Ohne Arbeit können wir nicht leben. Oft genug aber auch nicht mit ihr. Sie kann krankmachen - genauso wie ihr Verlust. Der Mediziner und Psychotherapeut Joachim Bauer ist dieser Doppelgesichtigkeit der Arbeit auf den Grund gegangen – und zu dem Schluss gekommen: Für die heutige Arbeit ist der Mensch evolutionär nicht geschaffen. In seinem Buch "Arbeit. Warum unser Glück von ihr abhängt und wie sie uns krank macht" legt er die Gründe dafür dar.
Joachim Bauer:
"Generell muss man dem weitverbreiteten Eindruck entgegentreten, dass Arbeit oder Belastung, Verausgabung immer krank machen muss. Das ist völliger Unsinn. Sondern solange ich mich tüchtig verausgaben kann, zeigen kann, was ich kann - und dafür etwas zurückbekomme, kann ich sehr, sehr viel leisten als Mensch."
Joachim Bauer ist Neurobiologe, Internist und Psychotherapeut, und lehrt an der Universi-tät Freiburg. Für seine Forschungsarbeiten erhielt er 1996 den renommierten Organon-Preis der Deutschen Gesellschaft für Biologische Psychiatrie. In seinem neuen Buch geht er den Voraussetzungen nach, die gegeben sein müssen, damit es zwischen Mensch und Arbeit passt. Dabei lässt er Fragen der unmittelbaren körperlichen Fitness außer Acht, da sie seiner Ansicht nach in den letzten Jahren ausgiebig thematisiert worden sind. Wenig beschrieben seien die neurobiologischen Systeme, die für die seelische Gesundheit rele-vant sind.
Joachim Bauer:
"Wir können als Menschen nicht leben, ohne produktiv zu sein, was zu machen, kreativ zu sein. Und wenn uns diese Möglichkeit völlig genommen ist, dann ist aus der Sicht des Gehirns eine Notsituation da. Das heißt, unser Gehirn will etwas machen. Es muss aber nicht das sein, was wir im modernen Sinn als Arbeit bezeichnen. Unser Gehirn beschäftigt sich auch gern mit der Musik oder mit dem Sport, mit dem Herstellen von Kunstprodukten, mit dem Malen. Allerdings wer jetzt diese kreative Seite nicht entwickelt hat, der braucht in der Tat aus der Sicht des Gehirns Arbeit. Er braucht irgendein Betäti-gungsfeld, wo er sich bewähren kann, wo er soziale Verbundenheit erlebt, wo er erlebt, dass andere ihm für seine Bemühungen Anerkennung schenken und ihn wertschätzen."
Sind diese Voraussetzungen gegeben, wird das Motivationszentrum im Gehirn aktiviert, und die entsprechenden Botenstoffe werden ausgeschüttet. Bleiben Erfolg und Anerken-nung aus, kommt die Homöostase, das natürliche innere Gleichgewicht eines Organismus, ins Wanken.
Joachim Bauer:
"Dann entsteht das, was wir dann als ein moralisches Desaster fühlen würden: Frustra-tion. Und neurobiologisch kommt es zu einem Absturz des Motivationssystems mit einem Absturz der Produktion von Botenstoffen. Die sogenannten Glücksbotenstoffe, Dopamin, und körpereigene Opioide werden dann nicht mehr gemacht. Und der Mensch fühlt sich dann auch aus neurobiologischer Sicht in einem Zustand, den er nicht lange aushalten kann. Dann fahren die Angst-und Stresssysteme hoch und die entsprechenden Botenstoffe. Und das ist die ideale Ausgangssituation, um krank zu werden, um Burn-out zu entwickeln oder Depression."
