Anja Buchmann: Eine Ramones-Imitationsband, eine Filmcrew und eine Reise nach Buenos Aires: Darum geht es im Roman "Scheiternhaufen" des Düsseldorfers Johnny Bauer, der seit den 80ern viel in der Musik- und Kulturszene aktiv ist, außerdem Grafiker, Hochschuldozent, Punksänger der Band "Oiro" und nun eben auch noch Romanautor. Und zu Besuch bei uns im DLF-Studio, hallo.
Jonny Bauer: Hallo, danke für die Einladung.
Buchmann: "Scheiternhaufen", mal so in ganz groben Zügen, da geht es darum, dass eine zusammengewürfelte Filmcrew aus alten Freunden, Bekannten aus dem weiten Feld der Musik- und Medienszene eine Ramones-Coverband - beziehungsweise Imitationsband, wie Sie sie nennen - nach Buenos Aires begleiten, um einen Film über sie zu machen. Buenos Aires deswegen, weil die echten Ramones 1996 eines ihrer letzten Konzerte dort gespielt haben. Die Aktion ist - wie man früh ahnt und der Titel auch schon andeutet - zum Scheitern verurteilt. Johnny Bauer, wieso musste es eine Ramones-Imitationsband sein? Laut Interviews sind Sie jetzt gar nicht so ein großer Ramones-Fan, oder?
Bauer: Nein, eigentlich gar nicht. Ich habe nur eine Ramones-Platte, die "It's Alive", die habe ich auch immer sehr gerne gehört, aber ansonsten interessieren mich die Ramones eigentlich nicht so. Das war dem geschuldet, dass die Ramones - wie Sie schon gesagt haben - diesen Stellenwert in Argentinien haben, wie bei uns vergleichbar, sagen wir mal die Beatles oder Rolling Stones. Also jeder Taxifahrer, jeder kennt die Ramones in Argentinien, Buenos Aires.
Buchmann: Das heißt, Sie waren auch schon in Argentinien, in Buenos Aires.
Bauer: Ich war auch da vor Ort und habe das auch gemerkt, da ist eine unglaubliche Euphorie, die sehen halt die Ramones an als, ja, eine Band aus dem Volk, sagen die immer. Also die verstehen uns, eigentlich Leute die sich hochgearbeitet haben, so Arbeiterklasse, so wird das romantisiert würde ich sagen. Und erzählen immer von diesem letzten Konzert, was so unglaublich ausgeufert haben muss. Die argentinischen Fans rotzen zum Beispiel immer auf die Bühne, das ist so was wie hier der Pogo, sag ich mal. Und die rotzen und rotzen dahin und die Ramones wussten das aber schon und haben riesige Ventilatoren aufstellen lassen und die Rotze somit ins Publikum zurückspritzen lassen. Hört sich hart an, aber das machte die Band auch wieder für die Zuschauer sympathisch, weil man sich gegenseitig in diesem Punk-Kosmos verstanden hat. Also das fand ich eine ganz schöne Geschichte.
Blick hinter die Punk-Kulissen
Buchmann: Deswegen die Ramones. Aber stand am Anfang wahrscheinlich nicht so sehr die Ramones, sondern vielleicht eher die Idee: Ich schreibe ein Buch über das Scheitern oder die Kunst des Scheiterns in Würde?
Bauer: Ja, es gibt so zwei Sachen. Einmal haben Sie ja schon gesagt, Imitationsband, das ist ja ein ganz schönes Wort, worauf auch die Band im Buch besteht, dass es keine Coverband ist. Also wir spielen nicht nur was nach, wir sehen auch so aus, wie die Band, der wir nacheifern. Und da gibt es ja alles Mögliche, von Pink Floyd bis Beatles und so weiter an obskuren Coverbands, Metal Coverbands. Es gibt eine Band, die heißt Hans Martin Slayer, die die Metal Band Slayer covert, auch ein interessanter Name. Das war erst mal die Frage für mich, was für Menschen stecken dahinter, die in Coverbands spielen.
