Sandra Schulz: Vordergründig geht es vor allem um Energiefragen, wenn heute der russische Präsident Putin nach Budapest reist - auf Einladung des ungarischen Ministerpräsidenten Orbán. Verhandlungen zum umstrittenen Ausbau des einzigen ungarischen Atomkraftwerks, finanziert mit einem russischen Milliarden-Kredit, stehen auf der Agenda. Klar ist aber auch: Die Abhängigkeiten sind groß und das EU- und NATO-Land Ungarn will seine Beziehungen zu Russland ausbauen.
Darüber wollen wir in den kommenden Minuten sprechen. Am Telefon ist der ungarische Schriftsteller und Historiker György Dalos. Schönen guten Morgen!
György Dalos: Schönen guten Morgen.
Schulz: Täuscht der Eindruck, oder können Putin und Orbán einfach ganz gut miteinander?
Dalos: Ich nehme an, dass sie ineinander das gefunden haben, was sie auch gesucht haben. Und zwar: Putin braucht einen Verbündeten oder mehrere Verbündete in dem ehemaligen Ostblock. Und Orbán, der Chef eines kleinen Landes ist, braucht plötzlich auch einen großen Verbündeten. Nur: Putin ist in der Auswahl seiner Verbündeten völlig frei und unverbunden. Ich würde sagen, Russland ist völlig unabhängig. Und Ungarn hat das Problem, doch immer noch Mitglied der EU zu sein.
Schulz: Wieso ist das ein Problem?
Dalos: Das bedeutet, ich glaube, dass es ein bisschen schon brisant ist, wenn er auf dieses Spiel sich einlässt, und das hängt damit zusammen, dass er seine eigene Situation im Lande auch von außen her verstärken will. Vergessen wir nicht, dass es im nächsten Jahr in Ungarn zu Wahlen kommen, und ich würde sogar sagen, dass diese Regierung und überhaupt Ungarn in den letzten Jahren immer im Wahlkampf stand, auch zwischen zwei Wahlen.
Schulz: Aber ist es nicht auch wichtig, dass es in Europa unterschiedliche Stimmen gibt? Jetzt hat die ungarische Regierung ja auch zuletzt wieder darauf hingewiesen oder schon lange kritisiert die Sanktionen gegenüber Russland und immer wieder gesagt, es hat ja auch überhaupt nichts gebracht, im Osten der Ukraine ist die Lage genauso schlimm wie vorher. Was ist daran denn falsch?
Dalos: Ja wir wissen nicht, wie diese Lage ohne die Sanktionen aussehen würde. Aber das, was jetzt passiert, ist etwas mehr als wie Sanktionen gegen Russland. Es geht ja darum, dass nach dem Brexit, nach Trumps Wahlsieg und Erdogans quasi Putsch, den er angeblich niederschlagen wollte, das ist eine neue Situation. Die Situation darf man leider für die EU nur so zusammenfassen, dass die Union geschwächt ist. Und von zwei Seiten scheint hier ein ziemlich massiver Druck auf die EU ausgeübt zu werden: Von Seiten der USA und auch seitens Russland. Diese zwei Mächte, Russland als große und bedeutende Regionalmacht und USA als Supermacht, sind daran interessiert, die EU ein bisschen zu schwächen. Und Ungarn ist daran interessiert - und unter Ungarn verstehe ich natürlich in diesem Fall die Regierung -, dass sie sich von dieser Schwächung irgendwelche Vorteile erhofft, Vorteile seitens Russlands, finanzielle. Und diese ständigen Versuche von Orbán, Europas Lehrmeister zu werden.
Schulz: Aber wenn wir da auf einen ganz großen Streitpunkt schauen in der EU, auf die Flüchtlingspolitik, dann ist es ja nicht so, dass die ungarische Regierung da einfach mal so ihr Ding macht, sondern sie spricht da für die große Mehrheit auch der ungarischen Bevölkerung, die diese flüchtlingskritische Haltung ja auch hat. Warum ist das so?