Joachim Bauer tritt vehement der These entgegen, Burn-out sei eine Mode-Diagnose – und letztendlich nichts anderes als Depression. Aufgrund seiner eigenen langjährigen medizinischen und therapeutischen Erfahrung besteht zwischen beiden Krankheiten für ihn ein klarer Unterschied:
"Das Burn-out-Konzept beschreibt eine Störung der Leistungsfähigkeit am Arbeitsplatz. Die Depression hat mit dem gesamten Menschen zu tun. Das heißt, ein Mensch, der de-pressiv ist, hat seine Lebensfreude insgesamt verloren - völlig unabhängig vom Arbeits-platz. Wir sollten der Versuchung widerstehen, die Erschöpfung am Arbeitsplatz zu psychiatrisieren. Auch aus dem Grund, weil die Gefahr besteht, dass wir dann quasi versuchen, schlechte Arbeitsbedingungen mit Psychopharmaka zu behandeln. Also Psychopharmaka können gute Arbeitsbedingungen nicht ersetzen."
Gute Arbeitsbedingungen regen auch das Empathie-System im Gehirn an. Das heißt die Fähigkeit, sich in andere Menschen einfühlen oder eindenken zu können. Oder anders ausgedrückt: die Fähigkeit zum Perspektivwechsel. Sie sei, konstatiert Joachim Bauer, in der modernen Dienstleistungsgesellschaft unerlässlich – ob im Kundenkontakt, in der Krankenpflege, in Callcentern oder in den Chefetagen zur Mitarbeiterführung. Der entsprechende Botenstoff im Gehirn ist das Oxytozin. Studien zufolge produziert das Gehirn von Frauen in der Regel wesentlich größere Mengen dieses Botenstoffes als das Gehirn von Männern. Deswegen, so der Autor, seien Frauen für jedes Unternehmen und jedes Arbeitsteam ein so großer Gewinn.
Joachim Bauer:
"Es gibt so was wie eine Team-Intelligenz. So wird das auch bezeichnet - eine Gruppen-intelligenz und die ist nicht einfach die Summe der Intelligenzquotienten der einzelnen Mitglieder. Sondern, eine hohe Performance eines Gesamtteams, ein hoher Gruppenintel-ligenzquotient entwickelt sich dann – das wurde wissenschaftlich genau untersucht - ent-wickelt sich dann, wenn die Mitglieder des Teams sich untereinander gut verstehen und gut spüren, wie die jeweils anderen ticken in dem Team. Und man hat gefunden, dass das einer der Gründe ist, warum Teams, in denen etwa die Hälfte der Mitglieder Frauen sind, besonders gut funktionieren."
Das Gehirn selbst funktioniert am besten, wenn es sich auf konkrete Aufgaben konzentrieren kann, die klar definiert sind. Die Beschleunigung und Fragmentierung in der modernen Arbeitswelt, das klassische Multitasking, schreibt Joachim Bauer, bewirke dagegen eine zwar weit gestreute, aber flache und diffuse Aufmerksamkeit. Sie wiederum aktiviert im Gehirn ein Stresssystem, das die Forschung erst vor etwa zehn Jahren entdeckt hat. Im Gegensatz zum klassischen Stresssystem, das den Organismus nur für kurze Zeit in Alarm versetzt, zum Beispiel in einer Prüfungssituation, bewirkt das neu entdeckte Stresssystem einen Zustand latenter chronischer Unruhe und Wachsamkeit. Es wird daher als "Unruhe-Stresssystem" oder Default Mode Network bezeichnet.
Joachim Bauer:
"Das ist ein evolutionär sehr altes Stresssystem, was in unserem Gehirn sich entwickelt hat, weil wir genau diese Form von flacher breiter Aufmerksamkeit in der Wildnis gebraucht haben, nämlich in der Wildnis, wo unsere evolutionären Vorfahren über Jahrhunderttausende gelebt haben. Da war es sehr, sehr wichtig, nach allen Seiten permanent wachsam zu sein. Und da gibt es erste Hinweise, also dieses System, wenn das chronisch überfordert und chronisch überaktiviert ist, dann kann es Neurodegeneration begünstigen, also Abbauprozesse im Gehirn können beschleunigt werden. Aber da das System erst seit zehn Jahren bekannt ist, wird die Forschung in den nächsten Jahren da massiv noch neue Daten bringen."
