Manfred Kloiber: Die Bundeskanzlerin selbst hat Daten schon vor drei Jahren zum Rohstoff der Zukunft erklärt. Und nicht nur die Bundesregierung, sondern auch alle anderen, die für das Wohl unseres Landes Sorge tragen, erklären die Digitalisierung zum wichtigsten Schlüssel für die weitere Entwicklung unseres Landes. Das wird nicht zuletzt auch bei den Polit-Terminen auf der Hannover-Messe-Industrie rauf und runter gebetet. Doch wie sieht eigentlich die Bevölkerung Chancen und Risiken der neuen Technologien? Das wollte die Technische Hochschule Köln zum Thema Big Data genauer wissen und hat deshalb 1.000 Bürger in einer repräsentativen Erhebung dazu befragt. Und über die Ergebnisse sprach ich mit dem Leiter der Studie, Prof. Horst Müller-Peters.
Horst Müller-Peters: Big Data ruft erst mal große Sorgen hervor. Also es ist stark mit Befürchtungen verbunden, das haben wir auch stark aus den Medien: Wir denken an Big Brother und Brave New World, wir denken an Snowden oder an die Social-Scoring-Systeme, von denen wir jetzt aus China hören. Bei den meisten Bürgern erweckt Big Data erst einmal deutlich mehr Sorgen als Hoffnungen.
Kloiber: Ist es Angst?
Müller-Peters: Ja, es ist auch ein Stück weit Angst. Angst zu sehr überwacht zu werden vom totalitären Staat, auch in Teilen Ausgeliefertsein an Teile der Wirtschaft - nehmen wir mal die berühmten "GAFA"-Unternehmen, also Google, Apple, Facebook und Amazon, denen man sich in Teilen ausgeliefert fühlt. Also insgesamt überwiegen die Sorgen, auch zum Beispiel was die Meinungsvielfalt betrifft versus sogenannte "Filter Bubbles". Wenn wir aber konkret nach Anwendungen fragen und auch Nutzen, dann dreht sich das Bild recht stark. Dann wird auf einmal deutlich, wie sehr Big-Data-Vernetzung unseren Alltag im Prinzip sicherer komfortabler effizienter, was immer wir uns wünschen machen kann.
Sorgen um die Demokratie
Kloiber: Gehen wir erst noch einmal auf die negativen Aspekte ein - was wird denn ganz konkret negativ bewertet von den Menschen?
Müller-Peters: Ganz oben drüber steht die Sorge, völlig transparent und überwacht zu sein, bis hin zu manipulierbar zu sein. Das ist bestimmt dominant. So fürchten auch mehr Menschen, dass die Demokratie Schaden nimmt, als dass sie den Vorteil sieht; dass natürlich, das kennen wir vom Internet, auch eine enorme Meinungsvielfalt und Diskussion da aber durch ausgelöst werden kann.
Kloiber: Und was wurde positiv bewertet an Big Data?
Müller-Peters: Ja also besonders mögen wir es, wenn es unser Leben vereinfacht. Das findet zunehmend Akzeptanz, wenn es unser Leben bequem macht, ohne uns dabei aber sozusagen zu entmündigen. Ein weiterer Punkt, der sehr große Akzeptanz findet, ist dann, wenn es unsere Sicherheit erhöht - gerade auch im Bereich der Kriminalität, also zum Beispiel Wohnungsüberwachung, Einbruchsprävention. Es hat schon fast etwas beunruhigende Züge, wenn es bei der öffentlichen Überwachung, von öffentlichen Plätzen zum Beispiel - da ist die Zustimmung von den Bürgern insgesamt sehr hoch, auch zur Profilierung, zur Nachverfolgung von Personen. Und zwar interessanterweise ganz unabhängig davon, ob es um Kapitaldelikte geht, also Mord, Totschlag oder Terrorismus, oder ob es schon um die Verhinderung einfacher Delikte geht, wie vielleicht Einbruch, Betrug oder ähnliches - wo der Gesetzgeber durchaus sehr große Unterschiede macht, wo die Daten wirklich genutzt werden dürfen in welchem Umfang.
Ruf nach dem Gesetzgeber keine Patentlösung
Kloiber: Welche weiteren zusammenfassenden Schlüsse konnten Sie denn aus den Antworten der Befragten ziehen?
Müller-Peters: Es steht tatsächlich ein bisschen im Mittelpunkt diese gewisse Schizophrenie oder dieses Paradoxon: Als Bürger sagen wir "oh je, was passiert in unserer Gesellschaft"? Als Nutzer sagen wir "toll" und gehen ein bisschen naiv, arglos damit um. Es wäre natürlich sehr wünschenswert, dass die Bürger hier ein Stück mündiger wären und ein Stück mehr abwägen. Es hilft ja auch nicht immer nur nach dem Gesetzgeber zu rufen, weil bei neuen Technologien das Gesetz notwendigerweise immer Jahre hinterherhinken wird und dann auch wieder zu restriktiv ist. Wenn wir zu restriktive Gesetzgebung haben, haben wir massive Einschränkungen bei dem Nutzen; sei es im medizinischen Bereich, sei es in der Verkehrssicherheit, sei es einfach im Komfort. Und zugleich ist es natürlich auch ein erheblicher Wettbewerbsnachteil für die deutsche Wirtschaft, wenn sie sozusagen einem großen Thema; der neue Rohstoff Daten, nicht teilhaben darf. Also zu Teilen ist sicherlich auch der Verbraucher gefragt, hier mehr abzuwägen: Was mache ich mit meinen Daten, wo setze ich sie ein, und wo bin ich vielleicht ein Stück zurückhaltend?
Wissensdefizite bei technischen Details
Kloiber: Das heißt, es gibt noch Unsicherheiten bei den Bürgern im Umgang mit dem Thema Big Data?
Müller-Peters: Ja, da gibt es recht große Unsicherheiten. Wir haben auch ein wenig das Wissen erfasst; Wissen generell um Digitalisierung. Hier können wir nicht mehr sagen, das war ja mal so ein Stichwort, das es Neuland ist. Die meisten Menschen kennen sich in Grundbegriffen der digitalen Welt durchaus gut aus. Wir sehen aber, wenn es dann ins Thema Vernetzung geht, dann sind doch recht große Wissensdefizite. Ob es um Telematik im Verkehrsbereich geht oder ähnliches, da herrschen nur sehr vage Vorstellungen, da fehlt noch ein ganzes Stück Aufklärung bei den Bürgern.
Kloiber: Diese Studie mit 1000 Bürgern - wer hat denn bei Ihnen die Studie beauftragt und was waren dessen Motive?
Müller-Peters: Die Studie wurde gefördert vom Goslar Institut, Initiative für verbrauchergerechtes Versichern. Das Ziel ist eine Verbraucheraufklärung zu machen bei neuen Themen, die die Gesellschaft betreffen, die auch die Versicherungen betreffen; weil auch im Versicherungsbereich spielt Big- Data-Vernetzung eine zunehmend große Rolle. Es dient einerseits der Aufklärung, aber insbesondere auch darum, politische Diskussionen zu befördern durch Information.
Kloiber: Das war Horst Müller-Peters von der Technischen Hochschule Köln über die Meinung der Bevölkerung zu Big Data.
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