Mit einer weiteren Provokation markiert Donald Trump den Höhepunkt und den Abschluss des viertägigen Parteitages seiner Republikaner. Seine Nominierungsrede hält er im Garten vor dem Weißen Haus. Dabei ist der Amtssitz des Präsidenten eigentlich im Wahlkampf Tabu. Vor ihm 1500 jubelnde Zuschauer und Zuschauerinnen auf Klappstühlen, eng beieinander, meist ohne Gesichtsmaske. Inhaltlich liefert Trump eine Mischung aus Jubel-Show und apokalyptischer Warnung für den Fall eines Wahlsieges von Joe Biden. Aber auch für die Demokraten ist Donald Trump das Hauptthema im Wahlkampf. Das ist nach Auffassung des langjährigen Tagesspiegel-Korrespondenten in den USA und Publizisten Christoph von Marshall nicht ohne Risiko.
Jasper Barenberg: Welchen Charakter hatte dieser Auftritt von Präsident Donald Trump Washington in Ihren Augen?
Christoph von Marschall: Wir haben jetzt zwei Parteitage hinter uns, die auf eine bestimmte Art eigentlich genau dieselbe Botschaft haben. Es geht nicht mehr um politische Programme, es geht nicht um Ziele, es geht nicht um Steuern, nicht um Soziales, um gar nichts; es geht nur noch um eine Person, und das ist Donald Trump.
Die Demokraten haben gesagt, das ist eine Frage von Helligkeit, Licht oder Dunkel, von Gerechtigkeit oder nicht, von böse und gut. Richtig existenziell wird das aufgeladen. Trump muss raus aus dem Weißen Haus.
Die Republikaner und Trump machen das genauso. Es geht nur noch um Donald Trump. Entweder ihr seid für ihn, oder gegen ihn. Alles Weitere spielt keine große Rolle und was tatsächlich Fakt in Amerika ist, spielt sowieso keine mehr. Corona ist fast vergessen, die Kriminalität wird nur instrumentalisiert, benutzt von den Demokraten als Beweis für die Ungerechtigkeiten in Amerika, von Trump als Beweis dafür, dass die Demokraten nur noch Chaos in Amerika haben wollen.
"Riskantes Konzept für die Demokraten"
Barenberg: Was wir gerade von Donald Trump gehöret haben und was Sie noch mal in Erinnerung gerufen haben von den Demokraten bedeutet: Beide Seiten geben sich da nichts. Beide setzen auf einen Wahlkampf der Angst?
von Marschall: Ja! Und man muss nur noch mal klarmachen, wie anders das ist als ein Wahlkampf, den wir gewohnt sind. Früher bei Barack Obama ging es für oder gegen eine allgemeine Krankenversicherung, für mehr Kompromisse in der Wirtschaftspolitik ja oder nein, und in der Außenpolitik auch, ob man mehr mit seinen Partnern zusammenarbeitet, oder ob mehr Härte gefragt ist.
In diesem Wahlkampf 2020 sind all solche wirklich politischen Fragen, um die es doch eigentlich gehen müsste in einem Wahlkampf – zwei Lager haben unterschiedliche politische Konzepte -, das ist alles völlig an die Seite gerückt worden und es ist nur noch ein Wahlkampf für oder gegen Donald Trump, und das ist natürlich auch ein sehr riskantes Konzept für die Demokraten.
Barenberg: Ist das in gewisser Weise auch zwangsläufig das Ergebnis einer so gespaltenen, so polarisierten Gesellschaft, so aufgeheizten Stimmung?
von Marschall: Ja! So hat Trump Politik betrieben. Man muss nun nicht behaupten, dass es unter Barack Obama diese Lagerspaltung nicht gegeben hätte. Seit Jahren wird in Amerika von den Demokraten Wahlkampf geführt, dass man die Spaltung überwinden müsse, aber es ist niemandem gelungen. Die Spaltung wird immer tiefer.
Aber sie ist jetzt auf einmal nicht nur an politischen Identitäten festgemacht, sondern an der einzigen Person des Präsidenten, und das ist diese enorme Aufladung und das ist aus zwei Gründen riskant. Die Polarisierung nützt in der Regel den Polarisierern.
Das ist Trumps Konzept schon die ganze Zeit gewesen. Er kann ja nicht sicher sein, dass er mit sich, seiner Programmatik und seiner Bilanz seiner Präsidentschaft, Corona plus den Wirtschaftseinbruch, dass er damit die Wahl gewinnt. Er kann die Chancen für eine zweite Amtszeit nur erhöhen, indem er sagt, hier bin ich, das sind die anderen, es ist eine Wahl zwischen Gut und Böse, Licht und Dunkel, so wie das aber die Demokraten auch gemacht haben.
Barenberg: Nun leben wir in einer Zeit, in der gerade wieder ein Schwarzer in Wisconsin von weißen Polizisten getötet* wurde, Jacob Blake in Kenosha [*Anm. d. Red.: Jacob Blake wurde nicht getötet, sondern liegt schwer verletzt im Krankenhaus]. Es gibt Proteste danach, es gibt Ausschreitungen, es gibt inzwischen einen 17-jährigen Milizionär, der zwei Männer getötet hat. Wirft das ein Schlaglicht auf die Atmosphäre und die aufgeheizte gesellschaftliche Debatte so kurz vor den Wahlen?
von Marschall: Ja, und auch hier sehen Sie wieder dieses reine Schwarz-Weiß-Denken. Wenn Sie sich die Demokraten anschauen und ihre Unterstützer, dann steht im Vordergrund die Polizeigewalt gegen schwarze Jugendliche, und es wird faktisch überhaupt nicht darüber geredet, ob diese Opfer von Polizeigewalt - und natürlich sind das skandalöse Szenen, die wir da sehen; ich will da nichts verharmlosen - aber man muss einfach mal sagen: Wenn man sich zum Teil die Opfer anschaut, das sind ja keine Unschuldslämmer, sondern das sind Leute, die selber zum Teil gegen Gesetze verstoßen haben, selbst Gewalt gegen Polizisten angewendet haben. Das spielt bei den Demokraten überhaupt keine Rolle. Es geht nur um die Ungerechtigkeit.
