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Publizist Christoph Schwennicke
"Angela Merkel ist im Prinzip ohnmächtig"

Die Bundesrepublik befinde sich in einem Machtvakuum, sagte der Publizist Christoph Schwennicke im Dlf, das habe sich auch am Chaos um die "Osterruhe" gezeigt. Bundeskanzlerin Angela Merkel werde ihre Macht nicht mehr neu festigen können, erst die Bundestagswahl könne das "Machtdurcheinander" beenden.

Christoph Schwennicke im Gespräch mit Silvia Engels |
Angela Merkel
Bundeskanzlerin Angela Merkel hätte in den vergangenen 15 Jahren etwas Selbstkritik gut getan, sagte Christoph Schwennicke im Interview (picture alliance/ASSOCIATED PRESS/Markus Schreiber)
Die Bund-Länder-Runde hatte "Ruhetage" über Ostern vereinbart, diesen Plan dann aber am Folgetag wieder gekippt. Bundeskanzlerin Angela Merkel übernahm die Verantwortung für diese Kehrtwende und entschuldigte sich für die Verwirrungen. In den Bund-Länder-Beratungen habe offensichtlich ein Korrektiv gefehlt, sagte der Publizist Christoph Schwennicke im Dlf. Niemand sei in der Lage gewesen, die Maßnahme noch in der Beratung in Frage zu stellen. Das Fehlen eines Korrektivs sei ein "klassisches Merkmal eines Machtsystems in der Spätphase."
In einer solchen Spätphase, in einem Machtvakuum, befinde sich die Bundesrepublik gerade. Dass Merkel nicht erneut als Bundeskanzlerin kandidieren wird und dass sie den Parteivorsitz nicht mehr inne hat, schwäche ihre Position enorm. Doch niemand könne das Vakuum komplett füllen, Armin Laschet sei zwar nun Parteichef, aber die Kanzlerin sei ja auch noch da. "Wir haben hier ein Machtdurcheinander, das einfach nicht gut ist", sagte Schwennicke, der bis vor kurzem Chefredakteur des politischen Magazins Cicero gewesen ist und als Kenner der Union gilt.
Olaf Scholz (SPD), Bundesfinanzminister
Kehrtwende bei "Osterruhe" - Scholz (SPD): Mehr Verständigung vor Bund-Länder-Runden nötig
Bundeskanzlerin Angela Merkel verdiene Respekt für ihre Entschuldigung zur Verwirrung um die "Osterruhe", sagte Bundesfinanzminister und SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz im Dlf. Die Kehrtwende zeige kein Problem des Föderalismus, die Beschlüsse müssten aber besser vorbereitet werden.
Vor diesem Hintergrund sei es sehr verständlich, dass Laschet sich so lautstark und kritisch zu Wort melde. Er sei schließlich in der gleichen Situation wie seine Vorgängerin Annegret Kramp-Karrenbauer, die sich nur zwei Jahre als Parteichefin der CDU behaupten konnte. Schwennicke sieht auch klare Anzeichen, dass Laschet als Kanzler kandidieren wird. "Er will unbedingt", sagte Schwennicke und werde CSU-Parteichef Markus Söder nicht das Feld überlassen.

Das vollständige Interview im Wortlaut:
Silvia Engels: Bundeskanzlerin Merkel – Sie haben es auch gerade noch mal mitgehört – versucht, nun nach vorn zu blicken und im Kampf gegen das Virus die Länder, die Firmen, die EU, alle stärker in die Pflicht zu nehmen. Ist dieser Befreiungsschlag gelungen?
Christoph Schwennicke: Es war jedenfalls richtig, was sie gemacht hat, aber es ist natürlich lange nicht hinreichend. Erstens habe ich mich gestern ein wenig gewundert über diese einhelligen und sehr großdimensionierten Respektsbekundungen für ihr Eingeständnis eines Fehlers. Ich fand eher, dass das deutlich gemacht hat, wenn jemand nach 15 oder mehr als 15 Jahren zum ersten Mal einen Fehler einräumt, dann macht dies das Defizit klar, was in den letzten 15 Jahren vielleicht an der einen oder anderen Stelle auch mal ganz gut getan hätte, nämlich ein bisschen Selbstkritik wäre vielleicht da auch vorher schon mal gut gewesen in anderen Fragen.
Der Journalist Christoph Schwennicke
Journalist Christoph Schwennicke (picture alliance/dpa/Horst Galuschka)
Aber jetzt ist dieser Fehler passiert und sie hat sich dafür entschuldigt. Dass sie zum ersten Mal zu diesem letzten Mittel der Wahl greift, zeigt natürlich, welche Dimension dieser Fehler hatte, was das für eine geistige Fehlleistung war, einfach einen Feiertag mehr da einzurichten und irgendwann früh morgens auf diese Idee zu kommen und die dann auch noch zu beschließen und am nächsten Tag erkennen zu müssen, dass das überhaupt nicht umsetzbar ist.