Erste Studien zeigen allerdings, dass Versuchspersonen, die einem Unruhe-Stress über längere Zeit ausgesetzt waren, sich danach auf konkrete Aufgaben schlecht konzentrieren konnten und ineffizient arbeiteten. Gleichzeitig geht bei der zunehmenden Zahl von befristeten Arbeitsverhältnissen, den "McJobs", die innere Bindung an den Arbeitsplatz verloren. Neurobiologisch betrachtet, erläutert Joachim Bauer, bedeute dies, dass weder das Motivation- noch das Empathie-System Anknüpfungspunkte fänden. Es kommt zur emotionalen Erschöpfung. Immer weniger Menschen sehen noch einen Sinn in ihrer Arbeit. Und auch dies, das Sinnbedürfnis, sei jüngerer Forschung zufolge ein - von der Wissenschaft selbst lange geleugnetes - neurobiologisches Grundbedürfnis."
Joachim Bauer:
"Unser Gehirn will Zusammenhänge herstellen. Und wenn wir fragen, was ist eigentlich Sinn? Dann werden wir feststellen: Sinn ist eigentlich, dass Dinge zusammenhängen, ursächlich oder in irgendeiner Weise miteinander harmonieren. Und genau das ist, was unser Gehirn will. Das heißt, wir wollen Arbeit leisten, wo hinterher etwas rauskommt, was Sinn macht. Was anderen Menschen oder mir zum Beispiel selbst hilft zu leben. Oder was schön ist. Der Musiker konzertiert, und sein Sinn ist, dass die Zuhörer sich an seiner Musik erfreuen und der Arbeiter, der am Band arbeitet und einen Motorblock in einem Autowerk bearbeitet, dessen Sinn ist es, hinterher zu sehen, dass aus dem Teilstück an dem er mitgearbeitet hat, ein funktionierendes Fahrzeug entstehen kann."
Joachim Bauer beschreibt die komplexen Zusammenhänge in seinem Buch sehr anschau-lich. Jeweils ein ganzes Kapitel widmet er der Burn-out-Forschung und Statistiken zur Arbeitswelt. Ausführlich zeichnet er die Entstehungsgeschichte des Begriffs "Arbeit" nach. Die Philosophin Hannah Arendt kommt mit ihrem Ansatz seiner eigenen Auffassung am nächsten:
Joachim Bauer:
"Die gesagt hat: Die Arbeit soll etwas sein, was nah am Menschen ist, also was unseren Bedürfnissen dienen soll. Sowohl natürlich unseren Basisbedürfnissen des Überlebens, aber auch so dem Bedürfnis der sozialen Verbundenheit oder dem Bedürfnis der Kreativität und des künstlerischen Ausdrucks. Die Wissenschaft auch. Also die Neugier des Menschen ist ja auch etwas, was die Arbeit motiviert. "
Die wissenschaftliche Forschung hat auch bewiesen, dass jeder Mensch Stress sehr individuell empfindet. Deshalb plädiert Joachim Bauer nicht nur an die Verantwortlichen in den Chefetagen, menschenwürdige Arbeitsbedingungen zu schaffen: Er appelliert auch an die Selbstverantwortung jedes Einzelnen.
Joachim Bauer:
"Dass wir den Sinn und die Sensibilität uns bewahren, dass es jenseits der Arbeit noch wertvolle Dinge gibt, die das Leben wert machen zu leben. Also das Träumen, das Sinnie-ren, das Schauen, das Hören, das Sprechen mit Freunden, die Musik, der Sport, die Be-gegnung mit der Natur. x lauter Dinge, die eigentlich, wenn Sie so wollen, zwecklos sind - die aber Freude machen können. Und diesen Bereich des Lebens jenseits der Arbeit - den sollten wir uns nicht platt machen lassen."