Ich spiele ja selber in einer Band und konnte mir das nicht vorstellen, Songs von anderen zu spielen. Wir haben auch eigentlich noch nie, einmal vielleicht, eine Coverversion gemacht. Was sind das für Menschen? Und die sind hier angesiedelt in dem Buch, auch im Bergischen Land. Das sind so, naja, ich habe das immer verglichen mit diesem 'Hier und heute unterwegs', was es ja mal gab da im WDR Fernsehen. Da ging es ja immer darum, so Homestories zu machen. Also, wie ist der Nachbar, was hat der für ein obskures Hobby, hat der eine Eisenbahn im Keller oder zehn Anakonda Schlangen oder was auch immer, ne, also dieses Versteckte. Und das ist bei dieser Coverband auch ein bisschen, der eine ist Bademeister, ja, und der andere ist Frührentner, wohnt im Keller seiner Eltern.
Buchmann: Einer leidet unter Psychosen...
Bauer: Ja, leidet unter Psychosen. Und die machen sich auf, dieses Abenteuer zu erleben, was sie nicht selber organisieren, sondern für sie diese Filmcrew organisiert. Und das ist so dieser zweite Teil des Plots. Es gibt einmal diese Gang von der Coverband der Ramones, also der Imitationsband. Und dann gibt es die Gang der Filmemacher, der Dokumentarfilmmacher, die damit groß rauskommen wollen, zumindest einer von denen. Die anderen wissen gar nicht genau, warum sie dabei sind. Das hat ein bisschen mit meinem Leben zu tun, dass man eigentlich viele Projekte macht - Sie haben das ja eben angerissen...
Buchmann: Und das war nur ein Bruchteil, was ich aufgezählt habe.
Bauer: Ja, wirklich ein Bruchteil. Und man weiß gar nicht, wie man da reingeschlittert ist, warum man das macht. Das hat nicht immer so einen Plan. Das ist eigentlich so diese Idee von Do-it-yourself, DIY, ich mache das einfach. Bei mir war immer, okay da kommt eine Idee auf, ja machst du da mit. Ja, warum nicht, mal gucken, was passiert. Und das ist auch die Geschichte mit dem Scheitern natürlich, dass es dann, für mich war das nicht so das Thema, ich möchte jetzt was so über Scheitern machen, Scheitern als Chance oder so, sondern natürlich kann man nur scheitern, wenn man auch was versucht. Und das ist dieses DIY Ding. Also ich mache einfach, und was dann passiert, einfach mal schauen. Und so kommt man halt in verschiedene Abenteuer rein.
"In unseren Räumen sind ganz viele, tolle Sachen entstanden"
Buchmann: Und das hat dann tatsächlich auch mit dem Punk zu tun, diese Idee des DIY, diese Idee des Dinge einfach mal machen, einfach mal angehen, wenn auch zum Teil vielleicht ein wenig durchdacht oder dilettantisch. Ja, einfach mal tun, und das ist auch was, was Ihr Leben als, wenn Sie sich denn als Punk bezeichnen würden - immerhin sind sie Sänger einer Punkband - ausmacht?
Bauer: Ja, ich bezeichne mich mal als Punk, als den letzten Punk der Welt, nein. Aber natürlich, das ist die Sozialisation. Ich komme ja aus Düsseldorf, und da ist der Punkbegriff ja auch früh aufgebrochen worden, Ende der 70er. Das heißt, das hatte Bezug zur Kunstakademie und so weiter, und das hat so mit anderen Sachen gespielt und nicht so, wie man das engstirnig denkt, okay, das ist jetzt schwarze Lederjacke und grün-blau gefärbter Iro, ne, so war das nicht. Es ging dann nachher bei uns - was das so absetzt zu diesen frühen Düsseldorf Tagen - auch viel um dieses, wie gesagt, selber machen und auch politische Handlung machen.
