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Punkrock in China
Stimme aus dem Untergrund

Punkrock ist der aufmüpfige kleine Bruder der Rockmusik. Doch gerade in China hat der Staat ein wachsames Auge auf renitente Musiker. Chinesische Bands, Fans und Labels haben dennoch eine vitale Punkrock-Szene im Untergrund der Millionen-Metropole Peking geschaffen.

Von Axel Dorloff und Johannes Neudecker |
    Der chinesische Punkrock Pionier Ma Jiliang.
    Der chinesische Punkrock Pionier Ma Jiliang. (ARD / Axel Dorloff)
    Auf der Bühne der Pekinger Temple-Bar: die vier Frauen der Pekinger Punkband "Free Sex Shop". Alle Mitte Zwanzig. Alle schwarz gekleidet. Rund einhundert Fans sind gekommen, um die Band zu sehen. Die Temple-Bar ist ein beliebter Club für Live-Musik in Peking: klein, dunkel und verraucht. Wenn Free Sex Shop auftreten, sind sie immer noch etwas Besonderes, erzählt Sängerin Cui Jie.
    "Wenn Leute hören, dass wir ausschließlich Frauen sind, findet das schon ziemlich Beachtung. Das ist die eine Seite. Wir hoffen aber auch, dass das daran liegt, weil sich unsere Musik gut anhört, Spaß macht und interessant ist. Und weil wir das singen, was einem auf dem Herzen liegt, so etwas ist wichtig."
    Punk im Untergrund
    Die Temple-Bar liegt im Trommelturm-Viertel, mitten in Peking. Dort wo sich Touristen durch die Altstadt-Gassen drängen und Straßenverkäufer Snacks und Souvenirs verkaufen. Abends wird die Gegend mit ihren kleinen Clubs und Kneipen auch zu einem Treffpunkt der Punk-Szene. Eine Szene, die authentisch sein will, erklärt die Sängerin der Band Free Sex Shop Cui Jie.
    "Unser Punkt ist, du bist du und wenn du ein Punk bist und das zu dir passt, dann sei das auch. Und sei nicht so wie andere, die sagen: Ach jetzt liegt aber gerade Hip-Hop im Trend, also bin ich das. Denn jedes Mal, wenn du bei einem Punk Konzert bist, wirst du merken, dass da Gleichgesinnte sind und das macht einen sehr glücklich."
    Im Ausland wird Punkrock aus China bislang wenig beachtet. Im Inland wird die Szene staatlich überwacht. Deshalb bewegen sich Chinas Punks weitgehend im Untergrund. Ihre Musik ist so auch zu keinem Massen-Produkt geworden. Der 41-jährige Ma Jiliang ist Bassist der Band Underdog und gilt als einer der Punk-Pioniere in China.
    "Punk Rock ist eine laute Ausdrucksform und hat sich schon immer naturgemäß vom Mainstream abgegrenzt. In China war Rockmusik allgemein nie Teil des Mainstreams. Sie hat sich ab den Achtzigern mit der Reform- und Öffnungspolitik entwickelt. Denn nach der Kulturrevolution wurden Kultur und Medien nicht mehr so streng kontrolliert."
    Als sich China in den neunziger Jahren immer mehr dem Westen öffnet, kommen auch musikalische Einflüsse wie Punkrock in die Volksrepublik. Allerdings versteckt, auf Umwegen mit den "dakou"-CDs. Das waren überschüssige CDs aus der ganzen Welt, die nicht verkauft werden konnten und in China eigentlich verwertet werden sollten, erklärt Navin Domer, Manager des Pekinger Musiklabels Maybe Mars.
    "Man hat ein Stück aus den CDs geschnitten und sie dann weggeworfen. Sie sollten unbrauchbar sein, aber das waren sie nicht. Man konnte sie immer noch abspielen. Die CDs wurden dann nach China als Müll verschifft. Dort wurden sie aber aus dem Müll herausgezogen und in Umlauf gebracht."
    Der Staat hört mit
    Auf diesem Weg gelangten Tonträger von The Sex Pistols oder The Ramones in die Volksrepublik. Immer mehr junge Menschen hörten diese Musik und fingen schließlich selbst an, Punkrock zu spielen. In Chinas Hauptstadt Peking hat der Punkrock über die Jahre seinen eigenen Sound entwickelt, erzählt Label-Manager Navin Domer.
    "In der Musik werden oft verschiedene Geräusche, Rückkopplungen, Muster und Variationen genutzt. Es kommen auch Synthesizer und andere elektronische Effekte zum Einsatz. Der Sound ist also sehr industrial, urban, aber auch sehr dissonant in vielerlei Hinsicht."
    Aber der chinesische Staat hört mit. Wer zu kritisch ist, darf mitunter nicht mehr auftreten oder keine Tonträger mehr veröffentlichen. Die Bands bedienen sich deshalb oft an Metaphern oder drücken nur sehr subtil und mit schrillen Klängen ihre Kritik aus. Aber weil sie als eher unpatriotisch und staatsfern gelten, haben Punks in China immer noch einen schweren Stand, erklären die Bassisten Xiao Hong von Free Sex Shop und Ma Jiliang von Underdog.
    "Es ist ziemlich reglementiert. Alles, was Spaß macht, darf man eigentlich nicht. Wenn man jetzt in die Musikszene will, braucht man eine Genehmigung und sollte keine sensiblen, kritischen Gedanken äußern. Aber wenn man wirklich aufpasst, ist es schon ok und wenn man im kleinen Rahmen auftritt, gibt es auch keine Probleme."
    "Wir haben mit unserer Band SMZB von 2006 bis jetzt drei Alben illegal veröffentlicht. Aber diese Situation wird auch so bleiben. In China denkt man eben, dass vieles problematisch ist. Ich finde, die Kontrollen sind im Prinzip egal. In China gibt es so oft irgendwelche Kontrollen – wir haben uns daran gewöhnt."
    Chinas Punk Bands werden langsam auch international bekannter. Labels wie Maybe Mars versuchen, ihre Musik auch ins Ausland zu exportieren und mehr Aufmerksamkeit auf die chinesische Punk-Szene zu lenken. Bands wie Free Sex Shop werden aber zunächst mal noch weiter in den kleinen Bars und Clubs in ihrer Heimat China auftreten.