Joachim Bauer:
Arbeit. Warum unser Glück von ihr abhängt und wie sie uns krank macht, Blessing Ver-lag, 270 Seiten, 19.99 Euro
Joachim Bauer:
"Generell muss man dem weitverbreiteten Eindruck entgegentreten, dass Arbeit oder Belastung, Verausgabung immer krank machen muss. Das ist völliger Unsinn. Sondern solange ich mich tüchtig verausgaben kann, zeigen kann, was ich kann - und dafür etwas zurückbekomme, kann ich sehr, sehr viel leisten als Mensch."
Joachim Bauer ist Neurobiologe, Internist und Psychotherapeut, und lehrt an der Universi-tät Freiburg. Für seine Forschungsarbeiten erhielt er 1996 den renommierten Organon-Preis der Deutschen Gesellschaft für Biologische Psychiatrie. In seinem neuen Buch geht er den Voraussetzungen nach, die gegeben sein müssen, damit es zwischen Mensch und Arbeit passt. Dabei lässt er Fragen der unmittelbaren körperlichen Fitness außer Acht, da sie seiner Ansicht nach in den letzten Jahren ausgiebig thematisiert worden sind. Wenig beschrieben seien die neurobiologischen Systeme, die für die seelische Gesundheit rele-vant sind.
Joachim Bauer:
"Wir können als Menschen nicht leben, ohne produktiv zu sein, was zu machen, kreativ zu sein. Und wenn uns diese Möglichkeit völlig genommen ist, dann ist aus der Sicht des Gehirns eine Notsituation da. Das heißt, unser Gehirn will etwas machen. Es muss aber nicht das sein, was wir im modernen Sinn als Arbeit bezeichnen. Unser Gehirn beschäftigt sich auch gern mit der Musik oder mit dem Sport, mit dem Herstellen von Kunstprodukten, mit dem Malen. Allerdings wer jetzt diese kreative Seite nicht entwickelt hat, der braucht in der Tat aus der Sicht des Gehirns Arbeit. Er braucht irgendein Betäti-gungsfeld, wo er sich bewähren kann, wo er soziale Verbundenheit erlebt, wo er erlebt, dass andere ihm für seine Bemühungen Anerkennung schenken und ihn wertschätzen."
Sind diese Voraussetzungen gegeben, wird das Motivationszentrum im Gehirn aktiviert, und die entsprechenden Botenstoffe werden ausgeschüttet. Bleiben Erfolg und Anerken-nung aus, kommt die Homöostase, das natürliche innere Gleichgewicht eines Organismus, ins Wanken.
Joachim Bauer:
"Dann entsteht das, was wir dann als ein moralisches Desaster fühlen würden: Frustra-tion. Und neurobiologisch kommt es zu einem Absturz des Motivationssystems mit einem Absturz der Produktion von Botenstoffen. Die sogenannten Glücksbotenstoffe, Dopamin, und körpereigene Opioide werden dann nicht mehr gemacht. Und der Mensch fühlt sich dann auch aus neurobiologischer Sicht in einem Zustand, den er nicht lange aushalten kann. Dann fahren die Angst-und Stresssysteme hoch und die entsprechenden Botenstoffe. Und das ist die ideale Ausgangssituation, um krank zu werden, um Burn-out zu entwickeln oder Depression."
