Der Clip beginnt mit der Brandung des Schwarzen Meeres. Dann steigen junge Frauen in den gewohnt grellbunten kurzen Kleidern und ebenso grellbunten Strumpfmasken aus den Wellen.
Es folgt die gewohnte Ästhetik: Die Frauen springen wild hin und her, kreischen ihre Texte, eine drischt auf eine Gitarre ein. Das Ganze diesmal vor einer Werbewand mit dem Logo der Olympischen Spiele in Sotschi. Gegen die richtet sich der Text dieses Songs, der alle Reizthemen aufzählt, die in den vergangenen Wochen im Zusammenhang mit Sotschi die Gemüter erhitzten: die Kosten von 50 Milliarden Dollar, die massiven Sicherheitsmaßnahmen, die Beteiligung von Putin-Vertrauten an der Eröffnungsfeier, die Verurteilung des Umweltschützers Jewgenij Witischko zu drei Jahren Haft, die Kampagne gegen den unabhängigen Fernsehsender Doschd, die Intoleranz gegenüber Homosexuellen.
"In den Lagern werden sie dich lehren, dich unterzuordnen und zu weinen. Salut den Chefs, sei gegrüßt, Duce", heißt es. Und immer wieder: "Putin wird dich lehren, das Vaterland zu lieben."
Die Reaktion ließ nicht lange auf sich warten. Während des Drehs griffen aufgebrachte Bürger und Kosaken ein. Auch das ist in dem Clip zu sehen. Die ultrakonservativen Hilfstruppen patrouillieren während der Olympischen Spiele in Sotschi, in Uniformen aus der Zarenzeit, mit Fellmützen und traditionellen Waffen. Ein Kosak schlägt mit einer Peitsche auf die Frauen ein. Andere greifen zu Schlagstöcken und Pfefferspray. Im Originalvideo hört man die Brutalität ihres Vorgehens.
"Diese amerikanischen Nutten"
So belegen die Kosaken genau das, was die Frauen in ihrem Punksong beklagen: eine autoritäre, von Gewalt geprägte Gesellschaft. Selten haben Text und Bild so gut zusammengepasst. In Russland trifft das Vorgehen der Kosaken durchaus auf Zustimmung. Leser des Massenblatts "Komsomolskaja Prawda" kommentieren im Internet: "Danke, Kosaken, im Namen des ganzen russischen Volkes" oder "Die hätte man 50 Jahre einsperren sollen. Diese amerikanischen Nutten."
Der eilig zusammen geschnittene Clip von Pussy Riot ist eine der wenigen kritischen künstlerischen Auseinandersetzungen mit Sotschi. Die Olympischen Spiele sind in Russland eine heilige Kuh. Ein Museumsdirektor in Perm im Ural, der im Sommer olympiakritische Karikaturen zeigte, musste gehen. Und die Kritik russischer Intellektueller an Sotschi ist seit Beginn der Spiele noch leiser geworden. Die gigantische Eröffnungszeremonie hat auch bei ihnen patriotische Gefühle verstärkt. Viele äußerten sich positiv über die Feier.
Mit ihrem neuen Clip hat Pussy Riot diese Lücke genutzt. Nach ihren Auftritten mit Madonna in New York sowie bei der Berlinale konnten sich Nadjeschda Tolokonnikowa und Maria Aljochina der Aufmerksamkeit vor allem westlicher Medien sicher sein. Dabei geht es schon lange nicht mehr um den künstlerischen Wert ihrer Performances. Es geht um gesellschaftliches Engagement. So sagte Tolokonnikowa bei ihrer Pressekonferenz in Moskau kurz nach der Entlassung aus der Lagerhaft:
"Nur wenn Genres, Kunst und Politik, verschwimmen, entsteht etwas Interessantes. Unser Ziel ist es, Solidarität zu fördern, eine Zivilgesellschaft, in der die Menschen einander helfen. Das Schlimmste an Putins Russland ist ja, dass man sich kein Gehör verschaffen kann. Genau deshalb habe ich mich seinerzeit für Aktionskunst entschieden. Weil ich wusste, dass traditionelle politische Oppositionstätigkeit zum Schweigen verdammt ist."
Indem sie Zeitpunkt, Ort und mediale Öffentlichkeit geschickt nutzten, haben die Frauen von Pussy Riot dieses Schweigen einmal mehr gebrochen.