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Punktabzug für schlechte Wohnviertel

Am Mittwoch verabschiedete das Bundeskabinett einen lange geforderten Gesetzsentwurf zur Regulierung von Auskunfteien. Kritiker bemängeln allerdings, dass damit Wohnortdaten zur Ermittlung der Kreditwürdigkeit benutzt werden dürfen.

Manfred Kloiber im Gespräch mit Peter Welchering |
    Manfred Kloiber: Die Fachleute nennen das Geoscoring und sehen diese Erlaubnis der Regierung kritisch. Warum, Peter Welchering?

    Peter Welchering: Die Hauptkritik richtet sich dagegen, dass Kreditinstitute oder Auskunfteien nicht en detail darlegen müssen, wie sie zu einem bestimmten Scoringwert gekommen sind. Deshalb kann nicht nachvollzogen werden, welche Datenarten denn wie gewichtet wurden und warum ein bestimmter Bürger als sehr kreditwürdiger Kunde mit hoher Bonität und ein anderer als Person mit ganz schlechter Bonität gilt.

    Kloiber: Wie errechnet sich denn solch ein Scorewert, mit dem meine Kreditwürdigkeit festgelegt wird?

    Welchering: Das sind feste Algorithmen, die Gewichtungen von verschiedenen Datenarten vornehmen. Eine Datenart ist beispielsweise, wie pünktlich der Prüfungskandidat Rechnungen bezahlt, ob er bisherige Kredite treu zurückgezahlt hat. Eine andere Datenart besteht darin, dass der Prüfling Gruppen zugeordnet wird. Beispielsweise gelten bestimmte Altersgruppen als Risiko gefährdet. Ist der Prüfling in dem Alter, bekommt er Punktabzug bei Errechnung des Scorewertes. Und da werden jetzt eben nach dem am Mittwoch vorgelegten Gesetzesentwurf auch die Wohnortdaten einbezogen, ohne dass die Banken sagen müssen, wie sie diese Wohnortdaten gewichten. Deshalb meint der Bundesbeauftragte für den Datenschutz, Peter Schaar, auch:

    "Hier geht es jetzt um die Kreditwürdigkeitsprüfung bei speziellen Kreditanträgen. Und da muss man sich in der Tat fragen, ob der durchsichtige Bankkunde, der dann auf diese Art und Weise entsteht, tatsächlich alternativlos ist? Das Problem beim Scoring besteht ja nicht darin, dass das individuelle Risiko abgeschätzt wird. Problematisch ist, dass ein Risiko definiert wird über eine abstrakte Zugehörigkeit zu einer Gruppe, was ich nicht beeinflussen kann."

    Welchering: Dem einzelnen Bürger wird damit ein Stück weit die Möglichkeit genommen, durch sein eigenes Verhalten, also etwa pünktliche Zahlungen, seinen Scorewert selbst zu bestimmen.

    Kloiber: Wohnortdaten, das meint meine Adresse. Was ist denn so kritisch, wenn die Bank meine Adresse in die Scoringberechnung einbezieht?

    Welchering: Zum einen treffen Wohnumfeldanalysen nicht immer die Wirklichkeit. Bin ich beispielsweise weniger kreditwürdig, weil in der Straße nebenan besonders viele Menschen wohnen, die unpünktlich zahlen. Also da wird mit modernen Methoden der Business Intelligence eine Art Gruppenhaft eingeführt. Zum anderen nutzen beispielsweise Internetversandhändler in den USA Streetview-Bilder von Google tatsächlich in ihre Überprüfung der Kreditwürdigkeit potenzieller Kunden. Wer in einer Straße lebt, in der ausweislich der Streetview-Bilder die Häuser schrecklich heruntergekommen sind, der ist einfach nicht kreditwürdig. Wenn solche Bilder auch als Wohnortdaten genutzt werden, dann wird es kritisch.

    Kloiber: Wie werden denn Wohnortdaten von den Scoring-Agenturen bewertet?

    Welchering: Da gibt es mehrere Quellen. Zum einen werten Agenturen die Buchhaltungsdaten von Unternehmen aus. Und aus diesen Daten können sie anonymisiert, aber durchaus nach Wohnorten aufgeschlüsselt, einen Wert für die so genannte Zahlungsmoral in bestimmten Stadtvierteln oder Straßen berechnen. Quelle Nr. zwei ist die allgemeine Kriminalitätsstatistik. Je größer die Verbrechensquote an einem bestimmten Wohnort, umso höher der Punktabzug beim Scoringwert. Das wird von einigen Agenturen dann noch nach Kriminalitätskategorien aufgeschlüsselt, also Mord ist dann etwa kein so kreditrelevantes Verbrechen, Betrug hingegen schon. Dafür gibt es mehr Punktabzug beim Scoringwert. Quelle Nr. drei ist die Insolvenzstatistik. Da werden ja auch Privatinsolvenzen erfasst. Und jede Privatinsolvenz in einem bestimmten Stadtviertel gibt eben auch Punktabzug. So sind die Algorithmen für die Berechnung von Scoringwerten programmiert. Und als weitere Quelle könnten dann demnächst Bilder der Umgebung mit verpunktet werden. Diese Bilder sind dann ja über Dienste wie Streetview zugänglich. Und es gibt erste Erfahrungen in den USA, dass Versandhändler diese Bilder in den Scorewert haben einrechnen lassen. Wohne ich also in einem abgewrackten Haus, bei dem die Fassade jahrelang nicht gestrichen wurde, keine Gardinen im Fenster, Fensterscheiben verdreckt – da saust der Scoringwert natürlich nach unten.