"Merkel ist längst nicht mehr in vollem Besitz ihrer Macht"

Engels: Gegen diesen Oster-Lockdown, der nicht umsetzbar war, hatte es ja auch ganz offen Kritik in der Unions-Bundestagsfraktion an ihr gegeben, was ja auch selten vorkommt. Wenn Sie nun in die Union hineinhören, ist es der Kanzlerin gelungen, das wieder komplett einzufangen, zu dämpfen?
Schwennicke: Nein, das wird ihr auch nicht mehr gelingen, Frau Engels. Denn mein eigentlicher Respekt gebührt Frau Merkel dafür, wie lange sie kaschieren konnte, auch in dieser Corona-Zeit, dass sie längst nicht mehr in vollem Besitz ihrer Macht ist, dass sie im Prinzip ohnmächtig ist, und das hat zwei Gründe.
Einmal strukturelle, weil der Seuchenschutz und Katastrophenschutz Ländersache ist. Das ist eine Gegebenheit, mit der muss sie immer umgehen. Aber der Umstand, dass sie vor drei Jahren gesagt hat, ich höre auf als Kanzlerin mit Ablauf dieser Legislaturperiode, und der Umstand, dass sie den Parteivorsitz dann nach der Hessen-Wahl auch schon abgegeben hat, hat ihr Instrumente aus der Hand genommen, wie sie ihre Macht auch hätte ausüben können, trotz dieser Gegebenheit, dass die Länder das Sagen haben beim Seuchenschutz, weil sie natürlich dann als Parteichefin auch Druck auf Parteikollegen ausüben kann. All das hat sie nicht mehr und deswegen war meine Bewunderung eher in den letzten Monaten die, wie stark sie diesen Umstand kaschieren konnte oder wie lange sie diesen Umstand kaschieren konnte, der jetzt allerdings ganz offensichtlich ist.

"Ein Machtdurcheinander, das einfach nicht gut ist"

Engels: Wenn ich Sie richtig verstehe, glauben Sie auch nicht, dass Sie diese Führungsstärke noch einmal zurückgewinnen kann, bis September oder möglicherweise darüber hinaus, denn bis eine neue Regierung im Amt ist, wird es ja dauern? Das heißt, wir laufen jetzt in eine Art Führungsvakuum hinein? Auch wenn die Kanzlerin nicht gestürzt wird, sie kann sich ja sicher sein, dass Union und SPD sie nicht attackieren.
Schwennicke: Ja, wir sind mitten drin in diesem Vakuum, das Sie gerade beschreiben, und das wird mutmaßlich noch andauern bis zur Bundestagswahl. Dieses Vakuum ist in Wahrheit schon lange angelegt gewesen und manifestiert sich jetzt. Da muss man wirklich nicht Machiavelli dafür gelesen haben, um zu wissen, warum kein Regierungschef je vor ihr diesen Schritt so getan hat, wie sie ihn gewählt hat. Das hat ihr einerseits damals auch großen Respekt gebracht, denn es bringt ja ihre Partei auch nicht zuletzt um den sogenannten Kanzlerbonus bei der Bundestagswahl. Das ist schon auch eine große Konzession.
Bundeskanzlerin Angela Merkel bittet um Verzeihung wegen der Kurskorrektur bei der "Osterruhe"
Merkel und die Corona-"Osterruhe" - Politologin: Schnelle Kurskorrektur stellt Vertrauen nicht wieder her
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat angekündigt, die "Osterruhe" in der Coronakrise wieder zurückzunehmen. Es sei gut, wenn man Fehler frühzeitig wieder korrigiere, sagte die Politikwissenschaftlerin Andrea Römmele im Dlf. Aber das Vertrauen der Bürger in die Regierung sei "nachhaltig beschädigt".
Aber sie hat sich damit um die Möglichkeit gebracht, die Fäden weiter in der Hand zu haben. Die hat sie nicht mehr in der Hand und ich kann Herrn Laschet, offen gestanden, ganz gut verstehen, dass er jetzt hier sich so lautstark kritisch zu Wort meldet, weil er ist in genau der gleichen Situation, wie es Annegret Kramp-Karrenbauer, seine Vorgängerin als Parteichefin, auch schon war. Er hat zwar die Parteimacht, aber zugleich ist die Kanzlerin noch da, die aber die wirkliche Macht auch nicht mehr hat. Wir haben hier ein Machtdurcheinander, das einfach nicht gut ist, und Sie sehen das ja an den Umfragen auch, wie die Union da nun wirklich im freien Fall im Augenblick ist. Ich sehe, offen gestanden, nicht, wie das so leicht wieder aufzufangen sein wird.

