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Pulverfass Nordkaukasus

Wochen nach dem Geiseldrama von Beslan sind noch immer nicht alle Opfer identifiziert. Schwarz-weiß-Kopien von Fotografien aus Familienalben kleben an Häuserwänden. Sie sollen die Suche derer erleichtern, die immer noch vermisst werden. Fast jede Familie in Beslan ist von der Katastrophe betroffen, in der nordossetischen Kleinstadt ist nichts mehr so, wie es vor dem ersten September war.

Von Sabine Adler |
    Das ist eine tote Stadt, die Leute gehen in Schwarz, sie sind in Trauer.
    Hier herrschen nur noch Bitterkeit und Hass. Wenn eine Familie oder ein Hof vier oder sieben Menschen zu begraben hatte oder wenn sogar ganze Familien ausgelöscht wurden, dann bleiben nur Hass und Rache. Diese Rache fürchte ich am meisten. Aber das ist der Kaukasus.


    Die 40jährige Talina Chazajewa hat ihre Freundin untergehakt. Mit verweinten Augen stehen beide im Sportsaal der Schule, oder dem, was davon noch übrig ist. Das Dach der Halle ist komplett abgedeckt, den Fenstern fehlen nicht nur die Scheiben, sondern häufig auch die Rahmen. Die Sprossenwand ist verkohlt, von den Basketballkörben, an denen die Sprengsätze hingen, sind nur noch Skelette übrig. Den Holzboden bedecken über und über Vasen voller roter Nelken, Spielzeug, Schulhefte und Wasserflaschen, durch die nur zwei schmale Gassen führen.

    In einem Klassenzimmer stehen drei Frauen. Die eine hält ihren Kummer nicht zurück. Im Kaukasus wird Leid geteilt, alle sollen Anteil nehmen. Die anderen beiden studieren die Wände, an denen es im ganzen Gebäude keinen freien Fleck mehr gibt. Die Aufschriften versprechen ewiges Gedenken, künden vom Entsetzen über das Geschehene. "Hier waren Tiere", steht geschrieben, "Kinder vergebt uns", "Banditen, das Volk hasst euch!". Vor allem aber ist von Rache die Rede: "Wir vergeben und vergessen nicht!"

    Für die trauernden Menschen ist das Gebäude ein wichtiger Anlaufpunkt in ihrem Schmerz. Doch die Stimmen mehren sich, die fordern, die Überreste abzureißen und statt dessen eine Kirche oder zumindest ein Denkmal zu errichten, denn der Anblick des verwüsteten Gebäudes lässt die Menschen nicht zur Ruhe kommen und heizt die Emotionen immer wieder neu an, wie bei Sergej und Ruslan, zwei 18jährigen Freunden.

    Wir haben Wut auf unsere Führung, die das nicht verhindern konnte. Man muss die Schuldigen bestrafen. Soviel Blut kann man nicht verzeihen. Dieses viele Blut kann nur Blut rächen. Zumal die Mehrheit von denen am Leben geblieben ist.

    In der ersten Etage der Stadtverwaltung von Beslan stehen Frauen und Männer vor einer großen Wand mit langen Listen. Weit über eintausend Familiennamen sind darin verzeichnet, alles Menschen, die Anspruch auf Entschädigungen und Hilfsleistungen haben. Mairbek Tuajew ist der Leiter des Gesellschaftlichen Rates, eine Opferinitiative, die gemeinschaftlich die Verteilung der Gelder und Hilfsgüter organisiert. Er selbst hat bei dem Drama eine seiner Zwillingstöchter verloren. 15 Jahre alt war das Mädchen. Der Vater, Kaufmann von Beruf, lässt an Russlands Präsidenten Wladimir Putin kein gutes Haar.

    Hier sind 330 Menschen ums Leben gekommen und der russische Präsident entlässt nicht einen Verantwortlichen aus den Sicherheitsministerien, nicht den Chef des Geheimdienstes Patruschew, nicht Nurgalijew, den Innenminister, die es im Verlauf der drei Tage nicht geschafft haben, hierher zu kommen. Wenn sie hier gewesen wären, hätten die Menschen hier vielleicht eine anderes Verhältnis zu ihnen.