Das heißt, naja, sich damit auseinandersetzen, auch mit - sagen wir mal Fleischkonsum, wo kommt das her, Vegetarismus. Also Ende der 80er war das eigentlich nicht so ein Thema wie heute, und da war das schon eine politische Entscheidung, so was zu machen, oder Hausbesetzungen, oder wo kann man Veranstaltungen machen.
Wir haben jahrelang einen Kunstverein gehabt in Düsseldorf, der heißt Metzgerei Schnitzel. Den gibt es auch noch, haben wir einer jüngeren Generation übergeben. Und da war auch einfach diese Idee wieder, wir wollen ohne die Stadt, ohne Sponsoring, ohne Support, das selber machen. Wir wollen unseren eigenen Raum schaffen und haben uns an so einer alten Tankstelle einen Raum gesucht. Und das Konzept war dann, okay, wie viele Mitglieder finden wir denn, die mit uns gemeinsam diesen Raum bespielen und gestalten und auch finanzieren. Das heißt, wir hatten 120 Mitglieder über zehn Jahre, die fünf Euro im Monat bezahlt haben. So kann man das selber finanzieren und es konnte gemacht werden, was man wollte. Und man kann sich vorstellen, dass da unglaublich viele, tolle Sachen entstanden sind. Also es war so ein Selbstläufer, wie, wenn man es gemein sagen will, ist es natürlich so eine Insel. Das ist halt so ein bisschen, naja okay, die Welt drumherum blenden wir ein bisschen aus und schaffen uns unsere eigene Welt. Aber das war immer so das, dass wir das in kleinen Gruppen so gemacht haben. Und ich bin auch der Meinung, dass das sehr wichtig und sehr gut ist, zu probieren.
Buchmann: Eine eigene Welt, zu der Sie aber andere auch eingeladen haben, in diese einzutreten.
Bauer: Ja natürlich. Man darf das auch nicht verklären. Natürlich, wir waren immer offen und sind mit allen Projekten immer sehr offen. Bei so einem kleinen Laden jetzt, wie Metzgereischnitzel.de, haben wir uns immer gewünscht, dass neue Leute reinkommen. Aber von außen guckt man nur da rein, riesen Schaufenster, ganz schön, aus den 60er Jahren, und sieht dann so Typen wie mich - der Zuhörer sieht mich ja jetzt nicht - aber da sitzen an der Bar. Naja, da muss man sich auch trauen, reinzugehen.
Buchmann: Naja, so erschreckend sehen Sie jetzt nicht aus. Also für unsere Zuhörenden, Sie tragen eine grüne Mütze, haben zerzauselte Haare darunter vorgucken und tragen einen Ohrring links und haben einen Drei-Tage-Bart, also geht.
Bauer: Es geht, ne, es geht. So sieht man heute aus.
Buchmann: Ein paar Tattoos haben Sie.
Bauer: Ich wollte damit einfach nur sagen, dass man da, man wirkt elitär, ohne es sein zu wollen. Und das ist ein Riesenproblem, wo wir gesagt haben, wie kann man das aufbrechen? Und da haben wir zum Beispiel Sachen gestartet, das hieß 'Freiräume für Bewegung', das ging um Gentrifizierung, also gegen Gentrifizierung in Düsseldorf was zu machen. Und da haben wir ganz viele Leute ins Boot geholt, also ganz viele Kulturschaffende, Soziologieprofessoren, Bauwagenplatzbewohner und so weiter, und haben probiert, das gemeinsam zu machen. Und das war sehr interessant so als Experiment, und sehr positiv muss ich sagen.
"Es geht darum, dass man Projekte macht"
Buchmann: 2017, also in etwa 40 Jahre nach Entstehung des Punks in England: Hat Punk noch eine große Bedeutung heute? Also gerade, wo man vielleicht auch das Gefühl hat, dass es wichtig ist, sich politisch zu verhalten, zu Rechtsruck in Europa, Deutschland, zu Flüchtlingsthematiken, zu wachsendem religiösen Extremismus, was auch immer. Wie sehen Sie die Rolle des Punk aktuell?