Joachim Bauer tritt vehement der These entgegen, Burn-out sei eine Mode-Diagnose – und letztendlich nichts anderes als Depression. Aufgrund seiner eigenen langjährigen medizinischen und therapeutischen Erfahrung besteht zwischen beiden Krankheiten für ihn ein klarer Unterschied:
"Das Burn-out-Konzept beschreibt eine Störung der Leistungsfähigkeit am Arbeitsplatz. Die Depression hat mit dem gesamten Menschen zu tun. Das heißt, ein Mensch, der de-pressiv ist, hat seine Lebensfreude insgesamt verloren - völlig unabhängig vom Arbeits-platz. Wir sollten der Versuchung widerstehen, die Erschöpfung am Arbeitsplatz zu psychiatrisieren. Auch aus dem Grund, weil die Gefahr besteht, dass wir dann quasi versuchen, schlechte Arbeitsbedingungen mit Psychopharmaka zu behandeln. Also Psychopharmaka können gute Arbeitsbedingungen nicht ersetzen."
Gute Arbeitsbedingungen regen auch das Empathie-System im Gehirn an. Das heißt die Fähigkeit, sich in andere Menschen einfühlen oder eindenken zu können. Oder anders ausgedrückt: die Fähigkeit zum Perspektivwechsel. Sie sei, konstatiert Joachim Bauer, in der modernen Dienstleistungsgesellschaft unerlässlich – ob im Kundenkontakt, in der Krankenpflege, in Callcentern oder in den Chefetagen zur Mitarbeiterführung. Der entsprechende Botenstoff im Gehirn ist das Oxytozin. Studien zufolge produziert das Gehirn von Frauen in der Regel wesentlich größere Mengen dieses Botenstoffes als das Gehirn von Männern. Deswegen, so der Autor, seien Frauen für jedes Unternehmen und jedes Arbeitsteam ein so großer Gewinn.
Joachim Bauer:
"Es gibt so was wie eine Team-Intelligenz. So wird das auch bezeichnet - eine Gruppen-intelligenz und die ist nicht einfach die Summe der Intelligenzquotienten der einzelnen Mitglieder. Sondern, eine hohe Performance eines Gesamtteams, ein hoher Gruppenintel-ligenzquotient entwickelt sich dann – das wurde wissenschaftlich genau untersucht - ent-wickelt sich dann, wenn die Mitglieder des Teams sich untereinander gut verstehen und gut spüren, wie die jeweils anderen ticken in dem Team. Und man hat gefunden, dass das einer der Gründe ist, warum Teams, in denen etwa die Hälfte der Mitglieder Frauen sind, besonders gut funktionieren."
Das Gehirn selbst funktioniert am besten, wenn es sich auf konkrete Aufgaben konzentrieren kann, die klar definiert sind. Die Beschleunigung und Fragmentierung in der modernen Arbeitswelt, das klassische Multitasking, schreibt Joachim Bauer, bewirke dagegen eine zwar weit gestreute, aber flache und diffuse Aufmerksamkeit. Sie wiederum aktiviert im Gehirn ein Stresssystem, das die Forschung erst vor etwa zehn Jahren entdeckt hat. Im Gegensatz zum klassischen Stresssystem, das den Organismus nur für kurze Zeit in Alarm versetzt, zum Beispiel in einer Prüfungssituation, bewirkt das neu entdeckte Stresssystem einen Zustand latenter chronischer Unruhe und Wachsamkeit. Es wird daher als "Unruhe-Stresssystem" oder Default Mode Network bezeichnet.
Joachim Bauer:
"Das ist ein evolutionär sehr altes Stresssystem, was in unserem Gehirn sich entwickelt hat, weil wir genau diese Form von flacher breiter Aufmerksamkeit in der Wildnis gebraucht haben, nämlich in der Wildnis, wo unsere evolutionären Vorfahren über Jahrhunderttausende gelebt haben. Da war es sehr, sehr wichtig, nach allen Seiten permanent wachsam zu sein. Und da gibt es erste Hinweise, also dieses System, wenn das chronisch überfordert und chronisch überaktiviert ist, dann kann es Neurodegeneration begünstigen, also Abbauprozesse im Gehirn können beschleunigt werden. Aber da das System erst seit zehn Jahren bekannt ist, wird die Forschung in den nächsten Jahren da massiv noch neue Daten bringen."
