesamte Gruppe wieder repariert. Es reicht nicht zu sagen, gut, wir sehen uns einmal in der Woche am Kabinettstisch und vielleicht einmal in der Woche noch in der Koalitionsrunde, und das kriegen wir über die Bühne, wir haben 30 Jahre Erfahrung damit, mit Leuten umzugehen, die wir nicht unbedingt mögen müssen, und trotzdem unsere Ämter auszufüllen, sondern wenn man was gemeinsam anpacken will, wenn man was gemeinsam auf die Beine stellen will, dann braucht man ein Gefühl von, wir tun alle was für gemeinsame Ziele. Das ist der Unterschied zwischen guten, selbstorganisierten, funktionierenden Gruppen und Zwangsgruppen, die irgendwie zusammengesperrt werden, und dann macht jeder seinen Job. Das merkt man im Alltag nicht unbedingt, aber am Ende der Tage sieht man, was ist rausgekommen, welche großen innovativen Projekte wurden angegangen und was hat die Gruppe geleistet.
Wie werden die erst mit wirklichen Krisen umgehen?
Kaess: Dann trauen Sie der Koalition nicht mehr besonders viel zu, wenn ich Ihnen da so zuhöre?
Kliche: Das ist für die Aufgaben und Prüfungen, vor die Gott und das Schicksal uns in den nächsten Jahren stellen werden, ein ganz, ganz schlechtes Vorzeichen. Wir haben alle das Gefühl, da war viel Rauch, wo ist das Feuer. Wenn die sich in solchen Einzelheiten nicht vernünftig einigen können, obwohl sie so tun, als seien sie ganz vernünftige Menschen, wie werden die erst mit wirklichen Krisen umgehen, denn im Moment ist kein großer Migrationsstrom da. Es gibt ja auch noch andere Probleme, die auf uns zukommen werden, und auf wen können wir uns da noch verlassen, so dass Transparenz und Unterstützung herrscht, so dass Politik auch ihre Aufgabe erfüllt, ein Vorbild für uns alle zu sein.
Politik ist enorm sichtbar. Der Verfall öffentlicher Werte ist in den 80er-, 90er-Jahren von politischen Skandalen ausgegangen in diesem Land, wo alle gesehen haben, die bedienen sich doch selber, dann dürfen wir das doch auch.
Kaess: Das heißt für Sie, auch dieser Streit beschädigt durchaus die Glaubwürdigkeit der Politik?
Kliche: … beschädigt unsere gesamte politische Kultur, so wie er gehandhabt worden ist.
CSU - vor der krachendsten Niederlage in ihrer Geschichte
Kaess: Sie haben gerade gesagt, das ist gar keine wirkliche Krise im Moment. Dieses Thema Asylpolitik, ein Thema, das jetzt wieder mal über zwei Wochen die Politik bestimmt hat und das ja tatsächlich für viele in ihrem Alltag gar keine Rolle spielt, denn jetzt geht es da um ein Detail, wahrscheinlich um ein paar hundert Zurückweisungen an der Grenze, was passiert da eigentlich, wenn so ein Thema so dominant wird, wie es in der Realität überhaupt nicht ist?
Kliche: Die CSU steht jetzt vor der krachendsten Niederlage in ihrer ganzen Geschichte, denn sie hat natürlich der AfD Wasser auf die Mühlen geleitet. Jeder denkt, da wird doch was dran sein, wenn die schon so ein Gerede machen. Und es wird jetzt nicht nur die AfD in Bayern profitieren, sondern auch massiv die Freien Wähler. Das hat Folgen für den gesamten Diskurs über, wie gehen wir mit Menschen um, und was dabei ganz ins Hintertreffen geraten ist, ist, dass die Frage der Menschlichkeit und der Integration dabei überhaupt keine Rolle mehr spielt.
Europa hat ja an diesem Wochenende Weichen gestellt für so eine Art Gesamtpolitik, wie stellen wir uns Migrationskontrolle vor, und das sind nicht nur erfreuliche Dinge, die da passieren werden. Da werden Lager eingerichtet auf beiden Seiten, die keine Orte der Freude und Menschlichkeit sein werden. Und ob man das haben will, das wird überhaupt nicht mehr diskutiert, und welche Folgen das hat auch nicht, sondern es ist nur noch über diese oh, wo ist der Masterplan, und Detail hier, Detail da Frage und wer schließt welchen Kompromiss und diese histrionische öffentliche Dramatik diskutiert.
Wir haben da zwei versteinerte Menschen vor uns
Kaess: Schauen wir zum Schluss auch noch mal auf diesen Konflikt. Wenn Seehofer über seinen angekündigten Rücktritt jetzt so ganz lapidar sagt, das ist ja schon wieder Geschichte, was sagt das eigentlich aus über Verlässlichkeit?
Kliche: Menschen sind ungeheuer anpassungsfähig und solche Ämter haben ja nicht nur hohe Folgekosten, sondern sie haben auch ein hohes Schmerzensgeld und hohe Anreize, das Gefühl, was zu gestalten, das Gefühl, wichtig zu sein, das Gefühl, Macht zu haben. Was man, glaube ich, an dem Beispiel auch schön sehen kann, sind diese Folgekosten. Wir haben da eigentlich jetzt zwei versteinerte Menschen vor uns. Das sehen wir am Gesichtsausdruck, das sehen wir an der Haltung. Das ist ein Preis, den Macht offenbar hat, wenn man sie lange ausübt und dabei immer wieder erlebt, dass selbst einfache Dinge gefährlich sind, dass seltsame Verläufe passieren können, dass man Dinge nicht machen kann, die eigentlich klar sind, weil irgendwelche Seltsamkeiten im Verfahren oder in anderen Menschen stecken, und wo man dann einfach nur noch sich versteifen und durchmarschieren kann. Daher dieser Gesichtsausdruck, als seien beide durch einen Wald von Brennnesseln gelaufen.
Kaess: … sagt Thomas Kliche. Er ist Professor für Bildungsmanagement an der Hochschule Magdeburg-Stendal und sein Forschungsschwerpunkt ist die politische Psychologie. Danke für Ihre Einschätzung heute Morgen.
Kliche: Alles Gute allerseits!
Kaess: Danke!
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