Dalos: Eine Sache ist diese flüchtlingskritische Haltung. Das ist sicher so. Die ungarische Bevölkerung war auf diese Flüchtlingswelle propagandistisch vorbereitet. Als es noch fast keine Flüchtlinge in Ungarn gab, Anfang 2015, gab es schon umgangssprachliche, also nicht für die Flüchtlinge gedachte Plakate, wo sie die Flüchtlinge in verschiedenen Formen, stilistisch nicht immer gut, aber abgelehnt haben. Das heißt, die Flüchtlingspolitik in Ungarn ist nicht einfach das, was behauptet wird, dass wir hier schon tausend Jahre quasi Europas Grenzen schützen. Das ist Innenpolitik. Das ist Stimmenkauf. Und andererseits war das Referendum über die Flüchtlinge doch ein Fiasko für Orbán, weil mehr als die Hälfte der Wahlberechtigten einfach die Urnen gemieden hat. Das bedeutet, dass obwohl vielleicht eine flüchtlingskritische Stimmung in Ungarn herrscht, aber es ist eine Sache, wofür ein ungarischer Staatsbürger ist, und es ist das zweite, was er dafür bereit ist zu tun. Zum Beispiel, ob man bereit ist, am Sonntagnachmittag, an einem sonnigen, schönen Frühlingsnachmittag zu den Urnen zu gehen oder so etwas, das war schlecht einkalkuliert.
Schulz: Das Referendum, das ist formal gescheitert. Aber in der Sache war es natürlich trotzdem so, dass die Mehrheit derjenigen, die abgestimmt haben, sich gegen Flüchtlinge ausgesprochen hat, wie auch Umfragen aktuell Orbán in der Beliebtheit an der absoluten Spitze sehen. Warum hat die Opposition da so wenig entgegenzusetzen?
Dalos: Ich nehme an, erstens, weil Orbán wirklich erfolgreich ist mit seinen etwas demagogischen, populistischen Versprechungen, weil die Finanzen des Landes zunächst keine besondere Krise erleben, und nicht zuletzt, weil die Oppositionsparteien seit 2010 miteinander beschäftigt sind. Sie bekämpfen einander und ich habe manchmal den Eindruck, dass sie überhaupt Fidesz und diese Regierung nicht, was für eine wirkliche Opposition wichtig wäre, nicht diese Regierung bekämpfen, sondern einander.
Schulz: Wenn das jetzt die Ausgangslage ist und Sie sagen, in Ungarn ist eigentlich immer Wahlkampf, was heißen dann diese weltpolitischen Weichenstellungen aus der jüngeren Vergangenheit, Brexit, die Wahl Trumps, was heißen die dann für Ungarn?
Dalos: Der Wahlkampf, die Frage des Wahlkampfes in Ungarn ist eigentlich, ob jetzt eine Ära Orbán kommen sollte. Es gab immer einen Ehrgeiz von jeder bedeutenden politischen Partei seit 1990, ich würde sagen, die Kommunisten in diesem Punkt nachzuahmen, also ewig an der Macht zu bleiben. Und ewig gibt es natürlich in der Politik und in der Geschichte nicht. Aber wenn sie vier, fünf Wahlzyklen planen, das bedeutet, dass sie ein bisschen länger schon an der Macht bleiben wollen wie Janos Kádár seinerzeit. Anders als der Reichsverweser Horthy in der Zwischenkriegszeit hatte der ungefähr 25 Jahre und es gibt so einen Rekord, der erreicht werden muss: Je länger an der Macht, desto mehr Möglichkeit, mit der Klientel umzugehen und die Klientel zu bedienen und Großunternehmen. Zum Beispiel möchte die ungarische Regierung, dass die Olympischen Spiele nach Budapest kommen. Ich glaube, das ist eine völlig absurde Idee, gegen die eine heftige Protestbewegung beginnt, trotz Orbáns Erfolg.
Schulz: Herr Dalos, an dieser Stelle kommen wir den Nachrichten näher. Ganz herzlichen Dank an den ungarischen Schriftsteller und Historiker György Dalos heute Morgen hier bei uns im Deutschlandfunk. Danke Ihnen ganz herzlich.
Dalos: Ich bedanke mich.
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