"Osterruhe": "Da hat offensichtlich ein Korrektiv gefehlt"

Engels: Sie haben den Namen Armin Laschet schon genannt. Der hat ja nun zusätzlich das Problem, dass er diesen gescheiterten Oster-Lockdown auch mit entschieden hat. Wird das nun seine Rolle innerhalb der Union weiter schwächen?
Schwennicke: Er ist in einer schweren Situation. Er ist nun ohnehin nicht derjenige, der dieses Auftreten hat des Markus Söder, der dieses "hoppla, jetzt komme ich" hat. Er ist da eher etwas zurückgenommener. Noch mal: Strukturell ist er in der gleichen Situation wie Annegret Kramp-Karrenbauer auch als Parteichefin. Er ist zugleich Regierungschef eines Bundeslandes, muss dort für seine Politik auch geradestehen. Und natürlich: Er muss sich auch ankreiden lassen, an diesem – es tut mir leid, das so deutlich formulieren zu müssen – Unsinn, der da irgendwann früh morgens oder mitten in der Nacht beschlossen wurde, beteiligt gewesen zu sein.
Das ist aber übrigens auch ein klassisches Merkmal eines Machtsystems in der Spätphase, dass es kein Korrektiv mehr gibt, dass die Leute nicht mehr imstande sind, dann zu sagen, Moment mal, Frau Merkel, das hört sich jetzt erst mal nur gut an, aber das ist gar nicht umsetzbar. Das ist immer so in langen Machtphasen, dass da das Korrektiv am Ende fehlt, und das hat hier offensichtlich auch gefehlt.
Engels: Die stellvertretende CDU-Fraktionsvorsitzende Gitta Connemann meldet sich heute in der Osnabrücker Zeitung zu Wort. Sie nennt explizit ein Verlangen, mehr Führung von Armin Laschet. Es braucht einen klaren Kurs. – Ist das die Strategie, die er jetzt einschlagen sollte?
Schwennicke: Ja! Ich verstehe das sehr gut, was Frau Connemann da einfordert. Allein es ist in dieser Konstruktion so ohne weiteres nicht durchzusetzen. Die einzige theoretische Möglichkeit wäre, dass Frau Merkel den Staffelstab als Kanzlerin doch vorzeitig an Herrn Laschet abgibt. Aber ich sage noch mal: Das scheint mehr eine theoretische Möglichkeit zu sein. Ansonsten bleibt diese diffuse Machtkonstruktion, die in der Union im Moment gegeben ist, so bestehen bis zur Bundestagswahl. Da sehe ich keine Lösung im Augenblick, außer die – aber die halte ich für theoretisch.
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Zu Beginn der Pandemie ist deutschen Medien vorgeworfen worden, zu unkritisch mit der Politik umzugehen. Anfangs sei die Debatte nicht so politisch geführt worden, sagte Melissa Eddy, die Deutschland-Korrespondentin der "New York Times" im Dlf. Nun aber habe es einen Wandel gegeben.
Engels: Die ist ja auch kaum umsetzbar, weil die SPD doch wahrscheinlich keinen Kanzler Laschet wählen würde.
Schwennicke: Ja, das ist ein guter Einwand. Das ist ein weiterer Grund, warum es dazu mit einiger Sicherheit nicht kommen wird. Außerdem habe ich über all die Jahre Frau Merkel so kennengelernt – und das passt ja auch dazu, dass sie jetzt erstmals nach fast 16 Jahren einen Fehler eingeräumt hat –, wenn sie sich einmal zu etwas entschieden hat, dann bleibt sie dabei, außer es kommt Fukushima. Aber ansonsten bleibt sie dabei und wird daran festhalten, und ich glaube deswegen nicht, dass sie sich der Idee auch nur im entferntesten öffnen würde, doch vorzeitig zu übergeben.

"Ich rechne fest mit einem Kanzlerkandidaten Armin Laschet"

Engels: Und was bedeutet das alles für das Kanzlerkandidaten-Rennen zwischen Laschet und Söder?
Schwennicke: Ich wage mich weit vor, Frau Engels. Ich halte dieses Rennen ohnehin für gelaufen, denn Armin Laschet will, und mein fester Eindruck ist, er will unbedingt. Dann wird er es auch werden. Denn Herr Söder steht der kleineren Schwesterpartei vor. Er hat nur dann die Chance, wenn Armin Laschet ihm die Kanzlerkandidatur konzedieren würde. Das war zweimal in der Geschichte der Union der Fall. Aber beide Male, sowohl bei Ernst Albrecht als auch bei Angela Merkel, hatten CDU-Granden den beiden vorher signalisiert, wir favorisieren den CSU-Kandidaten, und dann ist es so gekommen. Das ist hier aber nicht der Fall und deswegen rechne ich fest mit einem Kanzlerkandidaten Armin Laschet.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.