Bei Trump ist es umgekehrt. Trump möchte nur das Chaos in den Straßen, die brennenden Geschäfte, über die Plünderungen reden, die es ja auch gibt, die aber bei den Demokraten keine Rolle spielen, und Trump redet kein Wort über die Opfer der Polizeigewalt. Sie haben zwei völlig unterschiedliche Bilder, was sich da abspielt.
Die eine Partei sagt, wir sind ein sehr, sehr ungerechtes System, in dem Schwarze diskriminiert werden und immer wieder Opfer von Polizeigewalt werden, und die andere Seite sagt, da gibt es zwar vielleicht ein paar Probleme mit Zwischenfällen, aber schaut euch doch an, was hinterher ist. Da ist diese Black Lives Matter Bewegung, dann brennen die Straßen, dann werden Geschäfte geplündert. Wollt ihr dieses Amerika! Und dass man kein bisschen die Sichtweise des anderen Lagers auch nur einbezieht und anerkennt, das zeigt den Grad der Lagerspaltung in den Vereinigten Staaten.
"Trump steht mit dem Rücken zur Wand"
Barenberg: Nun sind Vorhersagen und Umfragen nach den Erfahrungen von 2016 ja immer mit Vorsicht zu genießen. Aber die Umfragen zeigen im Moment einen stetigen Trend, wonach Trump hinter Biden liegt – in verschiedenen Umfragen. Wie sehr steht er denn mit dem Rücken zur Wand?
von Marschall: Trump steht mit dem Rücken zur Wand und natürlich müssen wir vorsichtig sein wegen der Erfahrungen mit 2016, wo zu wenige seinen Wahlsieg haben kommen sehen. Donald Trump muss die Stimmung ändern. Es ist im Moment so, dass relativ stabil seit Wochen, man kann schon fast sagen Monaten Joe Biden im Schnitt der Umfragen mit sieben, acht Prozentpunkten führt, landesweit.
Und was noch wichtiger ist, wenn man in diese sechs, sieben sogenannten Swing States schaut, die mal so, mal so abstimmen und am Ende die Wahl entscheiden in diesen 50 Bundesstaaten. Wo kann sich was verändern? Dann sind auch diese wahlentscheidenden Swing States, auch da hat Joe Biden in der Regel einen Vorsprung, und zwar einen Vorsprung, der über die reine Fehlerquote von Umfragen, drei, vier Prozentpunkte hinausgeht.
Insofern muss man sagen: Wenn sich nichts ändert und die Umfragen nicht völlig falsch liegen, dann würde im Moment Joe Biden die Wahl gewinnen. Und Trump muss diese Stimmung wenden und ich sehe noch vier Möglichkeiten, wie das passieren kann.
Aus eigener Kraft schafft er es nicht, aber es können ihm Dinge zur Hilfe kommen. Wenn der Eindruck entsteht, Corona ist vorbei – den Eindruck hat er ja versucht, gestern zu erwecken. Da macht er eine Versammlung vorm Weißen Haus, er ohne Masken, die meisten Leute, die er eingeladen hat, kommen ohne Masken. Corona ist vorbei – wenn der Eindruck sich festsetzt, gut für Trump.
Wenn die Wirtschaft wieder anzieht, die im Moment in einer tiefen Krise ist – es sind ja Millionen Amerikaner arbeitslos durch die auf Corona folgende Wirtschaftskrise -, wenn sich der Eindruck festsetzt, oh, wir sind zwar noch ein bisschen im Tal, aber wir sind gerade dabei, aus dem Tal rauszukommen, gut für Trump.
Wenn die Gewalt weitergeht und wenn es weiter im Fernsehen Bilder gibt von brennenden Geschäften, geplünderten Geschäften, von Straßengewalt, das nützt Trump, und das wird, glaube ich, in Deutschland unterschätzt, weil wir aus guten Gründen sehr viel Empathie für die Black Lives Matter Bewegung haben. Die muss man auch haben, weil sie Opfer sind, aber diese Überreaktion, muss man einfach sehr nüchtern feststellen: Gewalt nützt Trump, dann stellt er sich als Law and Order Mann dar.
Und natürlich kann sein, dass Joe Biden einfach mit seinem Alter bei den drei Fernsehdebatten schwach wirkt wie ein alter Mann, der keine Energie hat, und Trump ist voller Energie. Diese vier Dinge können den Unterschied ausmachen. Es ist noch möglich, dass sich die Stimmung ändert, aber derzeit läuft die Stimmung gegen Trump.
Barenberg: Rechnen Sie, Frage zum Schluss mit der Bitte um eine kurze Antwort, nach den ganzen Mutmaßungen und Androhungen von Manipulationen, rechnen Sie so oder so mit einer Hängepartie?
von Marschall: Jein. Das Beste gegen eine Hängepartie wäre ein überzeugendes Wahlergebnis. Entweder ein hoher Sieg von Biden; dann ist es schwer, Zweifel daran zu wecken. Oder Trump wird relativ überzeugend wiedergewählt; dann werden die Demokraten jedenfalls keine Einsprüche wegen Wahlmanipulation erheben.
Barenberg: Aber wenn es eng wird, dann könnte es auch lang dauern.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.