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Psychologen wollen an die Hochschule

Die Hochschulen dürfen 60 Prozent ihrer Studierenden selbst auswählen, doch bislang machen nur wenige von ihrem Recht Gebrauch. Dass sich das bald ändert, darauf hoffen viele Psychologen, denn die fühlen sich für Bewerbungsgespräche und Testverfahren bestens ausgebildet. Auf einem Kongress der Arbeits- und Organisationspsychologen wird kräftig für den eigenen Berufsstand geworben.

Von Armin Himmelrath |
    "Bei der Auswahl der Studierenden ist es nicht nur wichtig zu schauen: Wer sind hinterher die besten Absolventen? Ganz wichtig ist auch: Wie reduziere ich die Anzahl der Studienabbrecher? Ganz schlimm sind für die Universität Studienabbrecher im 7., 8. oder 9. Semester. Wenn jemand nach dem ersten Semester feststellt: Dieses Fach passt nicht zu mir, dann ist das für alle gut. Dann hat die Person nicht zu viel Zeit investiert, dann hat die Person nicht zu viele Ressourcen an der falschen Stelle eingesetzt, und deswegen ist es auch sehr sinnvoll, das frühzeitig rauszufinden."

    Bei den Hochschulen und bei Bildungspolitikern hat der Bonner Psychologe Gerhard Blickle eine zunehmende Bereitschaft festgestellt, auch einmal zeit- und kostenintensive Auswahlverfahren zusammen mit Psychologen zu entwickeln, anstatt immer nur auf die Abiturnote zu setzen.

    "Das Land Baden-Württemberg ist da sehr fortschrittlich, das hat ein riesengroßes Projekt mit 1,2 Millionen Euro auf den Weg gebracht, um exemplarisch für einzelne Studiengänge zu überprüfen: Wie sehen gute Auswahlverfahren für Studiengänge aus und wie gut können die die Stabilität – also, dass man bei einem gewählten Fach dann auch bleibt – und den Studienerfolg vorhersagen?"

    Eine wichtige Rolle spielen dabei Tests zur Selbsteinschätzung. Wer sich etwa für ein Medizinstudium interessiert, kann dann schon bei einem anonymen Vorab-Test im Internet erfahren, ob er die notwendigen Basisfähigkeiten mitbringt. Solche Auswahlverfahren sind aber nur ein Thema, das auf der Bonner Tagung behandelt wird. Dort diskutieren mehr als 450 Teilnehmerinnen und Teilnehmer über alle denkbaren Einsatzfelder von Psychologen im Arbeitsleben. Und insgesamt, sagt Teilnehmerin Anne Legler aus Zürich, präsentierten sich Arbeits- und Berufspsychologen deutlich offensiver als noch vor ein paar Jahren.

    "Vielleicht ist das ein bisschen untergegangen in letzter Zeit, dass Arbeit Spaß machen kann, aber ich würde schon sagen, dass die Arbeitspsychologen selber sagen, dass sie auch ein Stückweit dazu beigetragen haben, dass Arbeit Spaß machen kann und dass sie sich eher an den Bedürfnissen des Arbeitenden orientiert und dafür interessiert, was eben nicht nur irgendwelche Leitungsebenen wollen, sondern eben auch die Mitarbeiter selbst und was denen gut tut."

    Ein Umdenken habe es auch bei vielen Wirtschaftsunternehmen gegeben, sagt Student Benni Hilbig – auch wenn er als angehender Psychologe immer noch und immer wieder auf Vorurteile stößt.

    "Ich denke, in den Großunternehmen ist das schon seit einigen Jahren angekommen, dass ohne die Psychologen das eher schlechter läuft. Was ein bisschen stimmt, dass im Volksglauben die Psychologen immer noch die Kliniker von gestern sind, die ihren Patienten auf die Couch legen und mit denen ein bisschen schwätzen, und es einfach noch nicht wahrgenommen wird, dass die Psychologie breiter ist und das gerade auch die Organisations- und Personalpsychologie sehr groß ist, aber ich denke, in Unternehmen ist das inzwischen relativ weit durchgedrungen, und Psychologen werden eigentlich immer mehr eingestellt in Unternehmen."

    Daraus ziehen die Psychologen auch eine gehörige Portion Selbstbewusstsein. Tagungs-Organisator Gerhard Blickle setzt darauf, dass er und seine Kollegen mehr und mehr gebraucht werden.

    "Ein Trend, der sich hier widerspiegelt, ist die Auseinandersetzung mit der Dauer der Lebensarbeitszeit. Also die Frage, inwiefern man realistisch Lebensarbeitszeit verlängern kann. Geht das für bestimmte Berufe, oder ist das eigentlich nicht so sehr vom Beruf selbst abhängig, sondern von den Merkmalen der Berufstätigkeit? Wenn jemand viele Handlungsspielräume hat, auch Aufgaben hat, bei denen er sehr selbständig denken und lernen muss, erhält das die psychische und auch körperliche Gesundheit sehr stark aufrecht, und das führt dazu, dass Personen länger auf einem hohen Niveau tätig sein können."

    Interessanterweise allerdings seien es gerade die Arbeitnehmer, sagt Blickle, die sich den veränderten Bedingungen in der Arbeitswelt bisher eher zögerlich nähern.

    "Da muss auch sicher ein Einstellungswandel herbeigeführt werden, dass man auch subjektiv sich als 50jähriger nicht zurücklehnen kann und sagen kann: Jetzt müssen mal die Jüngeren ran, sondern dass er es auch als eigene Aufgabe begreift, sich weiter zu qualifizieren und weiter zu entwickeln und wir haben auch einen großen Vortrag im Programm, wie man das E-Learning für ältere Arbeitnehmer nutzbar machen kann."