"Und dann habe ich noch eine andere Leidenschaft: Das sind Briefmarken. Ich sammle für mein Leben gerne Briefmarken. Ich hab ein Briefmarken-Album!"
Ein Mädchen, acht Jahre alt, erzählt von seiner Lieblingsbeschäftigung. Aber nicht einfach so zum Spaß. Aus der Stimme des Kindes will die Psychologin Daina Langner heraushören, ob es womöglich ADHS hat, also eine Aufmerksamkeits- und Hyperaktivitätsstörung.
"Die sind dann von meinem Opa, die haben mir nämlich mal ein Set gekauft, mit Pferden. Nur Pferde-Briefmarken! Nur Pferde-Briefmarken! Könnt ihr euch das vorstellen?"
"Man hört Unregelmäßigkeiten, die spannend sind. Das, was wir als lebendiger erleben, sind Überraschungen. Die redet zuerst so einfach leise, man merkt, da ist ein Gedanke, und plötzlich scheint es so, da hat sie ein ganz klares Bild davon, wie diese Pferde-Briefmarken aussehen und hat eine enorme Emotion dazu."
Es könnte ja aber durchaus sein, dass das Mädchen einfach sehr temperamentvoll ist. Um normales Temperament von krankhafter Hyperaktivität zu unterscheiden, hat Daina Langner zusammen mit der Charité in Berlin und der Firma Audioprofiling ein Analyseprogramm entwickelt. Die Software untersucht die Muster in der Stimme ganz genau – Deep Speech Pattern Analysis heißt das.
"Da schauen Sie auf eine Art in die Sprache, in die Art des Sprechens wie es mit unseren Ohren nicht möglich ist. Wir können keine Lupe mit dem Ohr... Mit dem Auge gucken wir auf ein Bild und sehen die kleinen Pixel, und das passiert auch mit der Stimme, mit der Stimmanalyse, Pixelanalyse, Muster in diesen kleinen Pixeln, nur dass wir das mit dem Ohr nicht mehr nachvollziehen können."
Auch Parkinson und Depressionen könnten stimmlich analysiert werden
Die Software analysiert die Lautstärke, die Artikulation, das Tempo, den Rhythmus und die Sprachmelodie. Mit ihrer akustischen Lupe findet sie den entscheidenden Hinweis:
"Auf Mikroebene, auf Millisekundenebene, die nur mithilfe von Technik messbar ist, spricht sie, ist die muskuläre Bewegung beim Sprechen viel unvariabler, weniger lebendig, kaum Veränderung, fast maschinenartige Struktur in diesen Mikroebenen."
Eine Überraschung: Unter der enormen Aktivität in der Stimme des Mädchens versteckt sich Monotonie. Dieses Muster ist ein wichtiger Hinweis auf ADHS: Bei gesunden, bloß temperamentvollen Kindern tritt es nicht auf. Die Trefferquote des Programms liegt bisher bei gut 80 Prozent. Jetzt wird es an 1.200 weiteren Kindern getestet und verbessert. Es könnte die Untersuchung durch einen Fachmann ergänzen, meint Langner:
"Was der Computer anders macht, ist, er ist nicht beeinflusst durch das Auftreten des Kindes selber, durch die Eltern, durch Zeugnisse. Das ist ein Verfahren, das objektiv arbeitet. Was uns manchmal gar nicht klar ist: Stimme, Sprechen, das ist Verhalten, das heißt, es ist Verhalten, das wir messen können."
Inzwischen versuchen Forscher, auch für andere Krankheiten Anzeichen in der Stimme zu finden: für Parkinson oder Depressionen zum Beispiel. Sie machen sich dabei zunutze, was auch Daina Langner und ihre Kollegen auf die Idee mit der Stimm-Diagnose brachte:
"Das Spannende ist ja, dass ADHS ein Problem vom ganzen Körper und vor allen Dingen vom Gehirn ist, und da war die Idee, das müsste doch sich nicht nur in den langen Muskeln zeigen von Armen und Beinen und im Denken, sondern das müsste sich auch in der kleinsten Muskulatur, die wir haben, Sprechapparat, Stimme, das müsste sich doch auch dort zeigen. Wäre doch seltsam, wenn wir da irgendwie ein Loch hätten, und dort würde alles anders funktionieren als am restlichen Körper."
Die feinen Muskeln, die für die Spannung der Stimmlippen sorgen, spiegeln also wieder, was im Körper los ist. Und verraten so auch eine ganze Menge über die Psyche.