Es waren 34 Frauen, die am Unterleib operiert werden mussten. Sie alle bekamen eine übliche Vollnarkose, also ein Schlafmittel, dazu Schmerzmittel und Muskelrelaxanzien, das sind Medikamente, die die Muskeln für die OP erschlaffen lassen. Die Frauen konnten sich nicht mehr bewegen - bis auf eine Hand.
"Bei der so genannten isolierten Unterarmtechnik wird der Arm leicht abgebunden, bevor die Muskelrelaxanzien injiziert werden. Das Medikament gelangt also nicht in den Unterarm. Während der OP kann man dann ein Tonband laufen lassen, wo alle 60 Sekunden die Anweisung kommt: Wenn Sie das hören, dann öffnen und schließen Sie die Finger. Worauf die Probanden dann, wenn sie wach genug sind, reagieren können."
Michael Wang ist Professor für Psychologie an der Universität Leicester, er war an diversen Studien dieser Art beteiligt. Die Unterleibsoperation begann. Ein Überwachungssystem, das oft bei Vollnarkosen eingesetzt wird und die Hirnströme misst, signalisierte tiefe Bewusstlosigkeit.
"Gleichzeitig konnten wir überprüfen, ob die Patientinnen auf die Anweisungen reagierten. Und tatsächlich haben viele von ihnen ihre Finger geöffnet und geschlossen - obwohl sie laut Überwachungsmonitor hätten bewusstlos sein müssen."
Jede dritte der 34 Patientinnen hat ihre Finger entsprechend bewegt. Keine konnte sich nach der OP daran erinnern.
"Jede dritte, das ist schon extrem viel,"
sagt auch Jaideep Pandit, Facharzt für Anästhesiologie an der Uniklinik in Oxford. Doch was bedeutet das? Dass Patienten während einer Operation aufwachen können, ist nicht neu - nur die Zahlen seien sehr unterschiedlich.
In einem dritten Bewusstseinszustand
"In dieser Studie hat eine von Dreien während der OP reagiert. Wenn man Patienten gezielt befragt, kann sich nur einer von 500 aktiv an die OP erinnern. Und ohne gefragt zu werden, also von sich aus berichtet nur einer von 15.000 darüber. Diese diskrepanten Zahlen erkläre ich mir so: Einige Patienten befinden sich offenbar in einem dritten Bewusstseinszustand: Sie sind nicht richtig wach, aber nicht bewusstlos. Sie bekommen die OP zwar mit, aber auf eine neutrale Art. Sie haben weder Angst noch Schmerzen. Deshalb können sie während des Eingriffs zwar ihre Finger bewegen, aber sie vergessen die Episode wieder - weil es für sie nicht bedeutsam war. Nur wenn sie später gefragt werden, sagen sie: Hey, stimmt - da war etwas."
Allerdings sollten Anästhesisten diesen dritten Bewusstseinszustand nicht auf die leichte Schulter nehmen:
"Der Zustand könnte ein Warnsignal sein. Dass, wenn die Dosis der Schlafmittel noch niedriger ist, der Patient weiter aufwachen und er die Operation als traumatisch erleben könnte."
Nur ein Warnsignal? Das sieht der Psychologe Michael Wang ganz anders.
"Um die Kommandos zu hören, sie zu verstehen und daraufhin die Entscheidung zu treffen, die Finger zu bewegen - ich würde sagen, dass man dafür schon ein ziemlich hohes Maß an Bewusstsein haben muss."
Dass sich die Patienten nicht erinnern können, sage nichts darüber aus, wie sie die OP tatsächlich erlebt hätten.
"Ich habe Fälle erlebt, wo die Patienten zwar keinerlei Erinnerung an den Eingriff hatten, aber sehr ähnliche psychische Probleme bekamen wie Menschen, die ihre OP bewusst miterlebt haben und sich sehr genau daran erinnern konnten. Manche Menschen vergessen durch die Medikamente vielleicht einfach, dass sie aufgewacht sind - was aber nichts daran ändert, dass sie tatsächlich wach waren, vielleicht Schmerzen oder Angst hatten."
Eines zeige die Studie aber deutlich, sagt Michael Wang: Dass die EEG-Monitore, die zur Überwachung von narkotisierten Patienten eingesetzt werden, nicht zuverlässig sind. Narkoseärzte sollten lieber die isolierte Unterarmtechnik anwenden - damit sich die Patienten zur Not bemerkbar machen können.
"Was das angeht, sind wir ziemlich frustriert. Obwohl die isolierte Armtechnik eine einfache, zuverlässige und lang etablierte Methode ist, wird sie nur selten eingesetzt. Die meisten Anästhesisten kennen die Methode noch nicht einmal richtig."