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Puppen, Masken und Idole

Der Maler Emil Nolde ist den meisten Kunstfreunden durch seine Aquarelle bekannt. Dass der Maler aber ein passionierter Sammler war und eine Art privates Völkerkundemuseum zusammenstellte, kann man jetzt im Ernst-Barlach-Haus in Hamburg sehen.

Von Rainer Berthold Schossig |
    Im November 1933 waren die norddeutschen Maler Barlach und Nolde noch vom Propaganda-Minister Goebbels zur feierlichen Eröffnung der Reichskulturkammer eingeladen worden. Wenige Jahre später galten beide als "Entartete Künstler". Punctum! - Da mochte Nolde noch so unterwürfig an Goebbels schreiben, dass seine Kunst "deutsch, stark, herb und innig" sei, also doch, bitte schön, im Einklang mit der NS-Kunstideologie. Nun ist Nolde aus Sebüll zu Gast bei Barlach im Hamburger Jenisch Park, und man traut seinen Augen nicht: wildwuselige Kopftrophäen von den Salomon-Inseln, panerotische Yoruba-Figuren aus Nigeria: die Frauen mit türkis-gesprenkelten, spitzen Brüsten, die Männer mit erstaunlich großem Penis; man sieht viel Nabel, krause Frisuren und langschwänzige Chamäleons, gezackte Masken aus Melanesien und Idole der Pueblo-Indianer - alles mit spitzen Blei- und Buntstiften auf leicht vergilbtes Papier gebannt: Emil Noldes Safari aus dem Berliner Museum für Völkerkunde, wo er zwischen 1910 und 1912 emsig skizzierte.

    Man staunt: Nolde war damals wirklich noch ein bekennender kosmopolitischer Künstler. Ähnlich wie die Leute vom "Blauen Reiter" oder der Dresdener "Brücke" war er fasziniert von der exotischen Stärke Afrikas, Mittelamerikas und Südostasiens. Markus Müller, Leiter des Barlach-Bildhauer Museums und Kurator der Ausstellung "Puppen, Masken und Idole", war bei seinen Besuchen in Sebüll erstaunt über die in den Regalen und Schränken der Nolde-Stiftung versteckten Schätze. Wie in einer gläsernen Arche Noah hat er einen Großteil davon nach Hamburg geholt:

    "Nolde - passionierter Sammler - hat eine Art privates Völkerkundemuseum zusammengestellt; das zu zeigen ist ja einem Bildhauermuseum durchaus angemessen zu zeigen. Und daraus ergibt sich, gerade bei bekannten Künstlern die unbekannten Facetten zu beleuchten."

    Nolde, der 1913 / 14 selbst an einer kaiserlichen Neuguinea-Expedition teilnahm, sammelte nicht nur begeistert Exotisches, bis 1929 verarbeitete er die Puppen- und Masken-Motive auch zu einer Reihe von expressiven Stillleben und fulminanten Figurenbildern in imaginären Räumen, "jenseits von Verstand und Wissen gemalt", wie Nolde schrieb: Aus blaudämmrigem Rauch tauchen monströse grüne Schafe oder violette, großäugige Katzen-Monster auf. Ägyptisches prallt schmerzhaft auf Indianisches, Europäisches reibt sich an Afrikanischem. Wie eine Scherenschnitt-Figur kniet da eine schwarze Frau mit ihrem Säugling auf dem Rücken vor einem Missionar, der eine furchterregende Buschmaske trägt. Der Hamburger Museumsmann Max Sauerlandt hatte dieses Gemälde angekauft, in Zeiten, die Nolde in den 30er Jahren als die des "unsauberen Kunsthändlertums der Liebermann-Zeit" denunzierte. Hatte er vergessen, dass seine grenzenlos-fantastischen interkulturellen Inszenierungen auf erstaunliche Nachfrage stießen. Weil die Kunst von Geisteskranken und Naturvölkern plötzlich höher als das Idol Raffael geschätzt wurde. Auch Nolde verdiente daran.

    "Er sieht die Kunst des Malers darin, Gegensätze in höhere Harmonien zu bringen, ihn interessieren Urausdrucksformen, um eine neue Unmittelbarkeit herzustellen - das Bizarre, Skurrile, Schrille in den Farben als Vitalisierungs-Kraft."

    Die Hamburger Ausstellung zeigt, woher Nolde jahrelang seine künstlerische Lebenskraft saugt. Er mischt Eigenes mit Fremdem, Nordisches glänzt in magisch-südlicher Beleuchtung, Schleswig liegt plötzlich an der Südsee! Auch nach dem Ersten Weltkrieg wirken die exotischen Energien weiter, und vielleicht stammt ja auch die magische Farbkraft der "Ungemalten Bilder" und die vitale Küchengarten-Pracht seiner späten bundesdeutschen Klatschmohn-Aquarelle aus jenen überseeischen Quellen. Es bleibt ein trauriges Rätsel, warum Nolde sich der NS-Kulturbarbarei so unangenehm devot anbiederte, warum sein expressiver Vulkanismus im rassistischen Sauberkeitswahn versandete, obwohl er ja Malverbot hatte. Auch Markus Müller kann dies mit seiner lebendigen, materialreichen Ausstellung nicht erklären, aber er warnt vor einer allzu einseitigen Sicht auf den nordischen Wettermaler Nolde:

    "Also Nolde bezeichnet sich selbst als einen Kreuzritter für eine starke nordische Kunst sieht, gleichzeitig seine Abneigung gegen jene Mischungen, die er als Maler zuvor mit Lust praktizierte. Es wäre aber verkehrt, dies retrospektiv auf seine Bilder aufzusatteln, also das Naziverdikt über alles auszukippen."