    Den Soldaten der Spezialeinheiten "Alfa" und "Wympel", die ihr Leben aufs Spiel setzten, um so viele Kinder wie möglich lebend zu bergen, macht er keine Vorwürfe. Der Einsatzleitung dagegen schon.

    Die Stabs-Chefs hätten sich nur einmal zur Schule begeben sollen, um zu schauen, welche Maßnahmen man für den Fall der Fälle ergreifen muss. Aber sie blieben im Gebäude der Stadtverwaltung sitzen. Sie hätten MG- oder MPi-Schützen in den Häusern nebenan postieren können, um notfalls einzugreifen. Als es zum Beispiel zu der ersten Explosion in der Turnhalle kam, hätten sie feuern müssen, um die Aufmerksamkeit weg von den Kindern auf ein anderes Ziel zu lenken. Das hätte viel mehr Jungen und Mädchen das Leben retten können. Und genau das verzeihen die Menschen ihnen nicht, weder dem Innenministerium, noch dem FSB-Geheimdienst, noch sonst jemandem von ihnen.

    Nach rund zwei Monaten ist noch immer kein Schuldiger gefunden. Viele Männern von Beslan sind drauf und dran, sie selbst zu suchen und auch zu bestrafen. Alexander Dsasochow, Präsident von Nordossetien, weiß um die Gefahr der Selbstjustiz.

    Nach dem 9. September haben überall in der ganzen Republik Bürgerversammlungen stattgefunden, es waren mindestens 300. Auf diesen Versammlungen haben die Älteren und Erfahrenen mit denjenigen gesprochen, die protestiert haben oder in dieser Situation nicht wussten, was weiter zu tun ist. Bei diesen Veranstaltungen waren viele manchmal kurz davor, vor Wut zu explodieren, aber wir setzen diese Arbeit fort und werden jetzt vor allem versuchen, die jungen Leute zu erreichen.

    Aber Männer wie Mairbek Tuajew von der Opferinitiative wollen Taten sehen. Sie vermuten, dass die Schuldigen wie so häufig in Russland nicht benannt werden und die Ergebnisse des Untersuchungsausschusses zum Teil unter Verschluss bleiben, um zum Beispiel die Fehler der Sicherheitsorgane nicht zugeben zu müssen.
    Im Unterschied zum Leiter der Beslaner Opferinitiative haben sich andere bereits auf den Weg gemacht. Sie durchkämmen inguschetische Flüchtlingslager, in denen diejenigen wohnen, die vor 12 Jahren brutal aus dem Land gejagt worden waren. Gesucht werden Inguschen im kampffähigen Alter, also zwischen 20 und 40 Jahren alt. Der muskulöse Magomed Schemal, er ist 24, hat dieser Vorstellung entsprochen.

    Sie sind morgens gekommen und nahmen mich mit. Drei in Zivil, einer in einem Tarnanzug. Sie begannen, mich noch im Auto zu verhören. Ich sollte zugeben, dass ich in Beslan dabei war. Ich sollte gestehen und ein Protokoll unterschreiben. Aber ich war nicht dabei und deshalb habe ich mich geweigert. Da warfen sie mich aus dem Auto und fingen an, mich mit ihren Pistolen zu schlagen und mit Füßen zu treten. Gottseidank haben sie mich nicht zu Tode geprügelt, ich bin immerhin am Leben geblieben. Ich kam ins Krankenhaus und wurde mehrmals operiert.

    Inguschetiens Präsident Murat Sjasikow will nichts von solchen Geschichten hören. Dass jetzt nach dem Ablauf der 40tägigen Trauerfrist Überfälle auf seine winzige Republik drohen, bezweifelt er.

    Es wird keine Überfälle geben und es gibt auch keinen Grund für Überfälle. Das ist verantwortungsloses provokatives Gerede. Wen hätten wir denn überfallen sollen nach den Ereignissen vom Juni? Da waren Terroristen 20 verschiedener Nationalitäten dabei.

    Die Rede ist von den nächtlichen Übergriffen am 11. Juni auf inguschetische Polizeistationen, auf Straßenkontrollposten und Ministerien. 79 Menschen wurden dabei getötet, weit über einhundert Personen verletzt. Unter den Opfern befanden sich der inguschetische Innenminister, mehrere Staatsanwälte, hauptsächlich aber Polizisten und auch Zivilisten.

