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Psychopathen im Arbeitsleben
"Furchtlose Dominanz kann am Arbeitsplatz auch positive Effekte haben"

Psychopathische Persönlichkeiten gibt es nicht nur in der Fantasie von Hollywood-Regisseuren, sondern gelegentlich auch im Kollegenkreis in der Firma. Eigenschaften, die solchen Personen zugeschrieben werden, müssten nicht unbedingt negativ sein, sagte die Wirtschaftspsychologin Nora Schütte im DLF. Furchtlose Dominanz etwa könne sogar besonders günstig sein.

Nora Schütte im Gespräch mit Ulrike Burgwinkel |
    Ein Sessel steht hinter einem Schreibtisch.
    Chefsessel im Büro ( imago/Horst Rudel)
    Ulrike Burgwinkel: Krimis und Thriller lieben Psychopathen, deren Regisseure naturgemäß ebenso. Hitchcock, Fincher, sie alle haben ihnen ihre Referenz erwiesen. In der Geschäftswelt lässt er sich aber auch verorten, der reiche Psychopath Belfort zum Beispiel in "Wolf of Wallstreet". Der wäre so einer. Weniger Hollywood-tauglich, aber durchaus existent, auch bei uns: Psychopathen in der Arbeitswelt. Die waren Gegenstand einer Untersuchung der Wirtschaftspsychologen an der Uni Bonn, und Nora Schütte hat daran maßgeblichen Anteil unter Anleitung ihres Doktorvaters, Gerhard Blickle. Hallo, Frau Schütte!
    Nora Schütte: Hallo, Frau Burgwinkel!
    Burgwinkel: Der grantelnde oder der ungerechte Chef, ist der denn schon ein Psychopath oder ist das eigentlich nur ein Unsympath?
    Schütte: Da wäre es erst mal ganz wichtig, an erster Stelle zu sagen, dass in unserem Forschungsprogramm an der Uni Bonn wir nicht von Psychopathen sprechen, wie das in der Öffentlichkeit gern gemacht wird, sondern von Psychopathie als Persönlichkeitseigenschaft. Das impliziert dann auch gleich mit sich, dass Menschen aus dieser Persönlichkeitseigenschaft eigentlich alle eine Ausprägung haben können. Insofern kann auch ein Chef durchaus psychopathische Ausprägungen haben. Gleichzeitig heißt das natürlich auch, Granteln und ungerecht, das kann mit einer psychopathischen Persönlichkeit kovariieren, aber auch das muss nicht unbedingt sein.
    Burgwinkel: Wie ist denn die pathologische Persönlichkeit? Welche Persönlichkeitsfacetten sind dann entscheidend bei Ihrer Charakterisierung?
    Drei Komponenten zur Beschreibung einer psychopathischen Persönlichkeit
    Schütte: Ganz wichtig ist hier erst mal, es ist ein dimensionales Konstrukt wie andere Persönlichkeitseigenschaften auch, und man geht in der Regel davon aus, dass es vor allen Dingen zwei oder drei Faktoren gibt, um eine psychopathische Persönlichkeit zu beschreiben. Professor Blickle und ich greifen dabei in der Regel auf die Unterteilungen primäre und sekundäre Psychopathie zurück, und in dieses Konzept betten wir dann die Persönlichkeitseigenschaften der furchtlosen Dominanz und der egozentrischen Impulsivität ein. Das sind zwei voneinander unabhängige Faktoren, also furchtlose Dominanz kann man als Indikator oder Operationalisierung für primäre Psychopathie ansehen, und die egozentrische Impulsivität für die sekundäre Psychopathie. Zusätzlich gibt es dann ab und zu in Modellen noch mal eine Facette, die sich Kaltherzigkeit nennt. Das sind so im Wesentlichen die drei Komponenten, mit denen man psychopathische Persönlichkeit ganz gut beschreiben kann.
    Burgwinkel: Jetzt haben Sie den Unterschied noch mal dargestellt. Furchtlose Dominanz als Kennzeichen primärer Psychopathie und egozentrische Impulsivität als Kennzeichen der sekundären Psychopathie. Wie stark gefährden denn solche Personen, die entweder der einen oder der anderen Kategorie zuzuordnen sind, die Arbeit eines gesamten Teams, beziehungsweise vielleicht stärken sie die Arbeit ja auch.
