Ein Liebeskampf am Strand, die Wellen rauschen, aus dem Off ertönt der berühmte zweite Satz aus Beethovens siebenter Symphonie und ein junges Mädchen zitiert in tiefster Verzweiflung den Korinther 13, eine der schönsten Bibelstellen überhaupt: "Wenn ich in den Sprachen der Menschen und Engel redete, und hätte die Liebe nicht, wäre ich ein tönernd' Erz ... Die Liebe aber höret niemals auf." Bittere Tränen weint Yoko. Die Kamera zeigt ihr Gesicht in Großaufnahme und es füllt die ganze Leinwand aus.
Kitsch ist das nie, sondern ein erlesen inszenierter, beneidenswert stimmig komponierter Kinomoment, Pathos pur, eine Erfahrung, wie sie im zeitgenössischen Kino weitgehend vergessen scheint. Immer wieder hebt dieser Film einfach ab und reißt alles mit, was sich ihm in den Weg stellt, auch die Reserven des Zuschauers - Kino als unterhaltsame, bewegende Grenzerfahrung.
Die Szene am Strand ist nur eine von gut zwei Dutzend mehr oder weniger atemberaubenden Szenen in "Love Exposure", einem Film des japanischen Regie-Grenzgängers Sono Sion. In diesem Film begegnet man der Zukunft des Kinos.
Eigentlich erzählt Sion eine ganz einfache und überaus eingängige Geschichte. Sie handelt von der Liebe. Boy meets Girl. Eigentlich. Sie sieht nur auf den ersten Blick nicht so aus. Auf den ersten Blick ist "Love Exposure" das reine Chaos. Ein exzentrischer Film, ein wilder undisziplinierter Stilmix. Ganz und gar Pop in Reinform: Ein eklektischer Zusammenfluss von Hochkultur und Trash, erzählt mit viel Lust an Ellipsen und Exkursen, voller Referenzen - musikalisch an Kirchen-Gesänge, Beethoven, oder eine halbe Stunde lang Maurice Ravels berühmten "Bolero".
Des Weiteren begegnet man Heavy-Metal-Rock, japanischer Popmusik; Verweisen auf Kubrick, Bresson, den Yakuza-Mafia-Film und das Martial-Arts-Genre; in der Erzählform zudem stark beeinflusst von japanischen Manga-Comics. Aber auch von Shakespeare.
An den Meister des europäischen Barockdramas muss man schon denken, weil Sion eine Geschlechterverwechslungsgeschichte erzählt: Der 17-jährige Yu verliert eine Wette, muss darum als Frau verkleidet durch Tokio gegen, und begegnet just in diesem Moment seiner gleichaltrigen Liebe Yoko. Beide trifft die Liebe wie ein Schlag - nur denkt sie eben, sie habe sich in eine Frau verliebt.
Von Shakespeares "Macbeth" kennt man auch die drei Hexen, die die Ereignisse durch magische Fernsteuerung ins Rollen bringen, und die Umwertung aller Werte betreiben. Auch sie kommen hier vor, in Gestalt dreier traumatisierter, dem Wahn und Verbrechen verfallener junger Frauen.
Diese Struktur - die gute Liebe gegen das hexenhafte Böse - bildet die Grundstruktur des Films. An ihr entlang geht es unter anderem auch um böse Väter und Femmes Fatales, um Katholizismus und Voyeurismus, Kampfkunst und Romantik, religiöses Sektierertum und libertäre Gesinnung, Sünde und Unschuld, ums Erwachsenwerden und Facetten der Sexualität, vor allem ihre japanischen Spielarten, um eine radikale Terror-Sekte, die keineswegs unbeabsichtigt an die mörderische Aum-Erlösungssekte erinnert, deren sinistre Anschläge die japanische Gesellschaft nachhaltig verstörten. Es gibt also hier auch eine politisch-soziale Ebene voller Zeitbezüge zur japanischen Gegenwartsgesellschaft.
Entscheidend aber bleibt in "Love Exposure" immer die Form, durch die diese Pulp Fiction aus Japan zusammengehalten wird. Eine große Kinooper, obsessiv, nie um Ausgewogenheit oder Zurückhaltung bestrebt. Darin ähnelt Sions Werk aber nur den Filmen von Luis Bunuel oder den Texten von Georges Bataille.
Sions Film dominiert ein barockes Kunstverständnis: Der Film ist voller Ornamente, Manierismen und Perspektivwechsel; Pathos und opulente Sinnlichkeit sind in diesem Werk zentral, das ganz auf jene Zurückhaltung verzichtet, die das europäische Verständnis japanischer Kunst, auch Kinokunst prägt.
Ist das nun, wie man so sagt, "typisch japanisch"? Vielleicht. Aber nur in seinem unbedingten Willen zur Form, dem Wissen, dass man im Kino nur etwas erreicht, wenn man in Bildern erzählt, und den Mut hat, über Grenzen zu gehen. Wie viele seiner japanischen Künstlerkollegen und wie nur wenige Europäer besitzt Sion einen produktiven Wahnsinn, Mut zur Peinlichkeit, wie ungehemmte Lust daran, scheinbar Unpassendes durcheinanderzuwürfeln. "Love Exposure" hat alles. Er ist einfach atemberaubend. Der Film des Jahres.
