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Puchers "Perser"

Das Stück "Die Perser" gilt als älteste erhaltene Tragödie der Weltliteratur und ist oft als Anti-Kriegs-Drama missverstanden worden. Es schildert die Schlacht zwischen Griechen und Persern 480 vor Christus. Regisseur Stefan Pucher, der bereits durch seine poppig bunte und überaus deutlich auf das heutige Amerika zielende Inszenierung der Orestie aufgefallen ist, inszeniert nun die Aischylos-Tragödie am Schauspiel Zürich.

Von Karin Fischer |
    Die Bühne zeigt das Innere eines Palastes und ist durch den achteckigen Formenkanon persischer Ornamentik bestimmt. Dass Barbara Ehnes hier Palast und Thron Saddam Husseins nachgebaut hat, erfährt man durch die Fotos im Programmheft; präsent hatte man die gruseligen Aufnahmen amerikanischer Soldaten aus dem Inneren einer untergegangenen Diktatur nicht mehr. Doch das Design steht für den intelligenten Umgang Stefan Puchers mit Versatzstücken aus der Wirklichkeit, die diesmal nicht offensichtlich und oberflächlich, sondern verrätselt und damit verallgemeinerbar montiert sind.

    Natürlich gibt es wieder Videos, die zumeist in Schwarz-Weiss düstere Bilder in der Art von Menetekeln an die Wand werfen. Und wie diese fordert die ganze Inszenierung die Gabe des zweiten Blicks. Atossa, die Mutter des kriegführenden Xerxes, sieht aus wie Farah Dibah, doch Catrin Striebeck spielt sie als Machtpolitikerin, die wie George W. Bush in der Lage ist zu fragen: "Wo, um Himmels willen, liegt dieses Athen?" Persien unter Atossas Mann Dareius war um 500 vor Christus nämlich das Grossreich der westlichen Hemisphäre, reichte von den östlichsten Ausläufern Griechenlands bis Indien und umfasste Hunderte von Völkerschaften. Ein nicht geringer Teil der Tragödie besteht darin, zuerst diese Völker und dann, später, deren gefallene Heerführer aufzusagen. Pierre Cornu, der alleine den "Chor der Ältesten" vertritt, klingt dabei von Anfang an wie bei der Verlesung von Opfernamen.

    Die Perser sind also einerseits die Bösen, die aus Rache für eine verlorene Schlacht bei Marathon zehn Jahre zuvor mit tausend Kriegsschiffen mal eben das demokratisch verfasste "Kleinvolk" der Griechen herausfordern. Andererseits ist es der siegreiche Grieche, der hier seinen Landsleuten das Leid der Verlierer schrecklich und als kaum enden wollende Klage vor Augen stellt.

    Stefan Pucher macht sich diese Verkehrung der Perspektive zunutze, um - mithilfe der Übersetzung von Durs Grünbein - auch unsere Auffassung von Gut und Böse etwas durcheinander zu bringen. Robert Hunger-Bühler als Dareius ist ein wenig sympathischer persischer Potentat mit Sonnenbrille, Oliver Masucci als sein Sohn Xerxes ein glatzköpfiger Möchtegern-Feldherr, dessen zerfetzte Rüstung immerhin als Blattgold auf der Haut klebt. Im Hintergrund sieht man Raketensprengköpfe, das Selbstbewusstsein dieser Supermacht ist durch Aufrüstung erkauft.

    Aber egal ob jemand mit George W. Bush die Achse des Bösen durch Iran/Irak verlaufen lässt oder den amerikanischen Präsidenten selbst für den andere Völker überrennenden Aggressor hält: Die Klage des Verlierers ergreift. Dieser Mann, Xerxes, der mit einer Fehlentscheidung Tausende Tote und den Untergang des eigenen Imperiums verschuldet hat, bewirkt Mit-Leiden, heute wie vor 2500 Jahren. Aischylos lenkt unseren Blick nicht auf den Krieg, sondern auf dessen Opfer. Ihnen Namen gegeben zu haben, macht seine Modernität aus.