Beletti Njame war 2014 über den Grenzzaun geklettert, der Melilla von Marokko trennt. Die spanische Polizei wollte mit allen Mitteln die Erstürmung des Zauns verhindern, doch er kam durch und konnte wegrennen. Eine illegale Einreise, gibt er sechs Jahre später in Madrid zu, doch einen anderen Weg gab es nicht:
"Auf legalem Weg kommt man gar nicht bis zum spanischen Grenzposten vor, um dort um Asyl zu bitten. Die marokkanische Polizei lässt Dich nicht durch. Der einzige Weg für Flüchtlinge, nach Spanien zu kommen, um dort Asyl zu beantragen, ist, über die Grenzzäune zu klettern. Du kannst in Marokko niemandem erklären, dass Du Asyl beantragen willst. Da gelten gar keine Menschenrechte."
Beletti Njame hat inzwischen gültige Aufenthaltspapiere, Arbeit und ist verheiratet. Über das Urteil des Europäischen Menschengerichtshof kann er nur den Kopf schütteln.
Illegale Einreise rechtfertigt für die Richter die Abschiebung
Die 17 Richter erkennen in ihrem Urteil zwar einstimmig an, dass die Migranten keine Möglichkeit haben, in Spanien ihr Grundrecht auf Asyl zu beantragen, wenn sie sofort nach dem Überwinden der hohen Grenzzäune von Ceuta und Melilla wieder nach Marokko zurückgebracht werden. Doch daran seien sie selbst schuld, so das Urteil, da sie ja nicht auf legalem Weg nach Spanien gekommen seien.
"Man muss als Anwalt und als Menschenrechtsorganisation natürlich immer auch mit ablehnenden Entscheidungen rechnen", sagt Wolfgang Kaleck, Rechtsanwalt des European Center for Constitutional and Human Rights in Berlin, der die Klage zweier Migranten aus Mali und der Elfenbeinküste gegen dieses Vorgehen unterstützt hatte. Für eine Stellungnahme zum Urteil war das Team aus Anwälten und Aktivisten eigens nach Madrid gereist. Wolfgang Kaleck:
"Womit wir nicht gerechnet haben ist, dass das Gericht nicht nur die Beschwerden ablehnt, sondern aus diesem Grunde ablehnt. Weil die Behauptung, dass die Beschwerdeführer im August 2014 legale Möglichkeiten zur Einreise und zur Stellung eventueller Gesuche in Spanien gehabt hätten, ist schlicht und einfach falsch. Und sie wurde in jedem Stadium des Prozesses zurückgewiesen, und zwar unter anderem in der Hauptverhandlung von der Menschenrechtskommissarin des Europarates und vom UNHCR."
Also vom Hochkommissar der Vereinten Nationen für Flüchtlinge. Wolfgang Kaleck spricht von einem weltfremden Urteil. Wer vor Bürgerkrieg und Verfolgung fliehe, könne nicht immer reguläre Einreisevorschriften beachten.
Express-Abschiebungen und Push-Backs sind gängige Praxis
Menschenrechtsaktivist José Palazón aus Melilla berichtet von einem neuen Vorgehen der spanischen Behörden: Die Push-Back-Abschiebungen gebe es zwar auch noch, doch oft würden Flüchtlinge, die den Grenzzaun überwunden haben, auch ins Aufnahmezentrum der spanischen Enklave geführt, um dort ihre Personalien aufzunehmen. Doch, so erklärt er:
"Der Rechtsanwalt sagt dann, dass er mit dem Migranten nicht sprechen kann, weil dieser, zum Beispiel, nur Bambara spricht. Die Übersetzer sprechen aber nur Französisch und Englisch. Der Anwalt hat auch nur zwei Minuten Zeit für einen Migranten. So geht es dann in einer Nacht 200 Menschen. Sogar der Ombudsmann der spanischen Regierung sagt, dass es hierbei nur darum geht, Formalitäten vor der Abschiebung zu erfüllen, nicht darum, das Grundrecht auf Asyl zu gewährleisten. Was früher Push-Backs waren, sind jetzt Express-Abschiebungen, bei denen der Migrant sich nicht äußern kann."
Spanische Medien sehen in dem Richterspruch eine allgemeine Billigung des Vorgehens der spanischen Polizei an den Grenzzäunen. Die Rechtsanwälte des European Center for Constitutional and Human Rights wollen dagegen nicht von einem Präzedenzurteil für die Push-Back-Abschiebungen in ganz Europa sprechen – wohl auch, weil die Organisation auch noch gegen weitere Mitgliedsstaaten des Europarats wegen dieser Praxis klagt. Spaniens Regierung wollte das Urteil bislang nicht kommentieren.