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Psychologie
Warum es gefährlich ist, Donald Trump zu verzeihen

Die US-Psychologin und Therapeutin Ramani Durvasula bescheinigt Donald Trump eine narzisstische Störung. Sein Verhalten nach der Corona-Infektion zeige das besonders deutlich. Dass ihm seine Fans alles verzeihen, sei gefährlich. "Vergebung macht Narzissten noch rücksichtsloser", sagt sie dem Dlf.

Von Andreas Robertz |
Donald Trump bei seiner Ansprache am Weißen Haus
Donald Trump bei seiner Ansprache am Weißen Haus (AP Photo/Alex Brandon)
"Die ganze Rede von 'im Zweifelsfall ja', 'gib ihm noch 'ne Chance' oder 'er meint das doch nicht so', führt dazu, dass Menschen ihr eigenes Urteil anzweifeln und ihre Erfahrung dadurch fast schon entwertet wird. Ich soll ihm eine zweite Chance geben? Für was? Mich wieder zu verletzten?"
Ramani Durvasula spricht aus langjähriger Erfahrung als Familientherapeutin. Im Umgang mit Familienangehörigen mit narzisstischen Störungen helfen keine Diskussionen und kein "Auge zudrücken". Es macht sie nur noch rücksichtsloser. Oft wird dann von den Leidtragenden gefordert, ihnen wieder zu vergeben.
"Vergeben ist ein sehr persönlicher Prozess. Ich muss das mal so formulieren: Ein wichtiges Mittel sozialer Unterdrückung kommt von dem gesellschaftlichen Druck, anderen zu vergeben. Als wäre man dadurch eine moralischere Person. Ich finde, dass Vergebung für menschliche Beziehungen nicht wesentlich ist. Einige kommen gar nicht so weit, denn jemandem zu vergeben heißt im Grunde, ihm seine Sünden zu erlassen. Das Problem dabei ist, dass narzisstische Personen dann denken, wenn sie mir vergeben, kann ich es wieder tun. Vergeben wird so für sie zur Erlaubnis."
Epidemie der Schadenfreude
In vielen therapeutischen Prozessen kommt dem Vergeben eine große Bedeutung zu, vor allem für den, der verzeiht. Auch in den christlichen Religionen gilt Vergeben können und Vergebung empfangen als befreiend. Aber für Ramani Durvasula stellt die Gefahr der fortwährenden Traumatisierung in Beziehungen mit einem Narzissten den Nutzen des Vergebens in Frage. Derjenige, der vergibt, verändert sich zwar, aber derjenige, dem vergeben wird, bleibt derselbe. Läuterung, Umkehr, Reue – bei Narzissten Fehlanzeige. Die Ereignisse der vergangenen Tage in Washington sind für sie dabei ein Paradebeispiel:
"Der deutsche Ausdruck 'Schadenfreude' wurde kürzlich über Nacht zum populärsten Ausdruck in den Vereinigten Staaten. Das muss man den Deutschen schon lassen, eine so komplizierte menschliche Erfahrung in einem Wort ausdrücken zu können: das Vergnügen am Leid eines anderen. Trumps Covid-19-Diagnose löste überall in den USA, ja auf der ganzen Welt, eine Epidemie der Schadenfreude aus. Viele dachten dann, was bin ich doch für eine schreckliche Person, mich am Leid eines anderen zu freuen. Mir ging es genauso. Das ist ja gar nicht meine Philosophie."
Dr. Ramani Durvasula ist Professorin für Psychologie an der Universität von Kalifornien und praktizierende Psychotherapeutin
Dr. Ramani Durvasula ist Professorin für Psychologie an der Universität von Kalifornien und praktizierende Psychotherapeutin (privat)
Zwei Tage später mussten zwei Sicherheitsbeamte den hoch ansteckenden Präsidenten in einem Auto durch die Stadt fahren, damit er seinen Fans zuwinken kann.
"Drei Tage später verlässt er das Krankenhaus und banalisiert die Pandemie. Die Unverantwortlichkeit dieser Worte garantiert doch, dass wir jetzt einen riesigen Peak an Menschen haben werden, die sagen: 'Der Präsident hatte es und es war wie eine milde Grippe. Ich werde nie mehr wieder eine Maske tragen.' Diese Leute haben keinen Zugang zu seiner medizinischen Versorgung, viele sind nicht mal versichert. Kann man das Vergeben? Ich finde nicht, denn viele werden nun wegen ihm krank und vielleicht sterben."
"Schluss mit dem Vergeben"
Und für seine Unterstützer hat Ramani Durvasula klare Worte: "Dieses ganze 'Verzeiht ihm, er will ja nur die Wahl gewinnen.' Schluss mit dem Vergeben. Deswegen befinden wir uns ja jetzt in dieser Situation. Vergeben wird hier zu Ermutigen."
Evangelikale in den USA - Trump, der "Gesalbte Gottes"
In der Bibel werden Könige auch als "Gesalbte Gottes" bezeichnet. In den USA behaupten nun Evangelikale, auch Präsident Trump sei "von Gott gesalbt".
Wenn Ramani Durvasula die Bilder von Donald Trump nach seiner Rückkehr aus dem Krankenhaus verfolgt, sieht sie auch das Leiden eines psychisch gestörten Menschen. Denn auch wenn Narzissten in der amerikanischen Gesellschaft wegen ihrer Energie, ihres Durchsetzungsvermögens und ihrer Rücksichtslosigkeit bewundert werden, darf man, findet sie, nicht das enorme Leid vergessen, das sich hinter der grandiosen Fassade verbirgt.
"Im Falle des Präsidenten ist es ganz offensichtlich, dass es sein psychologisches Bedürfnis ist, unverwundbar wie Superman zu erscheinen. Um so eine grandiose Fassade aufrechtzuerhalten, ist jemand mit einem so schwachen Ego sogar dazu bereit, das Leben von anderen zu opfern. Jeden wachen Moment in seinem Leben fragt er sich, wie kann ich die Leute dazu bringen, mich zu bewundern. Weil ich sonst nicht atmen kann. So besessen ist er davon. Es ist hart, sein Leben so führen zu müssen."
Das Bild zeigt die amerikanische Flagge, Dossier zur US-Wahl 2020