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Puppe, Kurtisane, Sängerin

"Hoffmanns Erzählungen" ist eigentlich ein Torso, den der Komponist Jacques Offenbach hinterlassen hat und den sich jeder Regisseur selbst erarbeiten muss - mit Hilfe von viel Material von verschiedenen Herausgebern. Der junge Regisseur Thilo Reinhardt hatte nicht viel Zeit für die Vorbereitung. Er war erst vor einem Jahr für seinen Kollegen Willy Decker eingesprungen, der die Oper ursprünglich hatte inszenieren wollen.

Von Georg-Friedrich Kühn |
    Das Ambiente ist schick-modern, nicht eigentlich wie man sich die Lieblingskneipe eines Quartalssäufers vorstellt: bordeauxrotes Halbrund, das sich im Antonia-Akt auch schon mal zur Bühne auf der Bühne verwandelt. Im abschließenden Giulietta-Akt mit den Venezianischen Gondeln schwankt dann statt des Bodens die Decke mit kugelartigen Leuchten als gleichsam Lampions.
    Ebenfalls ein hübscher Effekt.

    Hoffmann und die Frauen – geradlinig will der junge Regisseur Thilo Reinhardt mit seinem Bühnenbildner Paul Zoller diese Geschichte des Dichters und seiner diversen Versuche, die Richtige für sich zu finden, erzählen.

    Recht sinnfällig wird das nicht. Man greift an der Komischen Oper zurück auf die zwar rechtschaffen deutschsprachige aber durch die Forschungen der letzten Jahre völlig überholte Oeser-Fassung zurück. Und das in einem Haus, das mal berühmt war für seine quellenkritische Penibilität.

    Allerdings – Reinhardt hat relativ kurzfristig die Regiearbeit übernommen.Zu kurzfristig bei diesem von Offenbach nur als Torso hinterlassenen Werk, von dem sich jeder Inszenierende erst einmal tief in die Quellen vergraben muss, ehe er ans Entwickeln einer Konzeption denken kann. Ursprünglich war Willy Decker als Regisseur dieser Neuinszenierung vorgesehen. Und was Reinhardt als Konzept ausgibt, statt der von Offenbach zugespitzten Fragen zu Kunst und Künstler die nach den Frauen zu untersuchen, bleibt hier auch wieder nur künstlich.

    Reinhardt, der aus der Schule des in seinem Ruhm längst verblassten Götz Friedrich kommt und mit Hospitanzen dann auch bei den üblichen Verdächtigen, von Harry Kupfer bis Peter Konwitschny, sich der höheren Weihen versicherte – versucht sich in einem Realismus, der an dem Stück selbst immer wieder scheitert. Deutlich wird das zumal in den ja streng durchgeformten Chorpartien der Rahmenhandlung, aber auch in der Begegnung Hoffmanns mit der Puppe Olympia.

    Reinhardt kann sich da nicht recht entscheiden, ob er die Olympia als Maschinenmenschen oder als Frau aus Fleisch und Blut vorführen will. Als erotisch wild Gewordene darf die Androide dem verdutzten Hoffmann dicke rote Flecken auf den Mund platzieren. Das sieht zwar putzig aus, sagt aber über die Verstörungen des Mannes Hoffmann und zumal woraus diese Verstörungen resultieren nichts.

    Immerhin hat man mit Timothy Richards als Hoffmann einen Sänger zur Verfügung, der mit schlanker, cremiger Stimme die Partie glänzend bewältigt. Vom Typ her als eine Mischung aus Helge Schneider und König Gustav Adolf zeigt er sich auch darstellerisch als höchst wandlungsfähig. Eine Klasse für sich Stella Doufexis als seine Muse, verschmähte Freundin und "Sekretärin" für alle Lebenslagen in einem.

    Auch die von Katharina Gault in hellen Pelz mit Stiefeletten und Sonnenbrille gehüllte Olympia der Cornelia Götz kann mit ihren Koloraturen prächtig punkten. Eine kühl kalkulierende Giulietta in rückenfreier roter Robe ist Karolina Gumos. Das Orchester der Komischen Oper hat man schon sehr viel konzentrierter spielen gehört. Kimbo Ishii-Eto am Pult hat doch einige Mühe die Balance recht auszutarieren.

    Alles in allem: Einen triftigen "Hoffmann" sah man hier nicht. Mit über drei Stunden Dauer ist die Aufführung auch ziemlich lang und – über weite Strecken – langweilig geraten. Das Publikum zeigte sich dennoch beifallsfreudig. Man hat sich gelabt an den bekannten Melodien.