Kitsch ist das nie, sondern ein erlesen inszenierter, beneidenswert stimmig komponierter Kinomoment, Pathos pur, eine Erfahrung, wie sie im zeitgenössischen Kino weitgehend vergessen scheint. Immer wieder hebt dieser Film einfach ab und reißt alles mit, was sich ihm in den Weg stellt, auch die Reserven des Zuschauers - Kino als unterhaltsame, bewegende Grenzerfahrung.
Die Szene am Strand ist nur eine von gut zwei Dutzend mehr oder weniger atemberaubenden Szenen in "Love Exposure", einem Film des japanischen Regie-Grenzgängers Sono Sion. In diesem Film begegnet man der Zukunft des Kinos.
Eigentlich erzählt Sion eine ganz einfache und überaus eingängige Geschichte. Sie handelt von der Liebe. Boy meets Girl. Eigentlich. Sie sieht nur auf den ersten Blick nicht so aus. Auf den ersten Blick ist "Love Exposure" das reine Chaos. Ein exzentrischer Film, ein wilder undisziplinierter Stilmix. Ganz und gar Pop in Reinform: Ein eklektischer Zusammenfluss von Hochkultur und Trash, erzählt mit viel Lust an Ellipsen und Exkursen, voller Referenzen - musikalisch an Kirchen-Gesänge, Beethoven, oder eine halbe Stunde lang Maurice Ravels berühmten "Bolero".
Des Weiteren begegnet man Heavy-Metal-Rock, japanischer Popmusik; Verweisen auf Kubrick, Bresson, den Yakuza-Mafia-Film und das Martial-Arts-Genre; in der Erzählform zudem stark beeinflusst von japanischen Manga-Comics. Aber auch von Shakespeare.
An den Meister des europäischen Barockdramas muss man schon denken, weil Sion eine Geschlechterverwechslungsgeschichte erzählt: Der 17-jährige Yu verliert eine Wette, muss darum als Frau verkleidet durch Tokio gegen, und begegnet just in diesem Moment seiner gleichaltrigen Liebe Yoko. Beide trifft die Liebe wie ein Schlag - nur denkt sie eben, sie habe sich in eine Frau verliebt.
Von Shakespeares "Macbeth" kennt man auch die drei Hexen, die die Ereignisse durch magische Fernsteuerung ins Rollen bringen, und die Umwertung aller Werte betreiben. Auch sie kommen hier vor, in Gestalt dreier traumatisierter, dem Wahn und Verbrechen verfallener junger Frauen.
Diese Struktur - die gute Liebe gegen das hexenhafte Böse - bildet die Grundstruktur des Films. An ihr entlang geht es unter anderem auch um böse Väter und Femmes Fatales, um Katholizismus und Voyeurismus, Kampfkunst und Romantik, religiöses Sektierertum und libertäre Gesinnung, Sünde und Unschuld, ums Erwachsenwerden und Facetten der Sexualität, vor allem ihre japanischen Spielarten, um eine radikale Terror-Sekte, die keineswegs unbeabsichtigt an die mörderische Aum-Erlösungssekte erinnert, deren sinistre Anschläge die japanische Gesellschaft nachhaltig verstörten. Es gibt also hier auch eine politisch-soziale Ebene voller Zeitbezüge zur japanischen Gegenwartsgesellschaft.
Entscheidend aber bleibt in "Love Exposure" immer die Form, durch die diese Pulp Fiction aus Japan zusammengehalten wird. Eine große Kinooper, obsessiv, nie um Ausgewogenheit oder Zurückhaltung bestrebt. Darin ähnelt Sions Werk aber nur den Filmen von Luis Bunuel oder den Texten von Georges Bataille.
Sions Film dominiert ein barockes Kunstverständnis: Der Film ist voller Ornamente, Manierismen und Perspektivwechsel; Pathos und opulente Sinnlichkeit sind in diesem Werk zentral, das ganz auf jene Zurückhaltung verzichtet, die das europäische Verständnis japanischer Kunst, auch Kinokunst prägt.
Ist das nun, wie man so sagt, "typisch japanisch"? Vielleicht. Aber nur in seinem unbedingten Willen zur Form, dem Wissen, dass man im Kino nur etwas erreicht, wenn man in Bildern erzählt, und den Mut hat, über Grenzen zu gehen. Wie viele seiner japanischen Künstlerkollegen und wie nur wenige Europäer besitzt Sion einen produktiven Wahnsinn, Mut zur Peinlichkeit, wie ungehemmte Lust daran, scheinbar Unpassendes durcheinanderzuwürfeln. "Love Exposure" hat alles. Er ist einfach atemberaubend. Der Film des Jahres.