    Schütte: Da ist erst mal die Frage, Gefährdung – ja ein gefährlicher Begriff. Was wir aktuell sagen können, ist, ja, sekundäre Psychopathie, das hat negative Effekte. Wir haben da beispielsweise untersucht, wie wirkt die sekundäre Psychopathie einer Person auf die Kollegen. Hier finden wir negative Effekte, die werden als wenig kooperativ wahrgenommen und zudem auch als kontraproduktiv am Arbeitsplatz. Da könnte man natürlich davon ausgehen, dass es auch in einem Team negativ ist. Andererseits muss man sagen, in Teams herrschen noch ganz andere Dynamiken, die wir in unserer Befragung so nicht berücksichtigen können. Das heißt, da können sich aktuell noch keine eindeutigen Aussagen zu treffen lassen. Mit der furchtlosen Dominanz ist es ein bisschen anders. Auch hier wiederum für das Team, diese Frage steht noch offen. Zumindest ist es aber so, dass bei der furchtlosen Dominanz unter ganz bestimmten Umständen das durchaus ein Merkmal sein kann, das am Arbeitsplatz auch positivere Effekte haben kann oder zumindest die Leute dann nicht negativ auffallen.
    Burgwinkel: Was wären denn solche positive Effekte?
    "Personen mit psychopathischer Persönlichkeit können sozial unauffällig sein"
    Schütte: Was wir beispielsweise gefunden haben in unserer Studie, wir haben an Kollegen, haben das Kooperationsverhalten und das kontraproduktive Arbeitsverhalten gegenüber anderen Individuen von Kollegen einschätzen lassen. Und hier zeigt sich, dass, wenn gleichzeitig eine gute soziale Kompetenz bei den Personen, die potenziell eine psychopathische Persönlichkeit haben, vorliegt, dass dann das Kooperationsverhalten von den Kollegen auch besser eingeschätzt wird und das kontraproduktive Verhalten geringer eingeschätzt wird. Also mal so ganz allgemein zu sagen, dass diese Personen mit psychopathischen Persönlichkeit sozial eigentlich unauffällig sind.
    Burgwinkel: Es gibt ein gesundes Maß an Psychopathen, die tun dem Unternehmen sogar gut, Frau Schütte?
    Schütte: Ja. Personen mit ausgeprägter furchtloser Dominanz können kooperativ und wenig kontraproduktiv sein. Generell würden wir aber nach wie vor, aufbauend auf unseren Studienergebnissen schon sagen, dass psychopathische Persönlichkeit keine wünschenswerte Eigenschaft von Mitarbeitern in Organisationen ist. Dazu sind die Effekte einfach noch nicht weitläufig genug untersucht. Es gibt allerdings neuere Forschungsansätze, die halt in die Richtung gehen zu sagen, furchtlose Dominanz, das kann etwas sein, was in ganz bestimmten Berufen oder in ganz bestimmten beruflichen Umwelten besonders günstig ist. Hier brauchen wir aber einfach noch weitere Forschung, um Aussagen dazu treffen zu können. Und zu analysieren gibt es da dann ebenfalls auch andere Interaktionspartner. Wenn wir jetzt davon sprechen, ist das für ein Unternehmen gut oder schlecht, heißt das natürlich nicht, sich einfach nur die Kollegen anzuschauen, sondern weitere Interaktionspartner in Organisationen, oder auch, ob die Ziele einer Organisation erreicht werden. Insofern haben wir da noch ein gutes Maß an Forschung vor uns, das wir noch aufarbeiten müssen.
    Burgwinkel: Was mich noch interessieren würde, ist die Frage nach der Hierarchieebene. Wo finden sich denn welche Typen häufiger, also die furchtlos Dominanten oder Egozentriker.
    Eine höhere Ausprägung bei Männern
    Schütte: Das ist schwer zu beantworten. Ergebnisse, die das nach Hierarchieebene ordnen, sind bislang meines Wissens noch nicht analysiert worden. Es gibt aber Vermutungen, dass psychopathische Persönlichkeit auch in Führungspositionen relevant ist. Sie haben ja eingangs auf die Figur des "Wolf of Wallstreet" Bezug genommen. Das ist ja jemand, der am Ende einer Spitze eines großen Unternehmens steht. Wie die aktuelle Verteilung ist, kann ich so nicht sagen, es ist aber definitiv ein Thema, das es zu untersuchen gilt und das natürlich auch weitreichende Implikationen hat.
    Burgwinkel: Sind denn mehr Männer oder mehr Frauen von psychopathischen Kennzeichen betroffen?
    Schütte: Man geht davon aus, dass Männer tendenziell höhere Werte in der psychopathischen Persönlichkeit haben.
    Burgwinkel: Haben Sie das auch untersucht eigentlich?
    Schütte: Wir haben es nicht untersucht. Es zeigten sich in unserer Stichprobe kleine Effekte, dass Männer höhere Ausprägungen haben. Wir haben das aber nicht weiter getestet. Das ist aber ja ein Ergebnis, das sich so durch die Forschungen der letzten Jahre relativ deutlich rauskristallisiert.
    Burgwinkel: Vielen Dank!
    Schütte: Sehr gern!
    Burgwinkel: Das war Nora Schütte, Wirtschaftspsychologin an der Uni Bonn. Die Studie unter Leitung von Professor Gerhard Blickle, ihrem Doktorvater, ist Ende Juni in der Zeitschrift "Journal of Management" veröffentlicht worden.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.