    Anders als bei den Überfällen im Sommer soll das Geiselkommando von Beslan nicht aus Vertretern vieler unterschiedlicher Nationalitäten bestanden haben, sondern mehrheitlich aus Inguschen. Und auf die richtet sich jetzt der geballte Hass, den Mairbek Tuajew beim Namen nennt.

    Inguschetien sollte sich entschuldigen. Und sie sollten die Banditen herausgeben, die beteiligt waren. Bei uns hier im Kaukasus gibt es eine Tradition. Wenn jemand einen umgebracht hat, dann wird er selbst umgebracht. Wir rächen so etwas. Und wenn man die Blutrache umgehen möchte, dann müssen die Ältesten, auch wenn sie schon kaum noch laufen können, auf Knien in das Haus der Trauernden kommen. Und zwar genau am Tag der Beerdigung. Sie müssen um Vergebung bitten. Nur so können die Familien Frieden schließen. Das ist bei uns so und in Dagestan und in Inguschetien. Im Kaukasus ist das fast überall genauso.

    Das Gesetz der Blutrache hat die Jahrhunderte überdauert und erweist sich bis heute häufig stärker als die russische Gesetzgebung, die diese Form von Vergeltung unter Strafe stellt.

    Inguschetiens Präsident Sjasikow hält die Unterscheidung der Nationalitäten in diesen Tagen für extrem gefährlich. Jetzt nicht Verbrecher, sondern Personen bestimmter Nationalität zu suchen, heize die Stimmung nur weiter an. Deshalb erließ er für sämtliche Staatsbeamte seiner Republik die Order: Terroristen haben keine Nationalität, zumindest soll sie nicht in den Vordergrund gestellt werden. So will er Zwist verhindern.

    Um ein Zeichen zu setzen, hätte sich Sjasikow gern mit seinem nordossetischen Amtskollegen Dsasochow in Wladikawkas in einer gemeinsamen Erklärung an die Menschen gewandt. Er wollte mit ihm gemeinsam dazu aufrufen, in dieser schwierigen Zeit einen kühlen Kopf zu bewahren, aber Präsident Dsasochow in Wladikawkas mochte sich nicht dazu durchringen. Zu stark sind die antiinguschetischen Ressentiments gegenwärtig, als dass er es sich leisten könnte, jetzt gemeinsam mit dem inguschetischen Präsidenten aufzutreten.

    Wer sich heute in Nordossetien mit Inguschen solidarisiert, steht auf einsamer Flur. Mairbek Tuajew von der Opferinitiative spricht aus, wie die Mehrheit denkt.

    1992 haben die Inguschen mit Waffen in der Hand Nordossetien überfallen und gefordert, ihnen einen Teil unseres Landes abzugeben. Und als die Osseten gesehen haben, dass sie von den Sicherheitsorganen nicht geschützt werden, haben sie sich selbst verteidigt und die Inguschen aus Ossetien rausgeworfen. Und seitdem gibt es den ossetisch- inguschetischen Konflikt.

    1991 hatte der damalige Präsident Boris Jelzin den Inguschen eine eigene Republik zugesagt. Ein Geschenk, das gezielt das aufmüpfige Brudervolk der Tschetschenen verletzen sollte, mit denen die Inguschen bis dahin zusammenlebten, seit es 1934 Stalin so verfügt hatte. Derselbe Stalin, der beide Völker als angebliche Hitlerkollaborateure im Zweiten Weltkrieg nach Mittelasien und Sibirien hatte deportieren lassen. Erst unter Jelzin wurde die tschetschenisch-inguschetische Republik gespalten, ohne jedoch die neuen Grenzen genau festzulegen. Weder zu Tschetschenien noch zu Ossetien. Bis heute existieren nur veraltete Landkarten. Die Inguschen beanspruchten Gebiete, die zu Nordossetien gehörten und forderten sie 1992 mit Waffengewalt zurück. Über einhundert Osseten fielen diesen plötzlichen Überfällen zum Opfer. Die Osseten ihrerseits schlugen mit einer solchen Wucht zurück, dass die Verluste auf inguschetischer Seite um ein Vielfaches höher lagen, von mehreren Hundert ist die Rede, sogar die Zahl Eintausend wird genannt.