Bauer: Ich glaube, das kann man nicht so einfach beantworten, weil man Punk definieren müsste, und jeder hat eine andere Definition.
"Es gibt auf jeden Fall subkulturelle Strömungen"
Buchmann: Wie definieren Sie es?
Bauer: Man müsste, ich würde gerne diesen Punk als Musik weglassen, weil das ist heutzutage verschwommen, es gibt Bands, die das für sich beanspruchen, Punk zu sein und auf großen Plattenfirmen sind oder was weiß ich, in Coca Cola Werbespots mitmachen und so weiter und so fort. Das gab es natürlich früher nicht, und das hat jetzt auch nichts mit Einmischung in politische Prozesse und so weiter zu tun.
Es gibt dann trotzdem immer noch eine Subkultur, natürlich weniger Leute, als es früher waren, weil heute - meiner Meinung nach - einfach mehr der Zugang durch das Internet und so weiter, zu Musik, zu Konsum einfach mehr gegeben ist. Früher musste man sich mit Dingen beschäftigen, das erarbeiten, man konnte es nicht direkt holen. Und das setzt voraus, dass man was tun muss, um irgendwo dran zu kommen, und das ist eine Eigeninitiative, eine Art von Kreativität, die da gefördert wird, die heute glaube ich, schwieriger ist, zu entwickeln, was ich aber nicht weiß, was ich jetzt mal so behaupte.
Andererseits gibt es auf jeden Fall subkulturelle Strömungen, egal in welcher Weise, ob politisch, ja, oder die Themen, die Sie angesprochen haben, Flüchtlingsgeschichten und so weiter, das heißt, total viel gemacht, wenn wir als Band - das sage ich ja - mit dieser 'wir machen lieber was'. Also klar kann ich jetzt hier darüber reden und so weiter, aber es darum, dass man Projekte macht. Und wir haben zum Beispiel mit zwei Geflüchteten Songs gemacht, mit unserer Band Oiro. Und das war natürlich ganz witzig, da kommen Leute aus Syrien, minderjährige, unbegleitete Flüchtlinge und sitzen bei einer Punkband, wo alle Ende 40 sind in so einem Proberaumkeller, hören die Musik ihr erstes Mal in ihrem Leben, haben noch nie Musik gehört und machen dann mit uns ein Projekt zusammen, ohne dass wir denen jetzt sagen 'jetzt sing doch mal da mit' oder so, sondern, dass man sich erst mal annähert und guckt.
Uns wurde von der Flüchtlingsinitiative, die das Projekt angeleiert hat, gesagt, fragt sie mal bloß nicht nach, was da passiert ist auf der Flucht. Es ist natürlich total wichtig für uns. Und für mich ist doch egal, ob der da jetzt schön singt oder so bei dem Song, das interessiert mich nicht, sondern was ist das für ein Mensch? Was ist mit dem passiert? Was hat der erlebt? Was kann ich davon lernen, was kann der davon lernen, mit mir zusammen zu tun zu haben? und so weiter. Und das war natürlich ganz toll. Da sind wir dann hingekommen, dass wir uns halt angenähert haben durch dieses gemeinsame - ich nenne es mal - Punkmachen. Und das fand ich wieder toll, so ein Beispiel, dass es wichtig ist, so kleine Projekte zu machen.
Buchmann: Der Roman "Scheiternhaufen" von Jonny Bauer hat 264 Seiten und ist erschienen im Salon Alter Hammer. Eine Lesung vor Weihnachten gibt es dann auch noch: Am Donnerstag den 21. Dezember im zakk Düsseldorf, Beginn 20:00 Uhr. Und ab 22:30 Uhr sogar noch eine After-Show-Party bei Moni im Fortuna Eck in Düsseldorf-Flingern. Die Kneipe ist übrigens auch im Buch verewigt. Schönen Dank, Jonny Bauer.
Bauer: Vielen Dank auch.
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