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Publizist Rafael Seligmann
"Juden als Partner einer offenen Gesellschaft begreifen"

Am 22. Dezember beginnt in diesem Jahr das jüdische Chanukka-Fest. Jüdische Kultur sei jedoch nicht Bestandteil des Alltags in Deutschland, sagte der in Israel geborene deutsche Publizist Rafael Seligmann im Dlf. Das "Trauma des Holocaust" stelle sich zwischen das Zusammenleben von Juden und Deutschen.

Rafael Seligmann im Gespräch mit Manfred Götzke |
Der Publizist Rafael Seligmann
Der Publizist Rafael Seligmann (Imago)
Seligmann stimmte der Diagnose zu, dass man in Deutschland jüdisches Leben zu stark unter dem Gesichtspunkt des Antisemitismus beleuchte. Dabei sei das Judentum an sich ein positiver Wert, der gewürdigt werden solle. "Juden gehören einfach zu diesem Land", sagte Seligmann. "Das waren nicht nur Einstein und Liebermann. Das waren die Schneider, sogar Bauern und einfach die Nachbarn. Juden sind Teil der deutschen Kultur, des deutschen Lebens und der deutschen Gesellschaft." Dies müsse "den Leuten in den Kopf gehen: Dass das nicht eine kleine verfolgte Minderheit ist, sondern ein Teil ihrer eigenen Geschichte und Gesellschaft."
"Auschwitz war kein Vogelschiss"
Heute stelle sich das "Trauma des Holocaust" zwischen das Zusammenleben von Juden und Deutschen, sagte Seligmann. Man sehe die Juden als Opfer an. "Ich möchte es dahin führen, dass man die Juden als Partner einer offenen, menschlichen Gesellschaft begreift." Dazu müsse man Gespräche führen und Ideen austauschen, müsse erklären, was Judentum sei. So komme man zusammen und lerne sich besser kennen - nicht indem man mit Auschwitz beginne. Man dürfe Auschwitz nicht vergessen, es sei ein Teil der deutsch-jüdischen Geschichte - "kein Vogelschiss". Aber das Entscheidende ist das, was uns verbindet", so der Schriftsteller.
Bezogen auf den zunehmenden Antisemitismus in Deutschland sieht Seligmann ein doppeltes Versäumnis. Einerseits gebe es Gesetze gegen Volksverhetzung. Diese müsse man respektieren und notfalls deren Einhaltung erzwingen. Zum anderen müsse man aber auf die gegenseitigen Werte hinweisen. Vor allem in der Schule dürfe man sich bei der Behandlung jüdischer Geschichte nicht darauf konzentrieren zu sagen, der Holocaust sei furchtbar gewesen. Man wisse, er sei "ein oder das Menschheitsverbrechen". Entscheidend sei aber, dass das Leben weitergehe, sagte Seligmann. Man müsse zusammenleben. Diejenigen, die dieses Zusammenleben gefährdeten, müssten "zur Ordnung gerufen werden. Die dürfen nicht das Sagen haben. Die dürfen nicht die Diskussion bestimmen. Und sie dürfen nicht unsere Gesellschaft vergiften." Demgegenüber müsse man "die human Werte unserer Gesellschaft durchsetzen". Dadurch würde der Antisemitismus von selbst abnehmen.
AfD verhindern
Bezogen auf die Aussage des Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland, Schuster, er würde das Land verlassen, wenn die AfD an die Regierung käme, sagte Seligmann: "Wir müssen dafür sorgen, dass das nicht passiert." In Sachsen-Anhalt sehe man, dass es die Überlegung gebe, sich von der AfD tolerieren zu lassen. Dagegen "muss man jetzt auftreten." Seligmann sagte, 1928 habe die NSDAP 2,6 Prozent erlangt. Zwei Jahre später, 1930, habe sie 18,3 Prozent erreicht. Das sei weniger, als die AfD heute in Brandenburg erreichte habe und wesentlich weniger als in Sachsen. Dem müsse man entgegentreten, indem man den Menschen eine gerechte, soziale und humane Gesellschaft anbiete. Das sei wirksamer als Verbote und wirksamer als "zu spekulieren, was Herr Schuster täte, wenn".