    Die 73jährige Inguschin Soja Borowa hat damals überlebt, aber nur, weil sie rechtzeitig aus Nordossetien geflohen ist.

    Eines Nachts, als wir uns schon schlafen gelegt hatten, begannen die Schießereien. Wir hatten keine Ahnung, was vor sich ging. Die Leute sagten: Es ist Krieg, macht dass ihr wegkommt und da sind wir in die Berge geflohen, wo unsere Tochter wohnt. Wir haben seit 1959 in Nordosseten gewohnt, haben immer friedlich mit den Osseten zusammengelebt. Wir sind auf ihre Beerdigungen gegangen, feierten gemeinsam Hochzeiten. Und dann plötzlich das. Mein Mann stammt von dort und so sind wir, nach dem wir nach der Deportation aus Kasachstan zurückkehrten, wieder dorthin gegangen. Mein ganzes Leben verbringe ich in der Verbannung.
    Wer in dieser Nacht nicht geflohen ist, den haben sie umgebracht. Als ich Jahre später auf den Friedhof ging, um das Grab meines Sohnes zu besuchen, sah ich, dass von unserem Haus bis auf das Fundament nichts übrig geblieben ist.


    Seitdem haust ihre Familie wie 240 weitere unter unwürdigen Umständen in kleinen Bretterbuden in Inguschetien. Nach dem Drama von Beslan ist die ohnehin geringe Aussicht, jemals nach Nordossetien zurückkehren zu können, fast völlig verschwunden. Aber auch Inguschetien bürgert diese heimatlos Gewordenen nicht ein, sie seien schließlich Bürger Nordossetiens. Ein verhängnisvoller Kreislauf ohne Ausweg.
    Die Wunden von 1992 sind weder auf inguschetischer, noch auf nordossetischer Seite je richtig verheilt, die Ereignisse von Beslan haben sie nun neu aufgerissen.

    Das einzige Ziel der Inguschen besteht doch darin, Böses zu tun. Sie wollen nicht normal leben. Ich will das, sie aber nicht.

    Ganz anders als Mairbek Tuajew von der Beslaner Opferinitiative bewerten die Präsidenten von Nordossetien und Inguschetien den jüngsten Terrorakt in der Schule keineswegs als Vergeltung für die Ereignisse von 1992, wie das heute so häufig in Beslan zu hören ist. Sie glauben vielmehr, dass die wahren Gründe für den blutigen Überfall in Tschetschenien zu suchen sind. Auch der Ex-Präsident Inguschetiens, der charismatische Ruslan Auschew, der am zweiten Tag des Geiseldramas immerhin 26 Frauen und Kinder befreien konnte, sieht die Ursache ausschließlich im ungelösten Tschetschenienkonflikt.

    Es ging bei der Geiselnahme mit keinem Wort um die inguschetisch-ossetischen Beziehungen, sondern um Fragen, die die tschetschenische Republik betreffen. Es hat in Inguschetien mehrere große Demonstrationen gegeben und viele Menschen sind bereit gewesen, sich anstelle der Kinder als Geiseln zur Verfügung zu stellen. Deshalb darf jetzt niemand den Hitzköpfen folgen, wir werden die Probleme mit politischen Mitteln lösen.

    Nordossetiens Präsident Dsasochow, gelernter Sekretär der kommunistischen Jugendorganisation der Sowjetunion, und schon damals Vertreter der Nomenklatura, hält allerdings die Tschetschenienpolitik von Präsident Putin ungeachtet der Tragödie immer noch für erfolgreich.

    Die Etappe des Separatismus ist vorbei, diese Gefahr ist vorüber. Jetzt hat eine neue Phase begonnen. Die Führung Tschetscheniens hat ein neuer Mann übernommen, der einer anderen Generation entstammt und möglicherweise sogar eine andere Mentalität aufweist, wenn man sich seine Dienstzeit in den Sicherheitsorganen anschaut. Es ist immer noch schwer, aber man muss weiter dem Separatismus die Grundlage entziehen, die für terroristische Verbrechen missbraucht wird.