Erste Studien zeigen allerdings, dass Versuchspersonen, die einem Unruhe-Stress über längere Zeit ausgesetzt waren, sich danach auf konkrete Aufgaben schlecht konzentrieren konnten und ineffizient arbeiteten. Gleichzeitig geht bei der zunehmenden Zahl von befristeten Arbeitsverhältnissen, den "McJobs", die innere Bindung an den Arbeitsplatz verloren. Neurobiologisch betrachtet, erläutert Joachim Bauer, bedeute dies, dass weder das Motivation- noch das Empathie-System Anknüpfungspunkte fänden. Es kommt zur emotionalen Erschöpfung. Immer weniger Menschen sehen noch einen Sinn in ihrer Arbeit. Und auch dies, das Sinnbedürfnis, sei jüngerer Forschung zufolge ein - von der Wissenschaft selbst lange geleugnetes - neurobiologisches Grundbedürfnis."
Joachim Bauer:
"Unser Gehirn will Zusammenhänge herstellen. Und wenn wir fragen, was ist eigentlich Sinn? Dann werden wir feststellen: Sinn ist eigentlich, dass Dinge zusammenhängen, ursächlich oder in irgendeiner Weise miteinander harmonieren. Und genau das ist, was unser Gehirn will. Das heißt, wir wollen Arbeit leisten, wo hinterher etwas rauskommt, was Sinn macht. Was anderen Menschen oder mir zum Beispiel selbst hilft zu leben. Oder was schön ist. Der Musiker konzertiert, und sein Sinn ist, dass die Zuhörer sich an seiner Musik erfreuen und der Arbeiter, der am Band arbeitet und einen Motorblock in einem Autowerk bearbeitet, dessen Sinn ist es, hinterher zu sehen, dass aus dem Teilstück an dem er mitgearbeitet hat, ein funktionierendes Fahrzeug entstehen kann."
Joachim Bauer beschreibt die komplexen Zusammenhänge in seinem Buch sehr anschau-lich. Jeweils ein ganzes Kapitel widmet er der Burn-out-Forschung und Statistiken zur Arbeitswelt. Ausführlich zeichnet er die Entstehungsgeschichte des Begriffs "Arbeit" nach. Die Philosophin Hannah Arendt kommt mit ihrem Ansatz seiner eigenen Auffassung am nächsten:
Joachim Bauer:
"Die gesagt hat: Die Arbeit soll etwas sein, was nah am Menschen ist, also was unseren Bedürfnissen dienen soll. Sowohl natürlich unseren Basisbedürfnissen des Überlebens, aber auch so dem Bedürfnis der sozialen Verbundenheit oder dem Bedürfnis der Kreativität und des künstlerischen Ausdrucks. Die Wissenschaft auch. Also die Neugier des Menschen ist ja auch etwas, was die Arbeit motiviert. "
Die wissenschaftliche Forschung hat auch bewiesen, dass jeder Mensch Stress sehr individuell empfindet. Deshalb plädiert Joachim Bauer nicht nur an die Verantwortlichen in den Chefetagen, menschenwürdige Arbeitsbedingungen zu schaffen: Er appelliert auch an die Selbstverantwortung jedes Einzelnen.
Joachim Bauer:
"Dass wir den Sinn und die Sensibilität uns bewahren, dass es jenseits der Arbeit noch wertvolle Dinge gibt, die das Leben wert machen zu leben. Also das Träumen, das Sinnie-ren, das Schauen, das Hören, das Sprechen mit Freunden, die Musik, der Sport, die Be-gegnung mit der Natur. x lauter Dinge, die eigentlich, wenn Sie so wollen, zwecklos sind - die aber Freude machen können. Und diesen Bereich des Lebens jenseits der Arbeit - den sollten wir uns nicht platt machen lassen."
Joachim Bauer:
Arbeit. Warum unser Glück von ihr abhängt und wie sie uns krank macht, Blessing Ver-lag, 270 Seiten, 19.99 Euro