    Dsasochow feiert das angeblich nahende Ende des Separatismus ohne zu erkennen, das an dessen Stelle inzwischen blanker Terror getreten ist. Terror, der sich seit gut zwei Jahren nicht mehr nur auf Tschetschenien und den Kaukasus beschränkt, sondern längst auf ganz Russland übergegriffen hat und nicht mehr die Begründung des Separatismus benötigt.

    Wie sein Kollege in der inguschetischen Hauptstadt Magas muss sich der Nordossete in diesen Tagen hauptsächlich als Krisenmanager erweisen.
    Beide Präsidenten unterstützen die Initiative von Wladimir Putin, wonach künftig Gouverneure und Präsidenten der Teilrepubliken nicht mehr vom Volk gewählt, sondern von der Moskauer Machtzentrale ernannt werden sollen. Warum dieser Einschnitt in die Bürgerrechte einen Beitrag zum Kampf gegen den Terror zu leisten vermag, können sie nicht erklären, sind aber von der Richtigkeit dieser Maßnahme überzeugt. Sjasikow gilt als ehemaliger Mitarbeiter des Inlandsgeheimdienstes FSB schon lange als Putins Vertrauter in Südrussland und Dsasochow hat schon als Sowjetfunktionär erfüllt, was Moskau forderte. Beide hätten bei einer Ernennung durch den Kreml nichts zu befürchten.

    Die Gefahr, dass das Pulverfass in diesem Teil des Kaukasus explodiert, ist längst nicht gebannt, wie eine Demonstration von siebenhundert bewaffneten Nordosseten am Grenzübergang Tschermen eben erst gezeigt hat. An der Grenze zu Inguschtien setzten sie dort stationierte Polizisten fest. Sie verlangten von ihnen, künftig weder Inguschen noch Tschetschenen nach Nordossetien zu lassen. Erst nach stundenlanger Überzeugungsarbeit kehrte die aufgebrachte Menge nach Beslan zurück. Sämtliche Grenzen sind derzeit geschlossen. Auch wenn dies dem friedlichen Zusammenleben der Kaukasusvölker widerspricht und Terroristen offizielle Grenzübergänge ohnehin nicht benutzen. Doch zu aufgeheizt ist die Situation.


    Wir haben leider ernsthafte Gründe beunruhigt zu sein, dass bei uns viele Leute drauf und dran sind, Verbrechen zu begehen. Es ist jetzt Aufgabe der Menschen, aufmerksam zu sein, zu schauen, wo sich ihre Söhne befinden, womit sie sich beschäftigen und vor allem hellhörig zu werden, wenn sie plötzlich verschwinden.

    Präsident Murat Sjasikow in Magas, das von Wladikawkas nicht einmal eine Autostunde entfernt ist, weiß, dass vor allem die vielen Waffen, die von der Bevölkerung gehortet worden sind, Anlass zu ernsthafter Sorgen geben.

    Waffen sollten nur die haben, die sie auf Grund ihrer Arbeit, ihrer Verpflichtungen tragen müssen. Die Entwaffnung muss fortgesetzt werden und nicht nur in Form von Säuberungen oder Durchsuchungen. Die Bevölkerung verfügt über zu viele Waffen. Als die Sowjetarmee nach dem Zerfall der UdSSR abzog, blieben viele Waffen in Tschetschenien zurück. Man muss alles für die Entwaffnung tun und den Leuten die Waffen vielleicht sogar abkaufen.

    Glücklicherweise verleitet der Schmerz um die Toten von Beslan nicht alle zu Rachegelüsten. Timur Dugajew, der auf dem neu angelegten Stadtfriedhof gerade Blumen niedergelegt hat, hält Vergeltungspläne für völlig überflüssig. Rache würde die Toten schließlich auch nicht zurückbringen.

    Hier liegt meine Nichte Salina. Sie war zusammen mit ihrer Schwester in der Schule. Dort ist die Sarina, die ältere, mit der ich jeden Tag frische Blumen herbringe. Erst am 27. September hat man Salina per DNS-Analyse identifiziert, am 30. haben wir sie bestattet. Seitdem ist es, als sei das Leben stehengeblieben.